f indiSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 19. Oktober 2017, Teil 6

Filmheft

Berlin (Weltexpresso) - ES WAR EINMAL INDIANERLAND ist Ilker Çataks Spielfilmdebüt und Ihr erstes Drehbuch. Geht man da als Newcomer besonders ehrfürchtig an die Arbeit oder, ganz im Gegenteil, besonders unbedarft und intuitiv, so nach dem Motto „geht-nicht-gibt’s-nicht“?

Es gab so einem Moment am ersten Drehtag, als ich ans Set kam und die ganzen LKW mit der Technik sah und überall Leute von der Crew herumwieselten – da dachte ich, wow, das hat ja echt Dimensionen. Aber davor war das doch alles immer sehr abstrakt. Und ich behaupte jetzt mal kess, Ilker und ich sind beides relativ ausgebuffte Geschichtenerzähler. Wir machen unsere Jobs bereits einige Jahre, der eine als Schreiberling, der andere als Filmemacher. Ilkers Trophäenschrank platzt ja längst aus allen Nähten, und das trotz seiner noch jungen Jahre. Aber nicht nur, weil er vermutlich eines der größten Regie-Talente in unserem Land ist, war es ein Glück, mit ihm zu arbeiten, sondern weil er diesen enormen Anspruch an die Arbeit hat. Ob Stoff, ob Umsetzung, ob Berufsethos – nie wählt er den bequemsten Weg, wenn es noch Luft nach oben gibt. Ich glaube, lernbegierig zu sein und zu bleiben ist viel wichtiger und zielführender als groß mit Ehrfurcht oder Intuition herumzudoktern.


Der Film spult in der Handlung wild vor und zurück, was Mausers sprunghaftes Denken verdeutlicht. Wie behält man dabei selbst den Überblick und verhindert, dass ihn der Zuschauer verliert?

Ach, da braucht man sich keine Sorgen zu machen, denke ich. Der Mensch ist es gewohnt, ziemlich assoziativ zu denken. Das kennen wir aus Träumen, das kennen wir vor allem von den eigenen Erinnerungen –und letztlich trainieren wir das auch tagtäglich in unserem Erleben und in unserer Wahrnehmung. Jeder Spaziergang, jede Autofahrt, jedes Gespräch ist, wenn man mal genau darauf achtet, ein viel wilderes Hin und Her als jeder noch so rasante Videoclip. Wir befinden uns ständig im Dialog mit unserer eigenen Vergangenheit und Zukunft. Erzählen muss am Ende nur Sinn ergeben. Das ist der Unterschied zum Leben. Wusste Mark Twain schon. Im Idealfall sollte Erzählen außerdem spannend sein – und eine etwas unkonventionelle Struktur kann das durchaus auch leisten.


Mauser, Jackie und Edda und die Nebenfiguren Kondor, Mausers Vater Zöllner und Jackies bester Freund Ponyhof sind alle großartig besetzt. Haben Sie sich ihre Protagonisten damals genauso vorgestellt, bzw. hatten Sie möglicherweise sogar Mitspracherecht beim Casting?

Ich sehe beim Schreiben nur sehr selten konkrete Gesichter vor mir, ich sehe vor allem Typen. Insofern war ich wirklich gespannt, meine Protagonisten kennenzulernen. Und Ilker hat ein erstklassiges Ensemble zusammengestellt, das sehe ich auch so. Mein Eindruck ist, die große Kunst der Besetzung besteht wirklich darin, dass niemand heraussticht oder im Vergleich zum Rest abfällt. Insofern kann ich jetzt nur Lobeshymnen anstimmen. Das würde natürlich bei Leonard losgehen, der ja nun jede einzelne Szene des Films mittragen muss.

Was einem dabei vielleicht nicht sofort aufgeht: Er spricht diese wirklich anspruchsvollen Dialoge mit einer Präzision und mit einer Selbstverständlichkeit, die mich (auch als Stimmenfetischisten) von der ersten Sekunde an umgehauen haben. Dass er sich dann noch mit mörderischem Ehrgeiz über Monate diesen Körper antrainiert hat, spricht ja eh Bände.

Und ein ähnlicher Glücksfall war Johanna als Edda. Auch sie besitzt diese wunderbare Gabe, sich fremden Text auf eine Art zu eigen zu machen, die an Zauberei grenzt. Mir ist es heute komplett unmöglich, mir noch jemand anders in der Rolle vorzustellen. Und dass Emilia Schüle, Joel Basman und Clemens Schick in unseren Breiten zu den Besten ihres Fachs zählen, weiß ja eh jeder. Und bei Johannes Klaußner und Trine Behrens sollte das nur eine Frage von kurzer Zeit sein, bis das auch der Fall ist. Johannes legt als Ponyhof einen Galaauftritt hin, würde ich sagen.


Der Film wirkt unbefangen, frech, frisch, verspielt. Sie haben die Dreharbeiten hautnah miterlebt, spiegelt das auch die Atmosphäre am Set wider?

Na, das war schon ein 30-Tage-Rennen bei vollem Einsatz. Aber mit einer Truppe, bei der man das Blitzen in den Augen gesehen hat, das stimmt schon. Filmleute, das lernt man schnell, sind ja so eine Art modernes Zirkusvolk. Und nicht jeder Job ist ein Herzensjob. Deshalb kann bei einem solchen Gemeinschaftsprojekt wie einem Spielfilm nur etwas Besonderes entstehen, wenn der Funke bei allen Beteiligten überspringt. Für mich hat sich das so angefühlt. Aber ich habe auch die rosarote Brille auf. Versteht sich. Nichtsdestotrotz: Die Wirkung kann man vielleicht tatsächlich nur hinbekommen, wenn alles zusammenpasst. Akribische Arbeit und unbedingte Leidenschaft für das Projekt bei den Beteiligten.


Ein Höhepunkt des Films ist das Powwow-Festival, ein farbenfroh kreatives Happening à la „Burning Man“, auf dem sich Mausers weiteres Leben entscheidet. Die Massenszenen und Kulissen sehen sehr aufwändig aus. Wurde extra alles für den Film gebaut oder konnten Sie teilweise auf echtes Festival-Footage und Equipment zurückgreifen?

Noch ein Verdienst von Ilker. Diese Szenen entstanden bis auf wenige Ausnahmen in Garbicz. Im Schatten des dortigen Festivals. Bei unserem Budget war das die einzige Chance, um etwas Unpeinliches in dieser Dimension hinzubekommen.
Es gibt eine kurze Szene mit Gaststar Bjarne Mädel als Tankwart, der mit seinem breiten Bandana verdächtig nach Schriftsteller David Foster Wallace aussieht, dessen „Unendlicher Spaß“ auf dem Tresen liegt. Was steckt dahinter, die Idee, nach den vielen Filmzitaten und -verweisen im Roman umgekehrt im Film eine literarische Hommage unterzubringen?

Ilker und ich haben vor dem Dreh einige gemeinsame Arbeitssitzungen gehabt. Auch in meinem Büro. Da gibt es so eine Art David-Foster-Wallace-Schrein mit Büchern, Hörbüchern und so weiter. Und ich habe Ilker bei einer dieser Gelegenheiten mal die Rede „This Is Water“ ans Herz gelegt. Tja, das kommt dann dabei raus.


Ist möglicherweise auch eine Verfilmung der beiden anderen Romane der „Stadtrand“-Trilogie („Stadtrandritter“ und „Zeit für Astronauten“) geplant?

Ich glaube, alle Kreativen wären sofort gesprächsbereit. Und vom Stoff her wären die beiden Romane mindestens so prädestiniert für die Leinwand wie ES WAR EINMAL INDIANERLAND. Ich würde als Produzent vielleicht vorher sogar noch auf den Ableger der Trilogie schielen: „Mogel“. Schier ideal für eine Hochgeschwindigkeit-Komödie.


Foto: © Verleih

Info:

Regisseur: Ilker Catak
Besetzung:
Leonard Scheicher – Mauser
Johanna Polley – Edda
Emilia Schüle – Jackie
Clemens Schick – Zöllner
Joel Basman – Kondor
Johannes Klaußner – Ponyhof