Von Lida Bach
„Kreativität ist ein Vogel ohne Flugplan. Sie folgt nie einer geraden Bahn.“, heißt es in „Violeta Parra“ einmal aus dem Munde der Titelfigur. Getreu diesem Prinzip sträubt sich Andres Woods filmische Hommage an die chilenische Folk-Sängerin gegen jede Form von Kontinuität wie seine ambivalente Hauptfigur gegen die Konventionen ihres Umfelds.
„Was ist deine Geschichte?“, fragt der Moderator (Luis Machin) des Fernsehinterviews, um das Andres Woods prägende Episoden aus dem Leben der widersprüchlichen Künstlerin (Francisca Gavilan) gruppiert. Eine Antwort bleibt Violeta Parra schuldig. Nicht besser als dem Publikum im Fernsehstudio ergeht es dem Kinopublikum der fragmentarischen Existenzstudie des Autors und Regisseurs. Seinen verbrämenden Originaltitel „Violeta went to Heaven“ reduziert der hiesige Verleih auf den Namen der Hauptfigur. Sie wiederholt in der Rahmenhandlung lediglich gedankenvoll die zentrale Frage des skeptischen Interviewers und des gewogenen Plots, als habe sie selbst keine Erklärung. Doch wenn „Violeta Parra“, auch dies gilt für die Protagonistin ebenso wie den Film, eine ihr wichtig scheinende Sache nicht hat, arrangiert sie sich nicht mit dem Mangel, sie geht auf die Suche. Auf einer solchen Suche zeigt sie die Eröffnungsszene, die den Zuschauer irgendwo in die chilenischen Bergwelt irgendwann in den fünfziger Jahren versetzt.
Raum und Zeit sind untergeordnete Dimensionen für das kantige Filmporträt, das sich darin gefällt, ganz im glorifizierenden Bild aufzugehen. Auf jenem cineastischen Altarbild besitzt Violetas produktive Wanderschaft zu den folkloristischen Schätzen ihres Landes nicht nur eine soziokulturelle Ebene, sondern eine geradezu spirituelle. Sie wolle nach etwas anderem suchen, sagt sie: „Einer anderen Art von Musik.“ gefunden hat sie diese neue alte Musik in den überlieferten Gesängen der bäuerlichen Landbevölkerung. Ihre unverwechselbare Interpretation dieses Liedguts machte die 1917 in der ländlichen Provinz geborenen Tochter eines Dorflehrers (Christian Quevedo) zur Begründerin des „neuen chilenischen Lieds“. Dieser vorkämpferische Nimbus überzeugt neben dem Komitee des Louvre, dem sie ihre zeichnerischen und kunsthandwerklichen Arbeiten vorlegt, den Anthropologen Gilbert Favre (Thomas Durand), mit dem Violeta eine Romanze beginnt. Doch ihre künstlerische Eifersucht erstickt die unstete Liebesbeziehung zu dem Schweitzer Musiker, denn die Violeta des Films will eher eine Rivalin an Gilberts Seite ertragen, als ihn als künstlerischen Konkurrenten.
Die kreative Umtriebigkeit der Musikerin, die auch Malerin, Dichterin, Bildhauerin und Töpferin war, entspringt im Film einer Geltungsgier, die Verwehrung als Beleidigung empfindet und Desinteresse als Provokation. Daran, dass der aufmüpfigen Frau mit dem pockennarbigen Gesicht die Musik tatsächlich mehr als alles bedeutet, erinnern ihr kleiner Sohn Angel (Patricio Ossa) und die Tochter Carmen (Stephania Barbagelata). Deren kleine Schwester erlag in der Realität offiziell einer Lungenentzündung, im Film stirbt sie indes augenscheinlich an elterlicher Vernachlässigung. Fast zynisch wirkt in diesem Kontext die von der tragischen Heldin gesungene Klage „Wie die Seele schmerzt, wenn bitteres Schicksal dem im Wege steht, was das Herz will.“. Eine markante Landsmännin in den Anden, begleitet von nichts als ihrem Gitarrenkoffer; in dieser ikonenhaften Position wollen Woods und Kameramann Miguel Ioan Littin sie im Geist des Zuschauers rahmen, so häufig kehren sie zu ihr zurück.
Die metaphysisch angehauchte und zugleich organische Szene bleibt einer der raren Fixpunkte in einer Lebensskizze, die keiner erzählerischen Struktur gehorcht, sondern allein ihrer Impulsivität. Auch dies ganz im Sinne und nach den Worten Violetas: „Umarme das Chaos.“
Oneline: Eingängiges Porträt einer prägenden Musikerin trotz inszenatorischer Dissonanzen.