Ein Hauch von Weltpolitik in der Alten Oper

 

Notker Blechner

 

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - - Einen seltenen Blick hinter die Kulissen der NSA-Affäre gab es Mitte Januar in der Frankfurter Alten Oper. Guardian-Chefredakteur Alan Rusbridger erklärte beim Horizont-Award Medien- und Werbeexperten die Geschichte von Edward Snowdens Enthüllungen über die Ausspäh-Affäre der NSA, die weltpolitische Wellen schlug.

 

Da verblassten selbst die drei - oder streng genommen vier - "Männer des Jahres", die feierlich von der Fachzeitschrift Horizont ausgezeichnet wurden.

 

Detailliert und unglaublich nüchtern - fast im Stile eines Professors - schilderte der Brite Rusbridger, wie die Zeitung von "Whistleblower" Snowden kontaktiert wurde und wie gefährlich es war, dessen Enthüllungen zu veröffentlichen. "Es gab viele Leute, die blockierten, weil es um die nationale Sicherheit ging." Er selbst wurde von der britischen und amerikanischen Regierung unter Druck gesetzt. So hatte Premierminister David Cameron anordnen lassen, dass Festplatten mit Snowden-Material im Keller des "Guardian" zerstört wurden. Rusbridger bezeichnete dies erneut als "eine sinnlose Aktion", schließlich waren die Informationen schon anderswo gespeichert. "Aber es ging um Einschüchterung."

 

Als Grund warum Snowden zum "Guardian" gekommen sei, nannte der Chefredakteur das offene System der Zeitung. Damit meint er ein System, das die Meinungen sehr vieler Menschen einbezieht und auch neue Kommunikationsformen wie Blogs berücksichtigt. So holte Rusbridger den Blogger Glenn Greenwald zum "Guardian", der eine Million Leser mit seinen Blogs erreicht. Snowden war offenbar so begeistert von Greenwalds Stil, dass er sich bevorzugt an ihn wandte. "Snowden suchte einen geeigneten Journalisten" und wollte nicht riskieren, zu einem Medien zu gehen, das seine Story nicht veröffentlicht - wie 2005 die New York Times, die eine ähnliche Story, die ihr angeboten wurde, nicht abdruckte.

 

"Test für den Journalismus"

 

Das Angebot Snowdens "war ein Test für den Journalismus", meinte Chefredakteur Rusbridger. Hätte der "Guardian" Snowdens Geschichte nicht gebracht, wäre das eine Bankrotterklärung des unabhängigen Journalismus gewesen. "Wären wir eingeknickt, wäre das ein verheerendes Signal an alle künftigen Whistleblower gewesen", sagte Chefredakteur Rusbridger in Frankfurt.

 

Angesichts der Enthüllungen über die NSA-Ausspähaffäre forderte Rusbridger die versammelten Experten dazu auf, über die Bedeutung des Journalismus neu nachzudenken. Der Fall Snowden zeige, wie sich die Zeitungen verändern müssten. Schließlich drängen immer mehr Internetfirmen in den Markt und wandeln sich zu Medienhäusern. Amazon, Twitter, Yahoo und Buzfeed und hunderte von kleinen Firmen wollen neu definieren, was Nachrichten sind. Dabei seien gerade die großen Internet-Konzerne in die Spionageaffäre verstrickt gewesen. Und auch Journalisten müssten "nachdenken, wie nah wir an die Personen, über die wir berichten, heranrücken wollen und dürfen."

 

Sky-Deutschland-Chef wird "Medienmann des Jahres"

 

Auf solch fundamentale Fragen zur künftigen Rolle des Journalismus hatten die drei Preisträger leider keine Antwort parat. Selbst der "Medienmann des Jahres", Brian Sullivan, Chef von Sky Deutschland, ging nicht auf Rusbridgers Rede ein und sprach lieber über das Pay-TV-Geschäft. Dort nämlich könnte in den nächsten Jahren noch einiges passieren. Sullivans Ziel ist irgendwann, mit dem Pay-TV alle deutschen Haushalte zu erreichen, also rund 40 Millionen. Davon freilich ist Sky noch weit entfernt. Bisher zählt der Sender lediglich 3,5 Millionen Abonnenten. Aber die Zahl wächst von Quartal zu Quartal.

 

Seit seinem Amtsantritt im April 2010 hat Sullivan eine Million neue Abonnenten gewonnen. Nun will der Amerikaner beweisen, dass Pay-TV in Deutschland profitabel sein kann. Für 2013 werden erstmals operativ schwarze Zahlen angepeilt. Und 2014 könnte unterm Strich vielleicht gar der erste Gewinn herausspringen.

 

"Beeindruckende Turn-Around-Story"

 

Weil der 51-jährige Amerikaner den Pay-TV-Sender aus der Verlustzone geführt hat, erhielt er in Frankfurt den Horizont-Award in der Kategorie Medien. "Sullivan krempelte mit hohem persönlichem Einsatz die Ärmel hoch und legte eine der beeindruckendsten Turn-Around-Storys in der deutschen Mediengeschichte hin", lobte ihn die Jury. Sie hob positiv zahlreiche neue Produkte hervor wie das Mobil-Angebot Sky Go, den Festplatten-Recorder Sky+ und den 24-Stunden-Sportnachrichten-Kanal Sky Sport News HD, die Sullivan eingeführt habe.

 

Möhren-Bund für den "Marketing-Mann des Jahres"

 

Einen ähnlichen "kundenorientierten Innovationsgeist" bewies Edeka-Chef Markus Mosa, der von Horizont zum "Marketing-Mann" des Jahres gekürt wurde. Der 46-Jährige hat mit der Fokussierung auf Eigenmarken, teuren Investitionen in die Filialen und der zweigleisigen Strategie mit der Kernmarke Edeka und dem Billiganbieter Netto Erfolg gehabt. Edeka hat der Konkurrenz wie Rewe und Aldi Kunden abgejagt und den Marktanteil auf gut ein Viertel erhöht. 2012 steigerte der Konzern den Umsatz um vier Prozent auf knapp 45 Milliarden Euro und verdiente vor Steuern rund 1,34 Milliarden Euro.

 

Nun will Mosa, der seit 2008 an der Spitze des größten deutschen Lebensmittelhändlers steht, die großen Drogeriemarkt-Ketten angreifen - mit Netto. Das Sortiment an Drogeriemarkt-Artikeln wurde massiv erweitert. Außerdem gehört Mosa zu den Pionieren beim Einsatz neuer Technologien im Einzelhandel. In einzelnen Edeka-Filialen wird das mobile Bezahlen beim Einkauf mit einer Smartphone-App getestet.

 

Für die Gratulation des Preisträgers ließ sich Axel-Springer-Vorstand Andreas Wiele etwas Ausgefallenes einfallen. Angelehnt an die Werbeanzeige "Liebe kann man nicht nur durch Blumen ausdrücken" überreichte er dem etwas scheuen Edeka-Chef einen Bund Karotten statt einem Blumenstrauß - frei nach dem Motto "Schöne Möhren können auch betören".

 

Philipp & Keuntje holen endlich die Agentur-Krone

 

Die meisten Lacher gab es aber bei der Verleihung des Horizont-Award in der Kategorie Agenturen an Philipp und Keuntje. Die Hamburger Agentur hatte speziell für den Abend einen lustigen Spot kreiert, in dem sich die beiden Geschäftsführer Hartwig Keuntje und Torben Hansen als Rentner spielten und sich beklagten, dass sie so lange auf diesen Preis hätten warten müssen.

 

Philipp & Keuntje sei eine Agentur, die nicht nur mit spektakulären Neugeschäften wachse, sondern über gute Arbeit für bestehende Kunden, urteilte die Jury. Die Agentur stehe für anspruchsvolle Kreation - verbunden mit ernsthafter Wirtschaftskommunikation. Zudem habe sie ihr Leistungsangebot erweitert und gehöre nun beispielsweise zu den führenden Akteuren im Bereich Content Marketing.

 

Besonders bewegend wurde es, als die beiden Geschäftsführer den wegen einer schweren Krankheit lange aus der Öffentlichkeit verschwundenen Agentur-Mitgründer Dominik Philipp mit auf die Bühne baten. Dieser zeigte sich sichtlich gerührt.

 

Fachdiskussionen und Party

 

Danach feierte sich die Werbe- und Medienbranche in den Sälen und Gängen der Alten Oper bis tief in die Nacht hinein. Zu den prominenten Gästen zählten RTL-Chefin Anke Schäferkordt, Ex-Focus-Chefredakteur Helmut Markwort, Ex-Beiersdorf-Chef Thomas Bernd Quaas, Handelsblatt-Herausgeber Gabor Steingart, Werbe-Papst Lothar Leonhard und Bankier Friedrich von Metzler

 

Tagsüber diskutierten die Werbe- und Medienprofis über die Trends und Herausforderungen der Branche(n) auf dem Deutschen Medienkongress. Facebook-Managerin Nicola Mendelsohn plädierte für einen Ausbau der Mobile-Werbung, Chefredeakteure von FAZ & Co setzten sich mit Werbetreibenden über die neuen Anzeigenformate wie Native Advertsing oder Sponsored Comments auseinander, während sich ARD-Vorsitzender Lutz Marmor vehement gegen ein Werbe-Verbot im öffentlich-rechtlichen Rundfunk aussprach. Er erneuerte seine Forderung nach einem Fernsehsender von ARD und ZDF für junge Zielgruppen. Schließlich warnte Professor Franz-Josef Radermacher vor der Diktatur der Algorithmen. "Wollen wir eine Zivilisation, die den Menschen als Baustein integriert und über Algorithmen optimiert?", fragte er provozierend. Falls ja, riskiere der Mensch, die unbeweisbaren Wahrheiten zu verlieren, die ihn als einmalig ausmachen.

 

 

Info:

Der Horizont Award "Männer und Frauen des Jahres" wird seit 1983 vergeben. Für ihre persönliche Leistung, ihren unternehmerischen Mut und ihr Engagement werden die besten Akteure in den drei Bereichen Marketing, Agenturen und Medien ausgezeichnet. Unter den knapp 100 Preisträgern in der 30-jährigen Geschichte des Awards befinden sich bislang erst sechs Frauen.

Foto: Horizont.net

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