Das komplette Filmprogramm der Woche der Kritik 2018 zur Berlinale 2018
Romana Reich
Berlin (Weltexpresso) - Das vierte Filmprogramm der Woche der Kritik ist komplett. Dies ist eine Veranstaltung der Filmjournalisten Deutschlands. Einen Geheimtipp aus dem Off-Kino Quebecs zeigt im Komödien-Doublefeature mit Serge Bozons scharfen französischen Humor und eine kühne Isabelle Huppert. Zu entdecken gibt es außerdem Experimentelles aus Ungarn, einen eigenwilligen Horrorfilm aus Deutschland sowie ein Filmessay junger PerfomancekünstlerInnen aus der Hildesheimer Theaterszene.
Eine Detektivin ist einem singenden Knochen auf der Spur und vermutet ihn beim schönen Schauspieler mit dem Affenarm. Die absurde Komödie „Waiting for April“ („En attendant avril“) ist im No-Budget-Underground von Quebec entstanden und stellt den Wagemut des jungen Frankokanadiers Olivier Godin („Les arts de la parole“, „Nouvelles, Nouvelles“) eindrucksvoll unter Beweis. Mit Vergnügen wirbelt er in seinem vierten Spielfilm die Konventionen des etablierten Kinos durcheinander und demonstriert dabei gleichermaßen seinen Sinn für Humor und radikale Formentscheidungen. Noch nie erlebte ein Film von Olivier Godin seine Weltpremiere jenseits von Montreal und erstmals stellt Godin einen seiner Filme außerhalb Nordamerikas persönlich vor.
Am gleichen Abend folgt „Mrs. Hyde“ („Madame Hyde“), die neueste Arbeit des scharfsinnigen französischen Schauspielers und Regisseurs Serge Bozon („Tip Top“, „La France“). Er gehört zu einer Gruppe ehemaliger Filmkritiker des Magazins „La Lettre du cinéma“, die seit Jahren ihr Talent als FilmemacherInnen unter Beweis stellen. Während die Mitglieder der Gruppe trotz ihres eindrucksvollen filmischen Stils international noch zu selten sichtbar sind, ist Bozon nach Premieren in Cannes und einer Auszeichnung in Locarno 2017 auf dem besten Weg, das zu ändern. Erneut arbeitet er mit Isabelle Huppert, die hier teuflisch bitter die Lehrerin Madame Géquil am Rande des Nervenzusammenbruchs gibt. Nach 35 erfolglosen Berufsjahren verwandelt sie sich durch ein Physikexperiment in das übernatürliche Wesen Madame Hyde. Es folgt ein Angriff auf die Schule, die wohlmeinende bürgerliche Gesellschaft und die Filme über sie.
Einen besonderen Akzent setzt die Woche der Kritik auf ein ungarisches Regie-Duo, das gleich mit zwei Arbeiten im Programm vertreten ist und bereits 2017 zu Gast in Berlin war: Péter Lichter und Bori Máté. Ihre gemeinsam ausgearbeiteten Experimentalfilme „The Rub“ (Weltpremiere) und „8th October 2016“ („2016. október 8.“, Deutschlandpremiere) werden in Doppelprogrammen mit anderen Arbeiten zu sehen sein und werfen Fragen zu Filmgrammatik und zu den politischen Potenzialen des Kinos auf.
„The Rub“, Péter Lichters zweiter Langfilm, beschwört Shakespeares „Hamlet“ und das US-Kino des späten 20. Jahrhunderts. In stark verfremdeten Filmfragmenten entfaltet er das Kino in seinen Möglichkeiten und fordert zugleich die Umwälzung klassischer Formen ein. Hamlets Stimme gibt dabei der Schauspieler und Filmemacher Szabolcs Hajdu („It's not the Time of my Life“, „White Palms“). Der Kurzfilm „8th October 2016“ funktioniert als experimentelle Skizze des Niedergangs einer oppositionellen ungarischen Tageszeitung. Seiten über Seiten rasen am Auge vorbei und überfordern den Blick. Durch den filmischen Angriff auf die Druckseiten finden die FilmemacherInnen einen Ausdruck für die zu oft unsichtbar bleibende politische Willkür.
„Hagazussa“ spielt im Mittelalter und ist sowohl der Abschlussfilm des DFFB-Studenten Lukas Feigelfeld als auch der diesjährigen Woche der Kritik. Die erwachsene Tochter einer Außenseiterin wird darin von der Dorfgemeinschaft verstoßen und scheint in den Wahnsinn abzudriften. Ist sie verflucht und wird zur Hexe? Feigelfeld entscheidet sich für dröhnende Musik und drastische Bilder, die über die langsame Erzählweise des Films hinweg immer konfrontativer werden. Er verteidigt mit „Hagazussa“ eigenwillige künstlerische Entscheidungen, die es insbesondere im deutschen Förderkino zu oft schwer haben, und setzte deshalb teils auf eine Crowdfunding-Finanzierung. Der Film war seit seiner Premiere im September 2017 bisher nur im Ausland zu sehen und erlebt Anfang des Jahres seine Deutschlandpremiere in Saarbrücken.
Der Kollektiv-Film „Air Time“ schließlich stammt nicht aus dem Kinokontext. Das Filmessay wurde durch eine sechsköpfige Gruppe um die 2011 gestartete Theaterinitiative „VOLL:MILCH“ inszeniert und basiert auf einem Youtube-Videofragment: einer Sitzung des „Mosquito Control District“ in Litchfield, USA. Zwei Delegierte sind die alleinigen Anwesenden eines Verwaltungsaktes und kämpfen mit entschiedenen Worten um Aufmerksamkeit und Sendezeit, in der Hoffnung darauf, dass auf der anderen Seite der Kamera noch jemand der Übertragung folgt. Daneben treten Bilder von Live-Webcams und erkunden entlegene Orte der Welt.
Neue Mitglieder des Programmteams
Die Woche der Kritik verfolgt bei der Besetzung der Auswahlkommission das Prinzip rotierender Teammitglieder. 2017 waren erstmals die FilmkritikerInnen Yeşim Tabak (Türkei) und Mathieu Li-Goyette (Quebec) neben Dunja Bialas, Frédéric Jaeger und Dennis Vetter an der Auswahl beteiligt.
Yeşim Tabak lebt in Istanbul und arbeitet seit 1999 als Filmkritikerin und Redakteurin für verschiedene türkische Medien. Im Rahmen ihres Projekts „AOW Productions“ begleitete sie Dreharbeiten von Filmen, kuratierte Kunstveranstaltungen und produzierte Video- und Bühnenarbeiten. Aktuell wirkt sie im Team der „Istanbul Silent Cinema Days“ mit und arbeitet als Redakteurin eines monatlichen Fernsehformats.
Mathieu Li-Goyette lebt in Montréal und ist Chefredakteur des Onlinemagazins Panorama-cinéma. Er betreute zwei Buchprojekte zum japanischen Kino, die Positionen der Filmkritik und Filmwissenschaft verbinden. Seine Kritiken und Artikel erschienen in „Hors Champ“, „Pop-en-stock“ sowie „Sentinelle“. Er promoviert in Literaturwissenschaft und Erkenntnistheorie, lehrt zur visuellen Nachkriegskultur Japans und betreut das „Laboratoire sur les récits du soi mobile“.
Die Woche der Kritik 2018 findet vom 14. bis 22. Februar statt. Das Filmprogramm beginnt am Donnerstag, 15. Februar im Hackesche Höfe Kino.
Alle Filme der Woche der Kritik 2018 im Überblick
8th October 2016 (2016. október 8.)
Regie: Péter Lichter, Bori Máté, HU 2017, 2 Min., o.D. – Deutschlandpremiere
Air Time
Regie: VOLL:MILCH, Moritz Friese, Ariane Trümper, Nils Bultjer, DE 2017, 20 Min., englische OF
The Big House
Regie: Kazuhiro Soda, Markus Nornes, Terri Sarris, FilmemacherInnen der University of Michigan, USA 2018, 119 Min., englische OF – Weltpremiere
La Bouche
Regie: Camilo Restrepo, FR 2017, 19 Min., Susu – Deutschlandpremiere
Hagazussa
Regie: Lukas Feigelfeld, DE 2017, 102 Min., Deutsche OmeU
Mrs. Hyde (Madame Hyde)
Regie: Serge Bozon, FR/BE 2017, 95 Min., französische OmeU
The Rub
Regie: Péter Lichter, Co-Regie & Produktionsdesign: Bori Máté, HU 2018, 60 Min., ungarische OmeU – Weltpremiere
Scary Mother (Sashishi deda)
Regie: Ana Urushadze, GE/EE 2017, 107 Min., georgische OmeU – Deutschlandpremiere
Searching for Oscar (En busca del Óscar)
Regie: Octavio Guerra, ES 2018, 75 Min., spanische OmeU – Weltpremiere
Waiting for April (En attendant avril)
Regie: Olivier Godin, CA 2018, 78 Min., französische OmeU – Weltpremiere
Yet to Rule (În pronunțare)
Regie: Mihaela Popescu, RO 2018, 93 Min., rumänische OmeU – Weltpremiere
Foto:
Madame Hyde mit I. Huppert © Verleih
Bozon, Godin, Lichter, Máté, Feigelfeld und Kino aus dem Theater
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- Kategorie: Film & Fernsehen