Serie: Fritz Bauer: Bücher, Filme, CDs und vor allem die Ausstellung in Frankfurt am Main, Teil 15
Uwe Kaltenmark zitiert Fritz Bauer
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – „Fritz Bauer lässt man an seinem Geburtstag am besten selbst zu Wort kommen und zwar in seinem Aufsatz von 1955 „Im Kampf um des Menschen Rechte“, der wohl persönlichste Text, den es von ihm gibt und in dem man ihn und seine wunderbaren Gedanken am deutlichsten spüren kann, gehört nach meinem Empfinden zum wohl Bewegendsten, was Fritz Bauer geschrieben hat und hat an Zeitgeist und Besonderheit nichts verloren.“
Das ist ein Zitat,mit der die Rede von Uwe Kaltmark zur Geburtstagsfeier im Logenhaus in der Finkenhofstraße begann(vgl. vorherigen Teil 14), der Fritz Bauer zitiert, was Weltexpresso hier abdruckt. Die Redaktion.
Schon als Elfjähriger hatte ich die nicht ungewöhnliche Frage, was ich einmal werden möchte, mit der Zeichnung eines großen Firmenschilds beantwortet, auf dem unter meinem Namen als Beruf „Oberstaatsanwalt” stand. Einige kommentierende Sätzchen wurden beigefügt. Ich habe diesen Schulaufsatz nicht vergessen, weil ich eine ungewöhnlich schlechte Note für ihn bekam. Das Firmenschild war denen der Rechtsanwälte nachgeahmt; Oberstaatsanwalt war in meiner Vorstellung so etwas wie ein besserer Rechtsanwalt. So ganz schief war dies nicht, und wenn ich heute in der Lage wäre, die juristischen Berufsbezeichnungen selbstherrlich zu ändern, würde ich bestimmt die Staatsanwälte Rechtsanwälte nennen. Die aus autoritären Zeiten stammende Bezeichnung Staatsanwalt paßt nicht; der Staatsanwalt vertritt nicht den Staat, er ist nicht der Anwalt irgendwelcher Staatsräson oder irgendwelcher Staatsinteressen, sondern des Rechts der Menschen und ihrer sozialen Existenz gegen private und staatliche Willkür. Er ist an die Gesetze gebunden, deren wichtigste die Menschenrechte sind.
Politiker und Beamte können nie genug von dem wissen, was außerhalb ihrer Mauern gefühlt und gedacht wird. Akten sind ein dürftiges Informationsmittel. Dem hohen Politiker mag vielleicht ein Verfassungsschutzamt oder eine Gallupuntersuchung zur Verfügung stehen; in den Korridoren der Politiker mögen die Vertreter der verschiedenartigsten Interessengruppen jammern und klagen. Der Beamte hat in aller Regel nicht einmal sie, seine Mitarbeiter sind in der Regel Schleusen, die mehr zurückhalten als weiterleiten. Hier bleibt nur der alte Weg des Harun al Raschid, der seine Kalifenwürde zu Hause ließ und anonym auf den Märkten und in den Kneipen Bagdads nach der Wahrheit forschte. Der Weg des Kalifen ist auch heute möglich.
Wer sich etwa auf den Autobahnen unserer „Anhalter” annimmt, wird bald Bescheid bekommen, was deutsche und europäische Jugend meint. An Erlebnissen fehlt es mir nicht. Ich treffe einen jungen Menschen, der auf dem Weg nach Arbeit im Ruhrgebiet ist. Bald weiß ich, daß er neulich aus einem Gefängnis entlassen wurde. Ich erfahre viel von dem, was dort vor sich ging. Im Laufe des Gesprächs erzähle ich ihm, wer den letzten Fußballkampf beim Sportfest des Gefängnisses gewann. Dies und manche andere Andeutung machen ihn stutzig und zuletzt ahnt er, wer ich bin. Wir bleiben aber trotzdem Kameraden und finden auch eine Arbeit an seinem Heimatort. Oder ein Fürsorgezögling ist auf dem Weg nach Hamburg; er will als blinder Passagier nach Amerika. Er hat soeben seinen freien Sonntag dazu benutzt, „abzuhauen”. Es ist nicht ganz einfach, ihn zur Umkehr zu bewegen; es kostet auch nicht wenig Mühe, einigermaßen rechtzeitig wieder in seinem Heim zu sein und eine glaubwürdige Entschuldigung vorzubringen. Ich glaube aber, wir haben es vereint geschafft!
Einige reden von Humanitätsduselei und andere jammern, alles verstehen heiße alles verzeihen. Lassen wir uns nicht bange machen. Weder Humanität noch Verzeihen sind teuflische Laster. Aber darauf kommt es gar nicht an. Niemand ist berechtigt, auf ein Verstehen, das ihm möglich ist, zu verzichten, mögen die Folgen sein, wie sie wollen. Das Wissen um die Ursachen der Krankheiten führt zur Vorbeugung und Heilung. Dasselbe gilt für die Kriminalität. Die Maßnahmen, die erforderlich sind, werden noch hart genug sein müssen. Entscheidend muß aber sein, sie dürfen nicht über das Notwendige hinausgehen, sie müssen den Ursachen angepaßt werden. „Die Einstellung der Öffentlichkeit zu Verbrechen und Verbrechern ist einer der unfehlbarsten Tests für die Zivilisation eines Landes. Unermüdliche Anstrengungen, heilende und pädagogische Maßnahmen zu entdecken, und ein nie versagender Glaube, daß, wenn wir nur suchen, im Herzen eines jeden Menschen ein Schatz begraben liegt, sind Zeichen und Beweise für die lebenden Tugenden eines Volkes.” Das Wort stammt von Winston Churchill.
Es ist den Ärzten nicht gelungen, alle Erkrankungen zu heilen, auch Psychopathen sind nicht eben leicht zu normalen Menschen zu machen. Vieles, was an Schrecklichem geschieht, ist aber die Folge von Lieblosigkeiten, die ein Mensch in der Jugend oder auch später erfährt. Manches kann hier gut gemacht werden. Soziale Not kann gebannt, Erziehung und Lehrzeit können nachgeholt werden. Unmenschliche Maßnahmen schaden nur; geprügelte Kinder prügeln wieder; Mord und Todesstrafe sind Zwillinge, sie heben sich nicht auf, sondern pflanzen sich fort.
Es gehört zu den schönsten Erlebnissen meiner Arbeit, daß es gelungen ist, einen Kreis uneigennütziger Männer und Frauen aller Altersklassen und Berufe zu finden, die bereit sind, Menschen, die strauchelten, dabei behilflich zu sein, in der Gemeinschaft wieder Wurzeln zu schlagen. Das erfordert kein Studium großer Wissenschaften, nur das Herz muß auf dem rechten Fleck sein. Gibt es etwas Schöneres, als zu wissen, daß ein junger heimatloser Gefangener am Gefängnistor von einem Menschen erwartet wird, der Vertrauen schenkt und Vertrauen empfangen will, der Kamerad und Freund sein möchte.
Vor mir liegt der Brief eines jungen Strafgefangenen, der kaum je die Nestwärme einer Familie gespürt, in den Wirren der Kriegs- und Nachkriegszeit Schlimmes gesehen und gehört und zuletzt eine furchtbare Tat begangen hat. Der Brief lautet: „Lieber Herr Generalstaatsanwalt! Sie wissen, wir haben viel Zeit, auch ich habe viel Zeit. In den letzten Tage habe ich mir überlegt, wie ich Sie anreden soll. Sie sind mir sicher nicht böse, wenn ich die obige Überschrift gewählt habe. So ist's mir ums Herz. Sie haben mir Mut zu machen versucht, und wie Sie von der Welt und den Menschen gesprochen haben, war sehr schön. Aber Sie müssen mir weiterhelfen. Es gibt so viele Dinge, die ich nicht klarbekomme. Warum hat Gott mich auf die Welt kommen lassen? Warum hat er die Tat, meine Tat geschehen lassen? Warum hat er zugelassen, daß Kinder ihren Vater verloren haben? Ich frage und frage . . .” Der Fragen des jungen Hiob sind viele. Ich kann sie nicht beantworten. Ich habe sie dunkel kommen sehen, als ich Jurist wurde. Vielleicht habe ich damals geglaubt, ihrer Herr zu werden. Ich bin es nicht geworden. Wir können aus der Erde keinen Himmel machen, aber jeder von uns kann etwas tun, daß sie nicht zur Hölle wird.