Heinz Markert
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - In der Rückschau und Erinnerung rückt Beuys als gesellschaftlicher Wegweiser und Wegbereiter immer wieder ins Bewusstsein, auch weil er so anders war. Er war nicht oberflächengeschliffen. Es wurde ihm zugeschrieben, eine ehrliche und berechenbare Haut zu sein.
Er war ein Getriebener der Universalität des Verständnisses von Kunst, eines das über die approbierte Professionalität hinausweist.
‚Kollegen‘ in der Düsseldorfer Kunstakademie intrigierten 1972 im Kontext seiner Auseinandersetzung mit der Kultusbürokratie - bei der es um die Maximalzahl der in die Beuys-Klasse Zuzulassender ging - gegen ihn, denn er war zum Inbegriff des erweiterten Kunstbegriffs geworden. Dieser richtet sich auch gegen professorale Selbstüberhebung, die mit der großen Kunst allzu gern einhergeht. Er bestand auf dem offenen Kunstbegriff auch im Alltag der Universität. Er blieb auf der documenta stets zugänglich, scheute keine Diskussion. Die Grünen säuberten ihre Partei von ihm, weil er die Konventionen der Parteidisziplin nicht einhielt und sie auch befürchteten, dass er sie Stimmen kosten könnte.
Er legte die Kunstprofessionalität gesellschaftspolitisch aus, verlegte die Kunst noch einmal mehr aus der Akademie zurück in die soziale Wirklichkeit. Kunst ist zugleich diesseitige wie jenseitige Angelegenheit. Seltsamerweise unterscheidet er sich auch von der beträchtlichen Zahl hochangesehener Koryphäen der Moderne des 20. Jahrhunderts. Er gehört diesem Kreis nicht an. Er band die Kunst mehr ans Paläopolitische eines hellhörigen Hordenwesens zurück, welches endlos durch Zeiten und Welten - womöglich Kosmen – driftet, wandte sich an post-politische Weltbewohner des Atom-und Neutronenbombenzeitalters, die schon etliche Katastrophen, menschlich gezeugte, hinter sich wissen und in den Monstergebilden der Mega-Städte nach neuen Haltegriffen suchen. In jedem Fall ist seine Kunst nie kopflastig und abgehoben gewesen.
Ein Film, der packt
Der neue Beuys-Film will nicht nur einmal gesehen werden. Es gibt Ausschnitte mit Aktionen und propagierten Botschaften, die den Betrachter wie Erweckungen angehen, weil sie den zivilisatorisch eingehegten Willen aufbrechen und direkt zu Mobilisierungen gegen Fremdbestimmungen aufrufen. Es zieht einen nach dem Film öfter wieder zurück in den Film. Wie kommt einer zu dem Punkt, so traumwandlerisch selbstsicher von der üblichen Konditionierung abzuweichen und zur befreienden Tat - stellvertretend für die Vielen - überzuwechseln. Was regt sich da an Ungebrochenem, das im Prozess der Gesellschaft üblicherweise verlorengeht oder verkümmert?
Unter anderem waren es die öffentlichen Dispute mit Gegnern aus dem Milieu konditionierter Bewusstseinsverfasstheit, denen er unter befreienden Lachsalven knapp und überlegen parierte; das machte ihn so unvergleichlich. Er konnte seine Widersacher stets entwaffnen. Ein Absolutum im Verhältnis Großer Geist – Kleine Geister kam mit seiner ‚eh-eh-Rede‘ auf den Plan. Das war Aktion von überlegenem Format, eine Kunstgeschichte machende Performation, die exemplarisch nachwirkt – nicht wiederholbar ist. Aufmüpfige Zivilgesellschaft, Du hättest noch viel vor Dir!
Beuys ist der Gewährsmann für die aufbegehrende Zivilgesellschaft. Zu einem aktuellen Thema wäre ein Großexperiment denkbar: Die verkehrsgestresste Gesellschaft könnte sich an einem bestimmten Tag an den Straßenrand stellen und sich mit der mit Daumen und Zeigefinger zugehaltenen Nase dem Krach, Lärm und den giftigen Emissionen der Kraftfahrzeuge entgegenrecken. Wie würde der gewöhnliche Autofahrer reagieren? Ob der Verkehrsclub Deutschland in der Lage wäre, eine solche Aktion zu bewerben?
Auch wenn Beuys radikal war, konnte er doch sehr gefühlvoll sein, z.B. wenn ein Kind zu ihm kam und ihn etwas fragte; bei ihm nach Erklärungen ersuchte. Dann ließ er sich viel Zeit.
Vergessen, was der Film an Schwierigkeiten mit sich brachte
Der Filmemacher Andres Veiel ist keiner, der mit seinem Film über Beuys doziert. Der Film enthält keine Kommentare aus dem Off. Kunst bleibt in Ausschnitten für sich stehen. Auch aus der Erfahrung mit den vielen Lizenzen, die nur aufwendig zu erhalten waren, wird nicht um einer vordergründigen Wirkung willen versucht, Beuys aus dem Off noch besser verstehen zu wollen - besser auch als er es selbst gekonnt oder gewollt hätte. Selbst wenn er als Künstler des prophetischen Willens und Wirkens bezeichnet werden darf – er war Visionär im gesellschaftlichen Sinn - blieb er immer auch Antiheld, der verzweifelt versucht, anders als gewohnte Lehrer vor einer Klasse oder Menschheit zu agieren; einer Menschheit, die sich in weitgehender Unkenntnis über die wahrhaft allgemeinen Mächte (nach Hegel) der Welt befindet; die in Ketten liegt - der strukturell verwehrt wird, ihre Potentiale zu entfalten.
Andres Veiel machte in einer anschließenden Runde nach der Vorführung des Films im Filmmuseum Frankfurt am Main deutlich, dass es mit dem Lizenz-Bekommen eine schwierige Sache war. Für den Film musste für jedes Foto und für jedes Kunstwerk die Genehmigung der Erben und Rechte-Haltenden schriftlich eingeholt werden. Die Nachwelt wacht also über ihn. Dazu waren Anwälte eingeschaltet, die nicht für lau zu haben sind.
Der Film ‚Beuys‘ versetzt uns in eine vergangene Zeitgeschichte. Andres Veiel deutete an, was ihm bei der Arbeit am Film klar wurde. Beuys war für ihn ein Wegbegleiter über lange Strecken. Dieser habe Ideenräume aufgeschlossen, von denen ‚vieles aktuell‘ ist. Beuys´ Einsichten seien wegweisend gewesen. Der Film beginnt mit Beuys Satz, dass es um ‚die inneren Fragen aller‘ geht, für die das Interesse zu wecken Kunst antritt. Das machte ihn zu einem faszinierenden Aktionskünstler, der die Menge vor dem Schaufenster, hinter dem er kauerte, schockierte, verstörte und sie nur fragend, zum Teil auch zornig, zurückließ, jedoch auch zum Nachdenken anregte.
Beuys war der so ganz andere im Hier und Jetzt
Beuys sei kein Stratege gewesen nach dem Motto: ‚Was bringt mir das?‘ Ein gesellschaftlich kalkulierendes Verhalten habe er verachtet, so Veiel. Unvergessen ist der Disput auf dem Podium des Fernsehens mit dem konservativen Kultur-Establishment um Arnold Gehlen, wie der Fernseh-Disput ‚Provokation Lebenselement der Gesellschaft – Zu Kunst und Antikunst‘ zwischen Beuys, Max Bense, May Bill und Gehlen vom 27. Januar 1970. Diese Diskussion war eine erste Begegnung mit dem Künstler Beuys und blieb für immer lebhaft hängen.
Lebendig in Erinnerung sind auch die Diskussionen um die Honigpumpe (1977). Warum eigentlich, wo doch nun die Bienen, die Honig liefern und ihr Bestäubungswerk verrichten, fundamental gefährdet und zur schlechthin bedrohten Art geworden sind, was absehbar war. An diese Gefahr hat damals kaum jemand gedacht, das heißt: nicht so weit denken wollen.
Beuys wurde oft verletzend angegangen. Wenn er den Hörer abnahm, schalte es ihm schon mal entgegen mit: ‚Idiot‘. Die alte Verletzung, das Extremerlebnis des Absturzes, wurde aufgefrischt. Die Selbstinszenierungen zum dem Zweck, seine Botschaft unter die Leute zu bringen, war auch der Versuch, sich selbst zu befreien. So brannte er, wie Veiel sagte, wie eine Kerze von zwei Seiten ab. Sprichwörtlich ist seine Ansage, als Mensch müsse er sich verschleißen, ‚sich bis zur Asche verbrennen‘. Selbstüberforderung war ein Grund für sein allzu frühes Sterben. Es war ein Kämpfer gegen die Ignoranz, der einen Zusammenbruch einkalkulierte. Das Herz machte nicht mehr mit, denn: er musste brennen ohne Unterlass.
Forsetzung folgt
Fotos:
Titel © beuys-der-film.de, Andres Veiel und © Heinz Markert
Info:
Was tut sich - im deutschen Film?
Andres Veiel präsentiert BEUYS
BEUYS
Deutschland 2017. R: Andres Veiel Dokumentarfilm. 107 Min. DCP
Vorprogramm "Deutsche Bank. Sie nennen es Sterbehaus" (Kurzlesung)
Mittwoch, 12.07.2017 20:15 Uhr
Deutsches Filminstitut / Deutsches Filmmuseum, Schaumainkai 41, 60596 Frankfurt am Main
Nach dem Film sprach Rudolf Worschech (epd film) mit Andres Veiel.
Titel © beuys-der-film.de, Andres Veiel und © Heinz Markert
Info:
Was tut sich - im deutschen Film?
Andres Veiel präsentiert BEUYS
BEUYS
Deutschland 2017. R: Andres Veiel Dokumentarfilm. 107 Min. DCP
Vorprogramm "Deutsche Bank. Sie nennen es Sterbehaus" (Kurzlesung)
Mittwoch, 12.07.2017 20:15 Uhr
Deutsches Filminstitut / Deutsches Filmmuseum, Schaumainkai 41, 60596 Frankfurt am Main
Nach dem Film sprach Rudolf Worschech (epd film) mit Andres Veiel.