Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 16. November 2017, Teil 13
Corinne Elsesser
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Für sein Engagement wurde der chinesische Künstler und Aktivist Ai Weiwei am 16. November 2017 in Berlin mit einem BAMBI in der Kategorie “Mut” ausgezeichnet. „Sein Fokus“, so die Jury, „sind die Menschen und wie sie miteinander umgehen. Ai Weiwei stellt die Humanität ins Zentrum seines Schaffens und prangert an, wo er sie bedroht sieht.“
Am Donnerstag lief sein erster abendfüllender Film "Human Flow" an, in dem Ai Weiwei die aktuelle Flüchtlingskrise global in den Blick nimmt. Das Thema ist nicht neu. 2016 dokumentierte Gianfranco Rosi in "Fuocoammare" ("Seefeuer") die Verzweiflung afrikanischer Flüchtlinge bei ihrer Ankunft in Italien. Der Film wurde auf der letztjährigen Berlinale mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet und gewann auch den Europäischen Filmpreis als Bester Dokumentarfilm. Der deutsche Dokumentarfilmer Jakob Preuss begleitete ebenfalls in seinem Film "Als Paul über das Meer kam" 2017 einen afrikanischen Bootsflüchtling bis nach Berlin.
Ai Weiwei geht einen Schritt weiter. Er zeigt, dass die Migrationsströme nicht als temporäres Phänomen betrachtet werden können, sondern der "human flow" zu einem Charakteristikum unseres Zeitalters geworden ist.
In 23 Ländern rund um den Globus drehte Ai Weiwei mit verschiedenen lokalen Filmteams und mit insgesamt zwölf Kameraleuten. Er besuchte Flüchtlingslager in der Osttürkei, im Nordirak, in Jordanien, Italien, Gaza, Birma, Marokko und einige der mittlerweile über 70 neu errichteten Grenzmauern in Mexiko, Gibraltar, Ungarn, Mazedonien. Flüchtlingscamps in erbärmlichem Zustand wie das griechische Idomeni, der "Dschungel" bei Calais oder die Lager der inzwischen über 600,000 Rohingya aus Myanmar in den Grenzregionen zu Bangladesh werden bemerkenswert aufgeräumten in der jordanischen Wüste, im Irak oder in Berlin-Tempelhof gegenübergestellt. Oft tritt der Filmemacher selbst in Erscheinung, spricht mit Vertretern von Hilfsorganisationen, mit Ordnungshütern und vor allem mit Betroffenen. Er geht auf Kinder zu, die ihr ganzes Leben bereits in Camps verbracht haben.
Ai Weiwei ist selbst ein Flüchtling. Nachdem er aufgrund verschiedener Aktionen in seiner Heimat China Repressalien ausgesetzt war und über 81 Tage im Gefängnis sass, konnte er 2015 ausreisen und lebt seitdem in Berlin. Doch er ist ein sehr privilegierter Flüchtling und erfährt in der internationalen Kunstszene grosse Beachtung und Unterstützung. Die dank seiner Berühmtheit eingespielten Fördergelder setzt er wiederum für sein Werk ein. In dem recht aufwendig gemachten Film ist es stets der Blick des Künstlers, der die Filmaufnahmen zu ästhetisch gestalteten Bildern werden lässt. Kameradronen ermöglichen oft Weitblicke, als schaue man von hoch oben auf den Planeten, um dann auf die vielen Menschen zu fokussieren, die sich dort unten bewegen.
Wo führen die weltweiten Flüchtlingsströme hin? Ist das die Zukunft menschlichen Daseins, an die wir uns gewöhnen müssen? Ai Weiwei kommentiert nicht, er bietet keine Antworten. Er zeigt die Fakten auf. "Human Flow" ist aus einem grossen Engagement für die Menschen entstanden. Mit seinem bemerkenswert ästhetischen Aktivismus führt Ai Weiwei vor Augen, dass das Thema nicht allein von der - global gesehen - kleinen europäischen Warte aus betrachtet, sondern das grosse Ganze in den Fokus genommen werden muss.
Foto: Der Künstler vor dem Filmplakat © t-online.de
Info:
Human Flow, 2017
Regie: Ai Weiwei
Drehbuch: Chin-chin Yap, Tim Finch, Boris Cheshirkov
Produktion: AC Films, Participant Media
Produzenten: Ai Weiwei, Chin-chin Yap, Heino Deckert
Kamera: Murat Bay, Christopher Doyle, Lv Hengzhong, Wenhai Huang, Konstantinos Koukoulios, Renaat Lambeets, Dongxu Li, Johannes Waitermann, Ai Weiwei, Ma Yan, Zanbo Zhang, Xie Zhenwei
Schnitt: Niels Pagh Andersen
Musik: Karsten Fundal
Länge: 140 Minuten