Lieber lebenSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 14. Dezember 2017, Teil 1

Margarete Frühling

München (Weltexpresso) - Benjamin (Pablo Pauly) ist 20 Jahre alt und wacht im Krankenhaus auf, sieht aber immer nur die Decke (und zählt die Karos der Lampen - es sind 245), denn er hat sich bei einem Schwimmbad-Unfall einen Halswirbel gebrochen und ist querschnittsgelähmt. Noch im Krankenhaus versucht er langsam wieder, Teile seines Körpers neu zu mobilisieren. Davor hat er Sport studiert und in einer Mannschaft Basketball gespielt. Eines hat Benjamin nicht verloren, seinen Sinn für schrägen Humor.

Da sich bei Benjamin erste Erfolge zeigen, kommt er nach einem Monat in eine Reha-Klinik. Zuerst benötigt er Hilfe bei allem, egal ob telefonieren, pinkeln oder essen – nichts geht bei ihm ohne die Hilfe des Pflegepersonals. Als er endlich sitzen kann und dann im elektrischen Rollstuhl sein Zimmer verlassen darf, trifft er auf Farid (Soufiane Guerrab), der schon seit seinem vierten Lebensjahr im Rollstuhl sitzt. Außer Farid sind Toussaint (Moussa Mansaly) und Steeve (Franck Falise) seine Tischgenossen im Speisesaal. Beide haben ähnliche Probleme wie Benjamin und können z.B. die Gabel nicht festhalten oder sich den Salzstreuer zuschieben.

Auch wenn Benjamin Witze über seine Situation reißt, wenn er z.B. der Psychologin Unsinn über seine Träume erzählt oder sich über die schicken Stützstrümpfe und Bauchgurte beschwert, ist er immer motiviert, auch die anstrengensten Übungen zusammen mit seinem Physiotherapeuten zu versuchen.

In der Physiotherapie trifft er auf Samia (Nailia Harzoune), als sie beide über die Schimpfattacken einer Hirn-Traumapatientin lachen müssen. Samia gehört bald zu der Gruppe, die gemeinsam versucht, das Beste aus ihrer Situation zu machen, sich übers Schwimmen zu beschweren, gemeinsam zu musizieren, im Rollstuhlboxen gegeneinander anzutreten, in der Sonne zu sitzen, auch mal einen von Farid spendierten Joints zu rauchen und immer wieder hoffen, dass sie weiter Fortschritte in ihrer Beweglichkeit erreichen können.

Eines Tages kommt Steeve nicht zum Essen und später wird Toussaint in ein Pflegeheim entlassen, da sich bei seiner Beweglichkeit keine Besserung mehr einstellt.

Benjamin erhält von der Stationsärztin Dr. Challes (Dominique Blanc) die Nachricht, dass eine Basketball-Karriere für ihn unmöglich geworden ist und dass er auch sein Sportstudium nicht mehr fortsetzen kann. Damit hat er zwar seine wichtigsten Ziele verloren, aber er ist bereit, an seiner Mobilisierung trotzdem weiter zu arbeiten.

Nach einem Jahr wird er im Rollstuhl aus der Klinik entlassen und besucht später, nur noch auf einen Stock gestützt, ein wichtiges Basketball-Spiel seiner ehemaligen Mannschaft.


"Lieber leben" geht auf das Buch Patients zurück, in dem der bekannte französische Hip-Hop Musiker Grand Corps Malade 2012 seine eigene Zeit in einer Rehabilitations-Klinik verarbeitet hat. Das Buch ist bis jetzt nur in Französisch erschienen.

Der 1977 unter dem Namen Fabien Marsaud geborene Malade hatte mit 20 Jahren nach einem Sprung in ein Schwimmbad einen Unfall, durch den er teilweise gelähmt wurde. Durch intensives Training schaffte er es, nach 2 Jahren wieder laufen zu können. Allerdings benötigt er auch heute noch einen Stock.

Malade hat zusammen mit Fadette Drouard das Drehbuch zum Film geschrieben und mit Mehdi Idir zum ersten Mal Regie geführt.

Auch wenn das Thema nicht einfach ist und der Film sich teilweise auch bedrückend anfühlt, ist es den Drehbuchautoren und Regisseuren gelungen, einen wunderbar positiven Film zu drehen. Dabei ist der Humor teilweise doch recht sarkastisch und direkt, wenn z.B. die Probleme von Einläufen, Pinkeln etc. besprochen und auch diskret gezeigt werden. Der Film nimmt ganz sicher bei teilweise recht derben Witzen kein Blatt vor den Mund. Dabei sind es vor allem die Hirn-Trauma-Patienten, auf die es die Rollstuhlfahrer abgesehen haben. Trotzdem hat man als Zuschauer nie ein Gefühl von Fremdschämen.

Es wird aber auch die Hilflosigkeit der Patienten gezeigt, wenn Benjamins elektrischer Rollstuhl plötzlich stehen bleibt und niemand in der Nähe ist oder wenn die Krankenschwester es nicht schafft, ihn in den Rollstuhl zu setzten und er mit dem Gesicht auf den Boden aufschlägt.

Dies zeigt, dass der Film ganz sicher keine geschmacklose Invalidenkomödie ist, sondern die Probleme, Sorgen und Ängste der Querschnittsgelähmten Ernst nimmt, ohne dass die Szenen übertrieben sentimental wirken. Daneben werden auch die Vorgeschichten von Benjamins Mitpatienten spannend erzählt. Deshalb kann man sich als Zuschauer auch sehr gut in die Charaktere hineinversetzen. Dadurch wirken alle Patienten echt und sie werden auch von den recht unbekannten Schauspielern hervorragend und glaubhaft dargestellt.

"Lieber leben" ist ein toller Film, der es schafft eine Balance zwischen Schwermut, Heiterkeit und Galgenhumor zu zeigen, ohne allzu sentimental zu sein. Er ist absolut sehenswert.

Foto: v.l.n.r.: Steeve (Franck Falise), Farid (Soufiane Guerrab), Benjamin (Pablo Pauly) und Toussaint (Moussa Mansaly) © Neue Visionen Filmverleih

Info:
Lieber leben (Frankreich 2016)
Originaltitel: Patients
Genre: Tragikomödie
Filmlänge: 111 Min.
Regie: Grand Corps Malade, Mehdi Idir
Drehbuch: Grand Corps Malade, Fadette Drouard nach dem Roman "Patients" von Grand Corps Malade (2012)
Darsteller: Pablo Pauly, Soufiane Guerrab, Moussa Mansaly, Nailia Harzoune, Franck Falise u.a.
Verleih: Neue Visionen Filmverleih
FSK: ab 6 Jahren
Kinostart: 14.12.2017