TIGERMILCH

Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 17. August 2017, Teil 6

Romana Reich

Berlin (Weltexpresso) – Filme vom Großwerden haben immer Konjunktur, einfach weil das Wachsen vom Kind über den Jugendlichen bis zum Erwachsenen täglich vor sich geht, nur merkt man das oft erst im Nachhinein, eben auch, daß man nicht auf einmal erwachsen ist, sondern auch dies ein lebenslanger Prozeß bleibt.

Der Film um die beiden - Halbstarken hätte man früher gesagt – also der Film um die beiden pubertierenden Mädchen Nini (Flora Thiemann) und Jameelah (Emily Kusche) geht über psychosoziale Probleme der beiden weit hinaus und umfängt das Revoltieren gegen Usancen der Konsumgesellschaft, den Widerstand gegen Schule und Lehrer, die Klassenunterschiede zwischen Reich und Arm, die weiteren Abstufungen durch fehlende Aufenthaltserlaubnis und von daher Abschiebung in das Herkunftsland und dann auch noch von den Banden der Freundschaft, hier unter Mädchen. Ein ganzer Kosmos also und eine Menge für 106 Minuten Film!

Wie man mit Schwung und Volten solches inhaltliche Programm schafft, hatte die Autorin Stefanie de Velasco mit ihrem Jugendroman vorgemacht, den Ute Wiegand nun so rotzig wie trotzig auf die Leinwand bringt. Ist das wirklich so, daß heranwachsende Mädchen – diese sind 14 Jahre - das alles ausprobieren wollen, was die Gesellschaft entweder als falsch oder gefährlich ihnen vormacht? Einschließlich Babystrich? Das muß uns nicht weiter interessieren, denn diese beiden hier, Nini und Jameelah tun es halt. Wer aber sind diese beiden?

Nini hat eine Mutter Gisa Flake), die ihre Würde als Frau längst aufgegeben hat und walroßschwer auf der Couch vor dem Fernseher hockt. Der Vater ist stiften gegangen, aber es gibt einen neuen, der heißt Rainer (Heiko Pinkowski), fährt Taxi und ist der Vater der frühreifen kleinen Schwester Jessi (Anna Büttner), die Nini nun genauso miterzieht, wie es bei ihr selbst schon schiefgegangen ist. In der Schule ist sie zudem keine Leuchte und hat es wieder einmal so gerade geschafft.

Freundin Jameelah ist da von anderem Kaliber. Ehrgeizig, hochmotiviert, gute Noten. Sie wohnt gegenüber in der gleichen Art von Sozialbau, zusammen mit ihrer Mutter Noura (Narges Rashidi), die als Krankenschwester arbeitet, nachdem sie aus dem Irak nach Deutschland flohen, wo Vater und Bruder umgekommen waren.

Erst einmal erleben wir die beiden bei ihren Beutezügen durch die Konsumwelt, wie sie im Team andere verarschen, Männer aufgeilen und sie links liegen lassen oder verhohnepipeln, wie sie über die Stränge schlagen wollen, mit Alkohol - eigentlich auf der Suche danach, was sie mit ihren Energien, aber auch ihrem Übermut anstellen können. Zwei Sachverhalte verändern nun die mehr oder minder problemlose Welt der beiden. Jameelahs Mutter hat wohl einen Fehler gemacht und den Antrag zur Einbürgerung nicht rechtzeitig abgegeben, ja gar nicht verstanden, daß es darum ging, die Aufenthaltserlaubnis auf feste Füße zu stellen. Ergebnis: die Abschiebung für beide droht. Für Jameelah, die in Berlin aufgewachsen und integriert ist, absoluter Horror.

Das andere ist nicht weniger schlimm. Eine ältere Freundin der beiden, die Muslima Jasna (Luma Zimic Mijovic) will nicht die von der Familie für sie gedachte Lebensart mit Schleier etc., sondern tut sich mit einem Freund zusammen, der des Nachts niedergestochen wird. Die beiden Mädchen wissen von wem, aber vor allem Jameelah will auf keinen Fall zur Polizei gehen. Die beiden schauen auch erst einmal zu, als der jüngere Bruder verhaftet wird und die Tat auf sich nimmt, denn er muß nur mit Jugendstrafe rechnen. Es handelt sich um einen berüchtigten Ehrenmord, der zwar im Fernsehen und der Presse vorkommt, aber sehr selten in Jugendkomödien, die zu Tragödien werden.

Wie das ausgeht und warum an dieser Stelle Nini und Jameelah dann doch Verantwortung übernehmen, zeigt der Film, der zwar etwas reißerisch ist, aber sicher die Lebenswirklichkeit bestimmter Mädchen einfängt.

Ach so die Tigermilch? Wir sind halt keine Teenager mehr und kannten sie nicht. Hören dann aber, daß damit die Schulmilch gemeint ist, die mit Weinbrand aufgemischt ist, so daß ein MMM daraus wird: Milch, Mariacron und Maracujasaft.