Trude Simonsohn 2016 sw1 copyright Stadt Frankfurt Heike LydingGanz Frankfurt trauert um die Frau, die das KZ überlebte und den Deutschen half, die Vergangenheit aufzuklären und nicht zu vergessen, Teil 2/2

Redaktion

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Im Alter von 100 Jahren ist die Holocaust-Überlebende Trude Simonsohn am 6. Januar verstorben. Das hat die Jüdische Gemeinde mitgeteilt. Sie war Ehrenbürgerin der Stadt Frankfurt und setzte sich viele Jahre als Zeitzeugin für die Erinnerungskultur ein. Die Stadt Frankfurt spricht den Angehörigen ihre Anteilnahme aus.

Oberbürgermeister Peter Feldmann: „Trude Simonsohn war unsere Ehrenbürgerin – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Denn es war eine Ehre, dass sie bei uns in Frankfurt lebte. Dass sie unserem Land, unserer Stadt nach allem, was wir ihr und ihrer Familie angetan haben, eine zweite Chance gab, ist für mich bis heute ein unbegreifliches Geschenk. Verdient hatten wir es nicht. Aber wir haben es gebraucht. Trude Simonsohn stand nicht nur für das, was war, sondern vor allem für das, was sein kann. Eine Zukunft ohne Hass, eine offene Gesellschaft, eine Kultur des Respekts. ‚Trag nicht so dick auf‘, würdest Du, liebe Trude, in Deiner bescheiden Art jetzt vermutlich sagen. Doch es muss gesagt werden: Du fehlst uns schon jetzt. Auch mir ganz persönlich. Denn Dein Mann und Du haben meinen Vater motiviert, nach der Nazi-Zeit nach Frankfurt zu kommen. Dank Dir bin ich heute Frankfurter.“

„Trude Simonsohn und ihre Begeisterung für das Leben wird mir persönlich sehr fehlen“, sagt Bürgermeisterin Nargess Eskandari-Grünberg: „Jede Begegnung mit ihr, vor allem beim Treffpunkt für die Überlebenden der Shoah, zeigten, wie wichtig Trude Simonsohns sehr persönliches Engagement war, gerade jungen Menschen von ihrem Leben zu berichten und mit so viel persönlichem Mut dem Glauben an eine bessere Welt Zeugnis zu geben, wenn aus der Vergangenheit gelernt wird.“

Kultur- und Wissenschaftsdezernentin Ina Hartwig: „Mit Trude Simonsohn geht eine starke, beeindruckende Frau von uns, eine, die sich stets für Frieden und Verständigung eingesetzt hat und nie den Mut verlor, für ihre Werte einzustehen. So habe ich sie kennengelernt – energisch, unermüdlich und meinungsstark. Ihr Beitrag zur Aufklärung und Aufarbeitung der Geschichte ist enorm und prägend für Frankfurt. Sie trug mit dazu bei, dass die Erinnerungsarbeit erlebbar wurde und das Jahr für Jahr, Generation für Generation. Ich spreche den Angehörigen und Wegbegleitern mein herzlichstes Beileid in diesen schweren Stunden aus.“

Trude Simonsohn wurde am 21. März 1921 in Ohlmütz, Mähren, geboren. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht im Zuge der deutschen Annexion der Tschechoslowakei und der späteren Umwandlung in das Protektorat Böhmen und Mähren wurde ihr als Jüdin eine Berufsausbildung verweigert. Sowohl ihr Vater als auch ihre Mutter starben in Konzentrationshaft in Dachau und Auschwitz. Sie selbst geriet 1942 wegen Hochverrats und illegaler kommunistischer Tätigkeit in Haft, wurde in das Ghetto Theresienstadt gebracht, wo sie ihren Mann Berthold Simonsohn kennenlernte. Das Paar heiratete kurz vor der bevorstehenden Deportation nach Auschwitz 1944 rituell. Am 9. Mai 1945 wurde sie durch die Rote Armee im KZ Merzdorf, einem Außenlager des Konzentrationslagers Groß-Rosen, befreit. Ihr Mann überlebte den KZ-Außenlagerkomplex Kaufering, eine Außenstelle des KZ Dachau. Nach dem Krieg arbeitete das Ehepaar Simonsohn zunächst in der Schweiz, 1955 kamen sie nach Frankfurt am Main. Trude Simonsohn engagierte sich stark in der Jüdischen Gemeinde Frankfurt und war von 1989 bis 2001 Gemeinderatsvorsitzende. Seit etwa 1975 berichtet sie regelmäßig als Zeitzeugin über ihre Erlebnisse im „Dritten Reich“ unter anderem an Schulen.



Nachveröffentlichung eines Portraits anlässlich des 100. Geburtstags von Trude Simonsohn am 25. März 2021 von Ulf Baier

‚Es gibt Menschen, die Briefmarken sammeln. Ich sammele Freunde!‘

Als die Wehrmacht im März 1939 die Stadt Olmütz im Osten des heutigen Tschechiens besetzt, begann das Leiden. Die Nationalsozialisten errichten das „Protektorat Böhmen und Mähren“, nachdem im Jahr zuvor Großbritannien, Frankreich und Italien im Münchner Abkommen faktisch die Zerschlagung der Tschechoslowakei ermöglicht hatten. Die 1921 geborene junge Frau und spätere Frankfurter Ehrenbürgerin Trude Simonsohn darf weder Abitur machen noch das angestrebte Medizinstudium beginnen. Den Vater verschleppen die Nazis zu Beginn des Zweiten Weltkrieges und ermorden ihn in einem ihrer Konzentrationslager. Sie wird später die Hölle von Auschwitz nur knapp überleben. Trude Simonsohn begeht am Donnerstag, 25. März, ihren 100. Geburtstag.

Trude Simonsohn engagiert sich in Olmütz in der zionistischen Jugendbewegung. 1942 deportieren die Nazis die junge Frau mit ihrer Mutter in das Konzentrationslager Theresienstadt. Dort lernt sie ihren Mann Berthold Simonsohn kennen, einen Juristen und Sozialpädagogen. Beide heiraten kurz vor ihrer Deportation in das Vernichtungslager Auschwitz – der Ort, an dem die Nationalsozialisten ihre Mutter ermorden. Als die Schergen das Paar bei seiner Ankunft an der Rampe trennen, verabreden beide Theresienstadt als Treffpunkt für den Fall des Überlebens.

Wiedersehen nach Kriegsende

Tatsächlich geschieht es so. Beide sehen sich dort 1945 nach der deutschen Kapitulation wieder. Auschwitz haben sie überlebt; ebenso die Arbeitslager, in die sie die Nazis von dort brachten. Die Alliierten befreien deren geschundene und gequälte Insassen kurz vor Kriegsende. Trude Simonsohn - körperlich geschwächt und krank - überlebt die Qualen der Zwangsarbeit nur knapp. An Auschwitz erinnert sie sich nur in Bruchstücken. Es sei, als habe die Seele als Schutzmechanismus „das Licht ausgeknipst“, sagt sie später. „Dass wir überlebt haben, ist ein Wunder“, zitiert sie die Jüdische Allgemeine 2016 anlässlich der Verleihung der Ehrenbürgerschaft der Stadt Frankfurt.

Nach Kriegsende arbeiten beide für tschechoslowakische und jüdische Organisationen, um den Holocaust-Überlebenden zu helfen. Sie betreut tuberkulosekranke und traumatisierte Flüchtlingskinder. Ihr Weg führt sie über die Schweiz, wo sie standesamtlich heiraten, nach Deutschland. 1950 zieht das Paar nach Hamburg; dort kommt Sohn Mischa zur Welt. Fünf Jahre später geht es weiter nach Frankfurt. Er baut dort die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland auf und übernimmt eine Professur für Sozialpädagogik und Jugendrecht an der Goethe-Universität. Sie übernimmt in der jüdischen Gemeinde die Stelle für Sozialarbeit und Erziehungsberatung. Von 1989 bis 2001 amtiert sie als Gemeinderatsvorsitzende.


Frankfurt wird zur Heimat

Der Weg nach Deutschland ist ihr zuerst nicht leichtgefallen. In Frankfurt jedoch, schreibt sie, habe sie zum ersten Mal seit Kriegsende wieder das Gefühl, zuhause zu sein. Die Stadt mit ihrer Liberalität und Weltläufigkeit scheint zu ihr zu passen. Aufgewachsen in einem bürgerlichen jüdischen Elternhaus, besuchte Trude Simonsohn in Olmütz eine tschechische Grundschule und später das deutsche Gymnasium. In beiden Sprachen gab sie Nachhilfestunden. Sie erlebt als Kind und Jugendliche, dass Toleranz und Verständnis unabdingbare Voraussetzungen einer offenen und aufgeklärten Gesellschaft sind. Beides Eigenschaften, mit denen auch das Nachkriegs-Frankfurt oft verbunden wird.

Als ihr Mann 1978 stirbt, beginnt sie, sich als Zeitzeugin zu engagieren. Trude Simonsohn berichtet vor jungen Leuten über ihre Erlebnisse. Hierfür nimmt sie einiges an Anstrengung auf sich: „Manchmal versagt mir die Stimme und ich muss weinen!“ Aber es sind nicht nur die Schilderungen über das Erlebte, die das Publikum ergreifen. Ihre Herzenswärme und ihr Humor beeindrucken regelmäßig. „Ich habe selten eine so starke, bejahende Persönlichkeit wie Trude Simonsohn erlebt“, erinnert sich Oberbürgermeister Peter Feldmann. „Ich kannte sie schon als Kind. Mein Vater hat für ihren Mann gearbeitet – für ihn der entscheidende Grund, nach Frankfurt zu kommen.“


Weggefährten sind tief beeindruckt

„Einer von Trude Simonsohns typischen Sätze lautet: ‚Es gibt Menschen, die Briefmarken sammeln. Ich sammele Freunde!‘“, erinnert sich Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank. „Mit einer Liebe, die keine Grenzen und keinen Dünkel kennt, verbindet sie unterschiedliche Menschen auf ziemlich einzigartige Weise: junge und alte, einheimische und zugewanderte, bildungsnah und bildungsferne, Juden, Christen, Muslime und Atheisten“, beschreibt er die Jubilarin.

Feldmann, Korn und Mendel erinnern sich übereinstimmend an ihren feinsinnigen Humor, gerne antiautoritär gewürzt. „Auch bei noch so ernsten Themen gab es immer den Punkt, an dem wir gemeinsam lachten“, berichtet das Stadtoberhaupt. „Sie ist eine hervorragende Witzeerzählerin, eine ihrem ungewöhnlichen Lebensweg abgetrotzte, reaktive Eigenschaft“, erläutert Salomon Korn. Dabei nehme sie gerne auch jüdische Sitten und Bräuche ins Visier. Oft begännen die Geschichten „Ein Pfarrer, ein Priester und ein Rabbiner“, sagt Meron Mendel und erinnert sich an einen abendlichen Witze-Wettbewerb von Trude Simonsohn mit Buddy Elias, dem Cousin Anne Franks.

2016 ernennt die Stadt Frankfurt sie zur Ehrenbürgerin. Trude Simonsohn ist Trägerin verschiedener weiterer Auszeichnungen. So erhielt sie neben anderen Ehrungen die Wilhelm-Leuschner-Medaille des Landes Hessen und den Ignatz-Bubis-Preis für Verständigung. Die Goethe-Universität Frankfurt ehrte ihre Verdienste um die Erinnerungsarbeit durch die Benennung eines Saals nach ihr und ihrer Freundin Irmgard Heydorn. Trude Simonsohn wohnt im Budge-Heim in Seckbach, einer Einrichtung für Menschen jüdischen und nichtjüdischen Glaubens.

Foto:
© Stadt Frankfurt, Heide Lyding