f helleSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 10. August 2017, Teil 4

Filmheft

Berlin  (Weltexpresso) – Was war nach Ihrem letzten Film Gold der Impuls für die VaterSohn-Geschichte von Helle Nächte?

Ich wollte nach Gold wieder einen direkteren, persönlicheren Film drehen, mit einem kleinen Team, ohne allzu großen logistischen Aufwand, bei dem ich mich ganz auf die Hauptfiguren und ihr Verhältnis zueinander konzentrieren konnte. Das war der Ausgangspunkt. Warum ich jetzt ausgerechnet diese Geschichte gewählt habe, kann ich nur schwer sagen, da müsste man wahrscheinlich einen Psychologen fragen ... (lacht).


Sie sind selbst Vater. Inwieweit ist da Autobiografisches in den Film eingeflossen?

In dem Film stecken natürlich auch eigene persönliche Erfahrungen. Aber der Film ist nicht autobiografisch. Ich selbst habe zum Beispiel ein gutes Verhältnis zu meinem Sohn. Der Film ist eher eine Mischung aus Dingen, die ich selber kenne, und Beobachtungen in meinem Umfeld und Bekanntenkreis.


Warum ist es so schwer für Vater und Sohn, sich anzunähern?

Michael und Luis haben nie zusammen einen Alltag entwickelt. Sie müssen erst versuchen, eine gemeinsame Sprache zu finden. Diese Versuche gehen eher vom Vater aus. Der Sohn verlangt jedoch von seinem Vater zuallererst Anwesenheit und Präsenz, nicht Aussprache. Die Verletzungen, die die lange Abwesenheit des Vaters bei Luis verursacht hat, und sein Stolz verbieten es ihm, es seinem Vater leicht zu machen. Daher wird im Film auch fast immer zu viel oder zu wenig oder im falschen Moment geredet.

Wiederholt sich bei Michael etwas, was er mit seinem eigenen Vater erlebt hat?

Können wir unseren Eltern entkommen, auch wenn wir nicht so sein wollen wie sie? Dass man Fehler der Elterngeneration verinnerlicht oder sie hier und da dann doch wiederholt, auch wenn man es nicht für möglich gehalten hätte, ist etwas, glaube ich, das sehr elementar ist und von dem sich nur wenige Menschen freimachen können. Möglich ist es natürlich, aber es ist etwas, an dem man ständig arbeiten muss. Helle Nächte erzählt von dem Versuch, diesen nur schwer überwindbaren Kreislauf der Wiederholungen zu durchbrechen.


Verstellt die eigene Erfahrung die Wahrnehmung des anderen, gerade in Familienkonstellationen?

Es ist, glaube ich, nicht so einfach, von seiner Selbstbefangenheit abzusehen und den anderen als die Person, die er ist, wahrzunehmen. Das ist in vielen Familienkonstellationen noch einmal besonders schwer, weil die Wahrnehmung überformt ist durch Alltag, durch Rollenbilder… Da wieder einen offenen Blick für den anderen zu gewinnen, ist ein großer Schritt.


Die Landschaft wirkt wie ein dritter Hauptdarsteller. Wie sind Sie auf Norwegen gekommen?

Die Rolle der Natur ist in erster Linie ausgehend von den Figuren angelegt, als konkretes Element der Geschichte. Dass sich die Hauptfiguren plötzlich in der Einsamkeit der nördlichen Landschaft Norwegens wiederfinden, ist keine Entscheidung, die sie freiwillig getroffen haben. Es verschlägt sie eher dahin, als dass sie sich das bewusst ausgesucht hätten. Der Ausgangspunkt ist der Tod von Michaels Vater. Erst nach der Beerdigung beschließen Michael und Luis, ein paar Tage zusammen in der Region zu verbringen, und weil das so eine einsame, verlassene Gegend ist, die nur wenig Ablenkungsmöglichkeiten bietet, sind sie fast die ganze Zeit auf sich selbst zurückgeworfen. Das war mir als Bild wichtig, nicht als Symbol: Die Landschaft als konkreter Schauplatz, der dazu führt, dass sie versuchen müssen, miteinander auszukommen.


Ebenso wie in Ihren vorherigen Filmen spielt das Motiv der Bewegung eine wichtige Rolle.

Ja, die Bewegung der Figuren durch den Raum ist auch in den anderen Filmen wichtig. In Helle Nächte sind Vater und Sohn in dieser weiten, dünn besiedelten Landschaft ganz auf sich selbst zurückgeworfen. Das Auto, mit dem sie reisen, ist für sie Fortbewegungsmittel und Käfig zugleich. Die Fahrtaufnahmen sind in erster Linie für den Rhythmus des Films wichtig, und sie geben der Welt, durch die sich die Figuren bewegen, eine Präsenz. Der Raum und die Figuren gehören zusammen. Die physische Reise-Bewegung ist ein Teil der Handlung und dadurch mit den Gefühlen der Figuren verbunden.


Sie haben einen für ein Roadmovie eher langsamen Rhythmus für den Film gewählt, mit dem Höhepunkt einer vierminütigen Nebelfahrt in den Bergen.

So gehe ich eigentlich nicht an Filme heran, dass ich denken würde, das wird jetzt ein schneller oder ein langsamer Film. Wir haben versucht, der konkreten Geschichte einen Rhythmus zu geben, und der Rhythmus, den der Film jetzt hat, schien uns richtig für die Erzählung zu sein, für die Bewegung der beiden durch den Raum. Was die Nebelfahrt angeht: Diesen Moment haben wir in Norwegen beim Drehen so vorgefunden, der war eigentlich nicht geplant. Ich fand das physisch schön, aus der nebelfreien Zone in die Berge und den Nebel reinzufahren. Die Erfahrung, da richtig reinzutauchen, er- schien uns stärker, als das mit Schnitten zu unterteilen und zu verkürzen.


Was waren Ihre Überlegungen, zusammen mit Ihrem Kameramann Reinhold Vorschneider, zur Bildgestaltung von Helle Nächte?

Reinhold war bereits früh involviert. Wir können uns schnell über viele Dinge verständigen, da wir hinsichtlich unserer Filmarbeit ähnliche Interessen und Vorlieben haben. Und ich schätze seinen genauen, kritischen Blick. Er kannte schon die letzten Drehbuchfassungen, und bei den konkreten Vorbereitungen zu den Dreharbeiten haben wir eng zusammen gearbeitet. Während der beiden Recherche-Reisen haben wir zusammen die Schauplätze ausgesucht und sind vor Ort die einzelnen Szenen durchgegangen. Später haben wir auf der Grundlage einer Unmenge von Fotos mögliche Einstellungsfolgen skizziert. Wir wollten für diesen Film ohne Licht und mit einem eher geringen technischen Aufwand arbeiten. Was uns im Vorfeld lange beschäftigt hat, waren die Fahrtaufnahmen und die Szenen im Auto. Die Kamera im Auto einzurichten kostet immer relativ viel Zeit. Wir wussten, dass wir bei den Fahrtaufnahmen ohne Trailer arbeiten wollten, und haben uns letztlich auch aus logistischen Gründen auf wenige Positionen beschränkt. Da wir bei begrenzter Drehzeit immer auch die eingeschränkten Arbeitszeiten von Tristan Göbel berücksichtigen mussten, war es wichtig, besonders gut vorbereitet zu sein. Trotzdem haben wir uns bei den Dreharbeiten die Freiheit genommen, vieles auch zu verändern, wenn es uns sinnvoll erschien.


Sie gelten als zurückhaltend im Einsatz von Filmmusik, nun arbeiten Sie wie bei Gold wieder mit einem komponierten Filmscore.

Die Musik hat eigentlich bei allen meiner Filme eine Rolle gespielt. In Im Schatten gab es auch bereits einen für den Film hergestellten Score. In Geschwister und Der Schöne Tag waren es einzelne Musikstücke, die für den Film geschrieben wurden. In den anderen Filmen bestand die Musik ausschließlich aus bereits existierenden Stücken oder war in der Szene verankert. In Helle Nächte gibt es beides, was mir mehr Gestaltungsspielraum gibt. Reinheitsgebote interessieren mich nicht.


Wie haben Sie Tristan Göbel für die Rolle des Luis gefunden?

Ich habe Tristan beim Casting kennengelernt. Ich wusste, dass er schon in einigen Filmen gespielt hatte, zuletzt eine Hauptrolle in Tschick, aber den kannten wir noch nicht, da der Film zum Zeitpunkt unserer Darstellersuche noch nicht draußen war. Tristan war beim Casting einfach der Beste, außerdem konnte ich ihn mir gut in der Konstellation mit Georg Friedrich vorstellen. Und er konnte sofort etwas mit der Geschichte anfangen. Die Arbeit mit ihm war eine große Freude. Er hat eine erstaunliche Offenheit vor der Kamera und ist frei von Manierismen.


Wie war die Zusammenarbeit mit Georg Friedrich, dessen außergewöhnliche Darstellung nun mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet wurde?

Ich verfolge die Arbeit von Georg Friedrich schon lange. Georg ist ein sehr erfahrener und vielseitiger Schauspieler, der seine Erfahrung und seine Technik dazu nutzt, um sich davon frei zu machen. Er ist bei den Dreharbeiten immer sehr gut vorbereitet und probiert gleichzeitig immer viel aus. Das ist eine interessante Mischung. Bei Wiederholungen, und wir haben viele Szenen sehr oft wiederholt, war jeder Take anders. Das war hilfreich und wichtig. Denn die Dreharbeiten sind für mich nicht nur die Umsetzung eines Drehbuches und die Realisierung von etwas, was man bereits vorher festgelegt hat, sondern immer auch eine Suche nach dem richtigen Weg.


Gegen Ende der Reise gibt es einen berührenden Moment der Umarmung zwischen Vater und Sohn, ganz am Ende sehen wir Michael allein.

Es gibt diesen Moment, wo sie sich nahe kommen, und das ist ein Schritt, den Michael vorher nicht gemacht hat, ein Begreifen vielleicht, dass man Verantwortung tragen muss. Aber es ist ein Moment, der sich auch wieder auflöst. Ich fand es wichtig, dass bei Michael etwas aufbricht, etwas, das sein bisheriges Selbstbild in Frage stellt und einen Möglichkeitsraum schafft für ein anderes Verhalten.


Foto: © Verleih 

Info:
Thomas Arslan
Deutschland, Norwegen 2017
Deutsch, Englisch
mit Georg Friedrich, Tristan Göbel, Marie Leuenberger, Hanna Karlberg