Frankfurts Traditionsrösterei Wacker brüht seit 100 Jahren am Kornmarkt auf
Siegrid Püschel und pia
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Wacker’s Kaffee ist eine Institution am Main. Tagtäglich stehen hunderte Kunden am Kornmarkt um eine Tasse Kaffee, einen Espresso oder Latte macchiato an. Im Juni feiert der 1914 gegründete Familienbetrieb sein hundertjähriges Bestehen. Tradition und Qualität heißt das Erfolgsrezept.
Die ersten warten schon früh morgens vor der Tür. Mittags und nachmittags zieht sich die Schlange bis weit auf den Bürgersteig hinaus. Für Frankfurter und Besucher ist das ein vertrautes Bild am zentral gelegenen Kornmarkt, unweit von Paulskirche und Römer. Es ist der Duft von frischem Kaffee, der die Menschen anzieht.
So ähnlich mag es sich Luise Wacker erträumt haben, als sie vor hundert Jahren bei einem Spaziergang am Kornmarkt ein leeres Ladenlokal entdeckte. Die aus der Nähe von Heilbronn stammende junge Frau warf im Frühjahr 1914 ihre Auswanderungspläne nach Amerika über Bord, richtete mit Vaters Geld in dem Lokal ein Feinkost-Geschäft ein, stellte eine Röstmaschine ins Schaufenster und bewies den richtigen Riecher. „Von Stund an war’s ein Erfolg“, erzählt Luise Wackers Tochter Margarethe Zülch stolz.
Von Beginn an in Familienhand
Die 92-Jährige ist heute Herz und Herrscherin des kleinen Familienimperiums. Zülch regiert über das Stammhaus am Kornmarkt, drei Cafés, die Rösterei im Stadtteil Fechenheim, rund 30 Angestellte und die vielköpfige Familie, deren dritte und vierte Generation inzwischen ebenfalls kräftig mitarbeitet. Vom Wohnzimmer aus hält die „Grande Dame“ des Kaffees die Fäden in der Hand – drei Telefone, Notizblock und Stift liegen griffbereit auf dem Tisch. Schwarzweiß-Fotos der Eltern und der beiden Geschwister erinnern an die Anfänge des Unternehmens, in das Margarethe Zülch als 18-Jährige einstieg.
Damals waren die Bedingungen genauso schwierig wie zur Zeit der Gründung. Es herrschte Krieg. „Knapp ein Vierteljahr nach der Eröffnung brach der Erste Weltkrieg aus“, erzählt Zülch. Mit dem für das Frankfurt der damaligen Zeit sensationelle Kaffeerösten im Schaufenster war schnell Schluss, Mutter Luise hielt Geschäft und Familie mit dem Verkauf von Lebensmitteln über Wasser. Luises Ehemann Jakob Slutzky entwickelte „den Kaffee fast zu einer Wissenschaft.“ Er suchte die Ware aus und knüpfte Beziehungen zu Plantagen, von denen Wacker’s bis heute Bohnen bezieht.
Altmodisch und zeitgemäß zugleich
Überhaupt hält das Haus auf Beständigkeit. Gebrüht wird frisch nach dem Motto „Kaffee ist ein Genussmittel, muss ein Genuss sein und das muss so bleiben“. Die Verkaufstheke, hinter der reihenweise messingfarbene Bohnenschütten glänzen, datiert ebenso wie die Mahlmaschinen aus den 1950er Jahren. Die sechs Kaffeehaustischchen haben ebenfalls fast musealen Wert. Wie eh und je lagern prall mit Bohnen gefüllte Säcke neben der Kaffeebar. Der altmodische Touch soll - außer einem regelmäßigen neuen Anstrich - „so bleiben, sonst sind die Leute enttäuscht. Das wäre ja furchtbar“, sagt die Seniorchefin. Dem Publikum aus Rentnern, Bankern, Büromenschen, Studenten und Flaneuren gefällt die Atmosphäre. Das enge Ladenlokal ist ein Kommunikationszentrum. „Bei uns kommen wildfremde Menschen miteinander ins Gespräch. Das ist jeden Tag aufs Neue schön“, freut sich Margarethe Zülch, die täglich nach dem Rechten sieht. Wer drinnen keinen Platz findet, trägt seine Tasse ins Freie. Ein beliebter Treffpunkt ist die „Kaffeemauer“. Die graue Betonbrüstung auf der anderen Straßenseite ist gerade hoch genug, um bequem angelehnt Kaffee zu trinken und Schwätzchen zu halten.
Beamte ließen die Kassen klingeln
Wacker’s verdankt seinen fast legendären Ruf zu einem guten Teil dem Mix aus Qualität, Publikum und Standort. Der Fußweg von der Hauptwache zum Rathaus Römer führt direkt vorbei. Die städtischen Angestellten, die auf dem Weg zur Arbeit schnell eine Tasse tranken, brachten das erste Geld in die Kasse der jungen Luise Wacker. Die von ihrer Tochter als „straffe Person“ beschriebene Geschäftsfrau taufte die einträgliche Strecke spöttisch „Beamtenlaufbahn“. Die sorgte auch nach dem Zweiten Weltkrieg für Umsatz. „Inmitten der Trümmer war außer der Beamtenlaufbahn hier ja nichts los“, beschreibt die Seniorchefin die Situation. Um das Geschäft anzukurbeln, verkaufte die Familie kurzzeitig Flaschenbier und belegte Brote. Als Wacker’s 1955 mitten in der Wirtschaftswunderzeit die erste italienische Kaffeemaschine in Frankfurt in Betrieb nahm, war der Laden endgültig in. Fast alle Oberbürgermeister der Mainmetropole gehörten zu den Stammkunden. Ebenso Zoo-Direktor Bernhard Grizmek und Schauspieler Gert Fröbe. Sein Autogramm hängt im Wohnzimmer von Margarethe Zülch neben einem „Knollenmännchen“ aus der Zeichenfeder von Loriot, der regelmäßig während der Buchmesse einkehrte.
Vom Kornmarkt nach Asien
Heute sitzt vermehrt asiatische Kundschaft an den Tischen. Die von Margarethe Zülch Sohn Hans-Walter geleitete Rösterei exportiert Bohnen von Frankfurt nach China. Derzeit überlegt die Familie, ob einer der sieben Enkel in Fernost ins Seminargeschäft einsteigen soll – Angebote liegen auf dem Tisch. Tochter Angelika Zülch-Busold kümmert sich neben dem Betrieb des Stammhauses um das Marketing. Zusammen mit ihrer Mutter und ihrem Bruder stellt sie das Programm für das bevorstehende Geburtstagsfest zusammen. Mitte Juni wird am Kornmarkt gefeiert. Die schon ein Buch füllende Artikelsammlung über Wacker’s dürfte danach wieder um einige Seiten reicher sein.