Letzte Linienfahrt von Frankfurts bekanntestem Straßenbahnfahrer
Redaktion
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Ein Straßenbahnfahrer tritt seine letzte Linienfahrt an – bei rund 900 Schienenbahn-Fahrerinnen und -Fahrern der Verkehrsgesellschaft Frankfurt am Main (VGF) kommt das nicht selten vor. Allein im Jahr 2024 werden 29 Fahrerinnen und Fahrer in den Ruhestand wechseln. Aber am Mittwoch, 30. Oktober, verabschiedet die VGF mit großem Dank, Anerkennung und ein bisschen Wehmut einen ganz besonderen und langjährigen Straßenbahnfahrer: Peter Wirth, in Frankfurt besser bekannt als Bahnbabo, geht in den verdienten Ruhestand.
Ein halbes Leben für die Straßenbahn
Straßenbahnfahrer wurde Wirth, der damals einen kleinen Taxibetrieb führte, durch seine Frau Heike, die selbst Trambahn-Fahrerin und noch im aktiven Dienst ist. So begann seine Karriere bei der VGF, damals noch den Stadtwerken, vor 36 Jahren und einem Monat, am 1. Oktober 1988. Am selben Tag wurde der Generalsekretär der KPdSU, Michail Gorbatschow, zum sowjetischen Staatsoberhaupt gewählt. Den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhielt in diesem Jahr der Schriftsteller Siegfried Lenz. Manch einer der jungen Menschen, zu denen Wirth einen so unnachahmlichen Draht hat, wird weder Gorbatschow noch Lenz kennen – aber der Bahnbabo, der ist ein Begriff.
Wie man zum Bahnbabo wird
In mehr als 36 Jahren an Schaltrad und Befehlsgeber hat sich Wirth einen Namen gemacht – durch sein Gespür für Menschen aller Generationen, durch sein Talent für Poesie, durch sein großes Herz für die Menschen, die es im Leben nicht einfach haben, und durch seine Fitness. Denn die zeichnet ihn nicht nur seit 40 Jahren dank konsequenten Trainings aus, sie spielt auch eine Rolle in der Geschichte, wie der Bahnbabo zu seinem Spitznamen kam.
Den hat er sich nicht etwa zugelegt, er wurde ihm gegeben. Und das quasi als Auszeichnung, wie er selber in Folge 27 des VGF-Podcasts „Bahnsinn“ erzählt: Als er einmal am Hauptbahnhof eine Linie 17 übernahm, stellte er Fahrersitz und Rückspiegel ein, mit dem er auch einen Blick in den Innenraum werfen kann. Just hinter seiner Kabine saßen vier Jugendliche, die das bemerkten. Es entspann sich, was Wirth einen „Frankfurter Dialog“ nennt, als einer der Jungs zu einem anderen sagte: „Alter, der beobachtet uns.“ Wirth sprach die Jungs, die ins Rebstockbad wollten, später an und forderte sie heraus: Wenn sie an der Endhaltestelle auch nur von einer der Sportübungen, die er ihnen zeigen wollte, mehr machen könnten „als der alte Mann“, würde er allen den Eintritt zahlen. Die „Challenge“ wurde angenommen, aber während Wirth zwischen den Sitzen der leeren Bahn 60 Dips vorlegte, fiel der vermeintlich stärkste der vier nach kaum 20 auf den Boden „wie eine reife Pflaume“. Doch das war an dieser Stelle egal, Wirth hatte die Brücke der Verständigung mit den Jungs gebaut, auf der sie von beiden Seiten aufeinander zugehen konnten, um sich auf Augenhöhe zu treffen. Und wie kam es dann zum Babo? Peter Wirth: „Einer der vier meinte: ‚Ey, Du bist voll stabil. Du bist der Bahnbabo‘“. Ein Spitzname, der ihn danach begleitete und nicht zuletzt durch die Medien weiterverbreitet wurde. Heute steht er sogar in seinem Personalausweis.
Eigenwerbung macht Wirth nicht, die Fanseite auf Facebook, die Clips auf TikTok oder YouTube, das alles machen seine Fans. „Material“ gibt’s dabei kostenfrei vom Bahnbabo selbst, denn der kann in Frankfurt nicht unerkannt einkaufen gehen, täglich 30 oder 40 Selfies mit Fans sind keine Seltenheit. Instagram hat Wirth schon vor fünf Jahren verlassen – die gewissenhafte Bearbeitung all der Fragen wuchs ihm über den Kopf, und Ehefrau Heike sprach irgendwann nachts in der gemeinsamen Küche ein Machtwort.
Auch ohne Instagram: Als Bahnbabo wurde er weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt und beliebt. Seine Leidenschaft für den Beruf und für Menschen, seine Nahbarkeit, sein Respekt anderen gegenüber haben ihn für viele Menschen zu einer Institution und selber zu einer Respektsperson gemacht. Mit vertrautem Gesicht (die Sonnenbrille!) und vertrauter Stimme, denn seine Fahrgäste hat der Babo immer wieder über die Lautsprecher der Bahnen angesprochen, fast immer in Reimform, mit kleinen Weisheiten und Tipps.
Herausragendes Engagement
Während seiner Zeit bei der VGF hat Wirth nicht nur Brücken zwischen Generationen und Kulturen gebaut, er hat unzählige Kilometer auf den Schienen Frankfurts zurückgelegt. Darüber hinaus unterstützt er den Verein MainLichtblick seit Jahren mit kleinen und größeren Aktionen. MainLichtblick kümmert sich um kranke Kinder und solche in Lebenskrisen. MainLichtblick versucht, diesen Kindern und Jugendlichen einen Herzenswunsch zu erfüllen, Freude zu schenken und neuen Lebensmut zu geben. Die Einnahmen aus seinem Buch „Beste Laune mit dem Bahnbabo“ überträgt Peter Wirth dem Verein. So hat er es auch mit den Spenden gehalten, die er am Rand der Tram-EM im September für das Buch bekommen hat, als sich ungeachtet des spannenden Wettkampfs eine lange Schlange von Menschen bildete, die ein Autogramm haben und – schon wieder – ein Selfie mit dem Bahnbabo machen wollten. Keiner ging enttäuscht nach Hause.
Zukunftspläne
Wirth ist nach 36 Dienstjahren Trambahner durch und durch. „Ich bin für die Fahrgäste da, nicht die Fahrgäste für mich“, umschreibt er sein Arbeitsethos. Trotzdem sieht er seinem Ruhestand gelassen entgegen. Er wird mehr Zeit für seine Frau haben, das ist ihm wichtig. „Ich werde die täglichen Fahrten und den Kontakt mit den vielen Menschen vermissen, aber ich bleibe allen erhalten. Ich werde die Frankfurter Politik weiter beobachten und mich weiter bei MainLichtblick engagieren“, sagt Wirth.
Das mit der „Politik“ kommt nicht von ungefähr: Im OB-Wahlkampf 2023 trat der Bahnbabo als unabhängiger Kandidat an. Mit einem Etat von 420 Euro und einem Bollerwagen, den er durch die Stadt zog, um seine 64 selbstfinanzierten Plakate auch eigenhändig anzubringen. Ein paar davon schön sichtbar vor der VGF-Zentrale. Das Ergebnis: mehr als 10.000 Stimmen im ersten Wahlgang, die einen Anteil von 5,1 Prozent bedeuteten. Reichte nicht für die Stichwahl, aber ein mehr als respektables Abschneiden.
Dank und Anerkennung
„Zu sagen, Peter Wirth sei ein ganz besonderer Mensch, wird ihm nicht gerecht. Er hat eine unvergleichliche und unnachahmliche Art, auf Menschen zuzugehen und mit ihnen in Kontakt zu kommen. Gerade auch junge Menschen begeistert er mit seiner offenen und nahbaren Art. Auf Augenhöhe. Mit Respekt“, sagt Oberbürgermeister Mike Josef, der sich nicht nehmen lässt, den Bahnbabo auf seiner letzten Linienfahrt zu begleiten. „Ganz besonders würdigen möchte ich sein großes, soziales Engagement. Peter Wirth hat sich immer für andere Menschen eingesetzt. Er hat Initiativen gestartet, Projekte unterstützt oder ins Leben gerufen, sich in den Dienst einer guten Sache gestellt und sich dabei auch selbst immer wieder mit eigenen Mitteln beteiligt. Dafür gilt ihm mein Dank. Ich hoffe er bleibt unserem Frankfurt nach seinem Dienstende in anderer Funktion erhalten.“
„Für die VGF und für Frankfurt ist Peter Wirth eine Bereicherung. Die gesamte Stadt hat von seinem Interesse an Menschen, seiner konsequenten Unvoreingenommenheit allen gegenüber profitiert“, sagt Mobilitätsdezernent Wolfgang Siefert. „Mit seinem vielfältigen Engagement hat er seinen Arbeitgeber auf bemerkenswerte Weise vertreten und dem Beruf des Schienenbahnfahrers ein sympathisches, selbstbewusstes Gesicht gegeben. Wir brauchen Menschen mit Charakter, Herz, Humor und Haltung – nicht nur in unseren Verkehrsgesellschaften.“
„Peter Wirth hat mit seiner Arbeit und seiner Persönlichkeit einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Wir danken ihm für seine langjährige Treue und seinen unermüdlichen Einsatz in einem Beruf, der viel Stress mitbringt und höchste Konzentration erfordert“, sagt Thomas Raasch, Geschäftsführer der VGF. „Wir wünschen ihm für seinen Ruhestand alles Gute und viel Freude. Und natürlich, dass er sich weiterhin für andere Menschen und wichtige Projekte engagieren kann, wie er das in den vergangenen Jahren getan hat.“ Raasch fügt mit Blick auf die Nachwuchs-Rekrutierung im Fahrerbereich der VGF hinzu: „Er hat auch beste Werbung für diesen verantwortungsvollen Beruf gemacht. Jedes Unternehmen würde sich freuen, eine Identifikationsfigur wie den Bahnbabo in seinen Reihen zu haben.“
Bahnbabo im Podcast
Wer den Bahnbabo nochmal im Original und in Bestform hören möchte: In Folge 27 des VGF-Podcasts „Bahnsinn“ spricht er über sich und sein Alter Ego – zwei Charaktere, die heute nicht mehr voneinander zu trennen sind. Zu hören ist das auf der Homepage der VGF unter vgf-ffm.de/de/aktuelles/podcast.
Zum Schluss sagt die VGF: Vielen Dank, Peter! Und gute Fahrt in den verdienten Ruhestand!
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