Neu auf DVD und Blu-ray ab dem 27. Juni 2017
Klaus Hagert
Mannheim (Weltexpresso) - Was es heißt, blind zu sein, könnte man ausprobieren und sich die Augen schwarz verbinden und dann seine Erfahrungen machen. Doch tut man das nicht. Das Dialogmuseum in Frankfurt hingegen versetzt einen in diese Situation und aus eigener Anschauung kann ich sagen, daß die Wirkung umwerfend ist und man einen Heidenrespekt vor blinden Menschen gewinnt und wie sie ihr Leben meistern.
Und solche Aufmerksamkeit und Einsicht erreicht nun dieser Film. Nein, unsere Hauptperson, der junge Saliya (Kostja Ullmann) ist nicht völlig blind, aber durch eine krankhafte Netzhautablösung hat er in ein paar Monaten sein Sehvermögen bis auf 5 Prozent eingebüßt. Das klingt nicht nur dramatisch, sondern wird uns - die eigentliche Stärke des Films - auch sinnlich erfahrbar gemacht, ob wir wollen oder nicht. Regisseur Marc Rothemund hat seinen Kameramann Bernhard Jasper das Notwendige tun lassen: zuerst sind es nur Teile des Bildes, die wir mit den Augen von Saliya sehen - und nichts mehr erkennen, nur eine Ahnung von blinden Flecken. Später wird das, was er sieht, sogar auf die gesamte Leinwand projeziert und seine Schwierigkeiten gehen uns unter die Haut - und zwar tief.
Wenn man das kaum glauben mag, was der Film uns jetzt erzählt: daß der Schulabgänger unbedingt eine Hotelfachausbildung machen will und, nachdem er wegen seiner Sehschwäche jedesmal abgelehnt wird, er die neue Strategie fährt und von seinem Handikap nichts sagt und sich sogar beim Fünf-Sterne-Spitzenhotel Bayerische Hof in München bewirbt. Und angenommen wird. Aber was kann man ob dieser Unwahrscheinlichkeit entgegnen, wenn doch der Film auf dem gleichnamigen Roman von Saliya Kahawatte beruht, der noch ausführlicher seine Situation schildert, die hier auf die Ausbildung im Hotel zusammengeschnurrt ist.
Und die Unwahrscheinlichkeiten werden zudem gemildert, weil es eben doch dem einen oder anderen auffällt, daß mit seinen Augen etwas nicht stimmt; aber niemand verrät ihm, sondern jeder will ihm helfen. Das liegt an der bescheidenen, gleichwohl ehrgeizigen Art des Jünglings, der aber niemals auf Kosten anderer besser sein will, sondern voraussetzunglos gut sein will, damit er seine Ausbildungsziele und die Abschlußprüfung besteht.
Etwa bis zur Hälfte des Films erleben wir mit, wie Saliya, Sali genannt, von zu Hause aus von Vater (Singhalese) und Mutter (Deutsche), vor allem aber von seiner Schwester Sheela (Nilam Farooq) emotional aufgebaut wird und vor allem durch Sheela mit Hilfe von Schritten und vorweggespielten Begrüßungsszenen geschult wird. Sie hatte ihm schon mit großem Erfolg die Texte zum Abitur vorgelesen, die er auswendig lernte, weshalb er mit guter Note sein Abitur schaffte. Genauso hilft ihm während der Ausbildung im Bayerischen Hof der völlig anders gestrickte Max (Jacob Matschenz), der mit ihm zusammen zur Hotelfachausbildung angefangen hat. Max hat nicht denselben Ehrgeiz, aber er hat einen Vater mit einem Restaurant im Rücken, was ein Druck für den Jungen ist, aber auch eine Chance. Denn die beiden lernen dort abends, und was einst die Schwester dem Bruder mit den Schritten vormachte, wird nun auf das Hotel und die dortigen Anforderungen bezogen, eingeübt und bewältigt.
Den Ausbildungsteil Roomservice hatte Sali ohne Probleme absolviert, aber in der Küche bemerkt Küchenchef Kron (Michael Grimm) schnell das Fast-Blindsein des Jungen, spielt aber mit und hilft ihm. Bis dahin ist alles gut gegangen und hat auch der Film sehr gut gefallen. Wenn der zweite Teil für uns abfällt, hat das mit Zweierlei zu tun. Sein letzter Ausbildungsabschnitt ist das Restaurant, wo ihn dessen Chef Kleinschmidt (Johann von Bülow) strietzt und ihn zum Beispiel das Gläser-Streifenfrei-Putzen auch fünf Mal wiederholen läßt. Und als er es dann endlich merkt, daß da was nicht stimmt, dreht sich seine Haltung und er tut er alles, um Sali durch die Prüfung zu bekommen. Aber das, was im zweiten Abschnitt des Films alles nicht klappt, was Sali alles zusammenhaut und die Unglückssituationen, die kommen dann alle auf einen Schlag und der ernsthafte Film verkommt leicht zur Unglücksklamotte. Es ist halt lustig beim Anschauen, wenn einer nichts sieht und deshalb in jedes Fettnäpfchen tritt, was mit vielen Gläsern und großen Tabletts dann gehörig Krach macht und Scherben bringt.
Die zweite Sache, die irritiert, ist, daß erklärungslos der Vater auf einmal abgehauen ist, zurück in seine Heimat, wo er sofort eine neue Frau und neue Kinder habe. Die Mutter kommt nun in finanzielle Nöte, weshalb der Azubi auch noch eine Zusatzbeschäftigung annimmt, am Abend, weshalb er am nächsten Morgen nicht aus dem Bett kommt, zu spät ins Hotel kommt etc.
Auch die Liebesgeschichte, wo sich Anna Maria Mühe als Flamme Laura alle Mühe gibt, bleibt insofern rätselhaft, als sie diejenige ist, die überhaupt nichts von seiner Behinderung bemerkt. Das kommt einem erneut unglaubwürdig vor. Das entkräftet sofort der Einwand, so war es doch, der Autor Saliaya hat es doch genauso erzählt. Hier aber sieht man, daß das wirkliche Leben in einen Film übersetzt, nicht 'wirklich' und 'wahrhaftig' bleibt, sondern eine andere Färbung erhält.
Das gilt für den zweiten Teil des Films, den wir zwar schwächer fanden, aber trotzdem diesen Film ausgesprochen empfehlen wollen, weil er einem ohne Holzhammer, ja sogar als Komödie, eine gesellschaftliche Wirklichkeit von Sehschwachen so präsentiert, daß dies unter die Haut geht.
Gut ist auch, daß -nicht dick aufgetragen, aber dennoch - die Botschaft eindeutig ist, daß seine Behinderung zu verschweigen, auf Dauer nicht nur Streß bedeutet, sondern nach hinten losgeht. Von daher ist das ein Film für alle, für Betroffene und die, die glauben, ihnen könne so etwas nie passieren.
Foto: © Verleih
Info:
Der Film beruht auf der Autobiographie von Saliya Kahawatte.
DVD
Laufzeit: ca. 106 Min.
Bild: 2,40:1 (anamorph)
FSK: ab 6
Sprachen: Deutsch (5.1 Dolby Digital), Hörfilmfassung für Blinde und Sehbehinderte Untertitel: Deutsch für Hörgeschädigte Verpackung: DVD Einzel
Best.-Nr.: 505747 EAN: 4006680081243
Blu-ray
Laufzeit: ca. 111 Min.
Bild: 2,40:1 (1080/24p Full HD)
FSK: ab 6
Sprachen: Deutsch (5.1 DTS-HD MA), Hörfilmfassung für Blinde und Sehbehinderte Untertitel: Deutsch für Hörgeschädigte Verpackung: Blu-ray Einzel
Best.-Nr.: 505748 EAN: 4006680081250
Extras:
Featurette „Kostja trifft Sali“
Interviews mit Jacob Matschenz, Kostja Ulllmann, Anna Maria Mühe, Nilam Farooq, Regisseur Marc Rothemund und den Produzentinnen Yoko Higuchi-Zitzmann und Tanja Ziegler
ZDF 37Grad Dokumentation "Augen zu und durch" über Saliya Kahawatte
Testdreh, Outtakes, Abschlussfilm, Bergfest-Film, Premierenclip, Making of, Trailer & Wendecover