f beste weltSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 28. September 2017, Teil 6

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) -  Die folgenden Artikel gehen auf die Entstehungsgeschichte des Films ein, inwieweit nämlich Regisseur Adrian Goiginger hier sein eigenes Großwerden, die eigene Kindheit und damit auch das Schicksal seiner Mutter verfilmt.

Deshalb wollen wir hier nicht weiter auf diese, natürlich entscheidend wichtige Vorgeschichte eingehen, sondern uns nur mit dem Film selbst beschäftigen, der ja auch ‚funktionieren‘ muß, wenn man keine Vorkenntnisse hat. Und das tut er! Es handelt sich um einen Film, der einen, auch wenn man eigentlich nicht immer wieder von Kindern aus sozialschwachen Elternhäusern, bzw. von drogenabhängigen Eltern hören will, so subtil und millimeterweise in das Geschehen hineinzieht, daß man gebannt die 99 Minuten dabei bleibt und sich wünscht, daß sie es schaffen, zuvörderst dieser erstaunliche Knabe, der seine Mutter liebt, und diese merkwürdige Mutter, die in letzter Sekunde die Kurve kratzt und das auch nur, weil sie ihren Sohn liebt, tief liebt, auch wenn man das im Film immer wieder bezweifeln darf.

Und dann fragt man sich zusätzlich, ob man so ins Geschehen involviert wäre, ohne diesen Kinderdarsteller, Jeremy Miliker, der dem Adrian eine derart glaubwürdige Gestalt gibt, eine dermaßen trotzig, nachsichtige Miene, eine Haltung, die sich ins Unausweichliche fügt, aber immer nach dem Strohhalm greift, mit dem er sich und seine Mutter aus dem Unheil herausfischt, so daß der Zuschauer Blut und Wasser schwitzt, daß dieser Wunderknabe, der doch ein ganz normales Kind ist, das Menschenunmögliche schafft, die Mutter (Verena Altenberger) aus ihrem Regelkreis von Drogen und Suff herauszukatapultieren, von solchen Männern im selben Milieu, von Abstürzen und Versprechen der Besserung, sprich den ewig selben Vorsätzen der Mutter: den Drogen abzuschwören und ihrem Adrian eine gute Mutter zu sein.

Er lebt inmitten von Frust und Drogen- und Alkoholabhängigkeit ins einer eigenen Welt, der siebenjährige Adrian, in einer Randsiedlung von Salzburg, die nichts mehr mit den Festspielen oder der aufgeräumten Salzburger Seligkeit dieser schönen Stadt zu tun hat. Es sind Sozialbauwohnungen, in denen er mit seiner Mutter, ja haust wäre die richtigere Bezeichnung, denn zum Wohnen gehört ein Standard, den Adrians Mutter Helga, nicht aufrechterhalten kann. Sie räumt zwar blitzschnell auf, wenn sich eine staatliche oder städtische Person angesagt hat, denn diese Familien werden nicht sich selbst überlassen, vor allem die Kinder nicht, aber wenn die Aufsicht weg ist, dann steigen über den Balkon oder kommen durch die Haustür die ganzen Schmarotzer und Wegelagerer wieder an, die im Nu Wohnung und Balkon in ein Sündenbabel verwandeln, was Ordnung und Sauberkeit angeht, so daß nach dem ausgeschlafenen Rausch Helga wieder von vorne anfängt mit dem Kippen- und Flaschenwegräumen etc.

Der Junge lebt dazwischen in seinen Zukunftsträumen, denn er wird als Abenteurer die Welten durchforschen, wird als aus dem Mittelalter herrührender Ritter für das Gute fechten, ja schlimmer noch: geht in die Urzeiten zurück, wo die bösen Drachen und andere Dämonen die Welt bedrohten und diese vernichten, auf daß es ein schönes Leben gäbe in Salzburg und vor allem in seiner Siedlung. Doch immer kurz vor dem Sieg, überkommt den Jungen die Ahnung, daß er vielleicht dem Dämon doch nicht gewachsen sei...

Träume sind Schäume, heißt es, aber auch Träume sind die Wunschvorstellungen und dies trifft auf Adrian zu, der sich aus gutem Grund zum Retter berufen fühlt, denn seine Mutter ist schwach, das merkt der Junge deutlich, auf sie ist kein Verlaß, denn sie sagt das eine und tut das andere. Außerdem diese ekligen Männer, die das Wohnzimmer bevölkern, von denen der eine, der Drogenkurier, der sich häuslich eingerichtet hat und Vater spielt, der schlimmste ist. Denn der umgarnt, der verkauft – und wird von der Polizei gesucht, was auch Helga und Adrian ins Visier der Verfolger bringt.

Man kann zu diesen Träumen auch Metaphern sagen, denn diese Funktion haben sie, um uns und allen anderen, einschließlich Mutter und Sohn, deutlich zu machen, das der weltliche Dämon die Sucht seiner Mutter ist: voran die Drogen, an die sich Alkoholmissbrauch anschließt und zwar derart, daß sie ständig im Vollrausch ist, wenn sie etwas eingenommen hat. Das Schlimmste dabei ist, daß der Junge zusieht, auch sehen muß, wie diese Junkies das Heft in die Hand nehmen, wenn seine Mutter, die diese Typen nicht im Haus haben will, dann wegnickt. Diese Schreckgespenster sind nicht böse, das kommt erst im Suff, sondern fahren dem Jungen übers Haar, aber kennen keine Verantwortung und kein Mitleid, ihre Süchte vor dem Jungen auszuleben, ja, diesen sogar mithineinzuziehen, wenn sie in mit Wodka vollschütten oder mit diesem Drogencocktail, der im Kühlschrank für die Erwachsenen zubereitet ist.

Es friert einem in diesem Film immer wieder das Herz, unter welchen Bedingungen so ein Kerlchen heranwachsen muß, aber es überkommt einen auch Respekt, wie weise der Junge dabei verfährt. An einer Stelle kreuzen sich zwei Szenen, eigentlich drei, wenn der Junge, wieder einmal sich selbst überlassen, die Küche in Brand steckt, was zum Wendepunkt für die Mutter wird, sie endgültig aufzurütteln vermag. Denn mit einem Brand in der Küche, verursacht durch die vierjährige und total überforderte Jeannette, beginnt der Film SCHLOSS AUS GLAS, der die Neugier der bürgerlichen Pauline vom Struwwelpeter-Hoffmann übertrifft, sind doch Adrian und seine Filmschwester Kinder, die kochen müssen, weil die Eltern sie verwahrlosen lassen, weshalb der Brand in der Küche zu einer weiteren Metapher wird.

Im Ernst ist es nicht die Geschichte selbst, sondern vor allem die Machart, die besticht. Man ist nämlich im Film nicht nur traurig, sondern muß oft lachen, weil Komisches passiert, wenn einer über eine Sekte die Drogensucht bewältigt und nun den Religionsrausch lebt oder wenn eine Parallelwelt geschildert wird, die nicht nur böse und gemein, sondern für diese Menschen auch Heimat herstellt, die sie im nächsten Moment wieder verraten, wenn sie im Drogenrausch sind.

Alle Achtung. Der junge Regisseur studiert noch. Wir erwarten also etwas.

Foto: © Verleih

Info:
Drehbuch und Regie Adrian Goiginger

Helga Wachter       Verena Altenberger
Adrian Wachter      Jeremy Miliker
Günter Goiginger    Lukas Miko
Grieche                   Michael Pink
Berni                       Reinhold G. Moritz
Walter                     Philipp Stix
Schuster                 Georg Veitl
Herr Hütter             Michael Fuith
Junkiefrau               Emily Schmeller