Hanno Lustig
Berlin (Weltexpresso) - Die Woche der Kritik ist vor vier Jahren entstanden, mit der aktivistischen Idee, die Kinokultur anders zu beleuchten, die vielen Routinen des „Geschäfts“ – auch die eigenen – infrage zu stellen, Kritik als Programm zu verstehen, das nicht nur aus der Distanz beobachtet, sondern konkrete Impulse gibt. 2018 gehört dazu auch die erstmalige Veröffentlichung einer begleitenden Publikation.
Irgendwo zwischen Katalog und Essaysammlung, vereint diese Materialien zum Programm, Kontextualisierungen der Debatten und Informationen zu den Filmen mit Anregungen und Haltungen zur Lage des Kinos. Es finden sich Texte aus unterschiedlichen Federn und Feldern – aus der Soziologie, der Philosophie, der filmischen wie der kuratorischen Praxis und der Filmkritik.
Ein einleitendes Gespräch mit B. Ruby Rich lenkt den Blick auf den Stand der internationalen Filmkritik. Die ehemalige Filmkritikerin, Filmwissenschaftlerin, Kuratorin und derzeitige Redakteurin des Fachmagazins Film Quarterly spricht ausgiebig über die politischen Potenziale des kritischen Schreibens und lieferte dafür in ihrer Karriere über Jahrzehnte die eindrücklichsten Beispiele: unter anderem gilt sie als eine Wegbereiterin des New Queer Cinema. Marie-Pierre Duhamel arbeitete in beinahe allen Feldern der Filmindustrie – in ihrem Artikel „Programming a Festival in Extreme Conditions” erläutert sie anhand einer Veranstaltung in der chinesischen Provinz die Herausforderungen, die eine Festivalgründung und die Programmarbeit mit sich bringen können.
Welche Ideen vom Publikum herrschen vor, und welche Auswirkungen haben sie auf das Kino? Es ist diese Frage, die wir bei unserer kleinen Konferenz zum Auftakt der Woche der Kritik stellen wollen und die uns auch darüber hinaus beschäftigen wird. Mit Textbeiträgen des Philosophen Jean-Luc Nancy, des Soziologen Edgar Morin, des Filmkritikers Didi Cheeka sowie einem kurzen Theaterpamphlet des Kollektivs Forced Entertainment wollen wir dazu anstiften, die Auseinandersetzung in verschiedenen Rahmen zu denken.
Mit einem Blick auf die Berlinale 2020 wollen wir den Elefanten im Raum adressieren: die aktuelle Debatte um die Zukunft des Festivals nach Dieter Kosslick. Natürlich haben wir dazu als Woche der Kritik eine Meinung, vor allem aber das Interesse, die Aufmerksamkeit auf grundsätzliche und strukturelle Fragen zu lenken, weswegen wir nicht nur verschiedene Leute um ihre (kondensierten) Zukunftsvisionen gebeten haben, sondern auch die aktuelle Organisationsstruktur des größten deutschen Filmfestivals einmal transparent machen wollten, samt Alternativvorschlägen von Rainer Knepperges und Max Linz. Sie werden begleitet von einer Collage mit Textbeiträgen von Barbara Albert, Robert Beavers, Jean-Pierre Bekolo, Sompot Chidgasornpongse, Vaginal Davis, Matthias Dell, Ben Gibson, Ulrich Gregor, Daniel Kasman, Fred Kelemen, Ekkehard Knörer, Gertrud Koch, Salomé Lamas und Tatjana Turanskyj.
Der Titel des Buchs, „Koschke”, ist inspiriert durch die Berliner Kneipe „Anna Koschke”, die sich bei der Woche der Kritik zum regelmäßigen Treffpunkt für angeregte Diskussionen nach den Film- und Debattenabenden entwickelt hat.
Koschke #1
152 Seiten, farbig
Eine Publikation des Verbands der deutschen Filmkritik e.V.
Herausgegeben von Vivien Buchhorn, Michael Hack, Frédéric Jaeger, Dennis Vetter, Jendrik Walendy
Redaktion: Giovanni Marchini Camia
Mit Beiträgen von: Barbara Albert, Robert Beavers, Jean-Pierre Bekolo, Vivien Buchhorn, Didi Cheeka, Sompot Chidgasornpongse, Vaginal Davis, Matthias Dell, Marie-Pierre Duhamel, Forced Entertainment, Ben Gibson, David Graeber, Ulrich Gregor, Michael Hack, Frédéric Jaeger, Daniel Kasman, Youdid Kahveci, Fred Kelemen, Rainer Knepperges, Ekkehard Knörer, Gertrud Koch, Salomé Lamas, Dana Linssen, Max Linz, Edgar Morin, Jean-Luc Nancy, Camilo Restrepo, B. Ruby Rich, James Quandt, Tatjana Turanskyj, Dennis Vetter, Jendrik Walendy, Linda WilliamsDie Woche der Kritik ist eine Veranstaltung des Verbands der deutschen Filmkritik, gefördert durch die Senatsverwaltung für Kultur und Europa – Spartenoffene Förderung, die Stiftung Kulturwerk der VG Bild-Kunst und die Rudolf Augstein Stiftung.
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Info:
Die Publikation ist bei der Woche der Kritik für 5 Euro zu erwerben.