Im Inneren eines Thrillers: Rache, Doppelleben und Social Media

Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 8. März 2018, Teil 5

N.N.

Chicago(Weltexpresso) – „Paul Kersey hat nicht die geringste Erfahrung mit Schusswaffen, schließlich ist er ein Arzt, der sein Leben damit verbringt, Menschenleben zu retten“, sagt Birnbaum, der seit 30 Jahren so unterschiedliche Filme wie SEABISCUIT – MIT DEM WILLEN ZUM ERFOLG, INVICTUS – UNBEZWUNGEN, RUSH HOUR, UNBREAKABLE, WANTED oder DIE GLORREICHEN SIEBEN produziert. „Als er das erste Mal durch die Straßen zieht, um herauszufinden, wer das Leben seiner Familie zerstört hat, geht das natürlich nicht reibungslos über die Bühne.“

„Kersey führt fortan eine Art Doppelleben“, führt Regisseur Roth aus. „Tagsüber ist er Chirurg, doch nachts unternimmt er Streifzüge durch die Straßen und wird als ‚Sensenmann‘ bekannt.“

Zu dieser neuen Seite seiner Identität findet Kersey dabei eher zufällig. Seine erste Handlung als moralisch fragwürdiger, heimlicher Samariter findet vollkommen ungeplant statt: als er beobachtet, wie Männer einem Paar das Auto klauen, reagiert er impulsiv. Als das Auto davon rast, gibt er einen Schuss ab. „Doch als die Täter ihrerseits das Feuer eröffnen, muss er weiter zurückschießen“, sagt Roth. „In diesem Moment regieren pures Adrenalin und animalische Instinkte.“

„Mir ging es darum, einen Moment der Verwandlung zu zeigen. Kersey realisiert, dass er zwar einem schlechten Menschen helfen könnte – so wie er es tagtäglich in seinem Job tut –sich dann aber bewusst dagegen entscheidet“, fährt der Regisseur fort. „Wir sehen, wie er seine eigenen moralischen Torpfosten verschiebt. Er ist eigentlich ein Kerl mit gewöhnlichen ethischen und moralischen Grundsätzen. Doch er verschiebt seine Grenze immer weiter, um seine eigenen Taten zu rechtfertigen.“

Für Willis, der in seinen Rollen stets ein tiefes und vielschichtiges Verständnis für seine Figuren und die Zeit, in der sie leben, zeigt, ist Paul Kersey dabei ein Mann, der letztlich seinem vorherbestimmten Weg folgt.

„Ich glaube, tief in meinem Herzen, eigentlich fest daran, dass im Leben letztlich alles genau so passiert, wie es kommen soll“, meint der Schauspieler. „Für mich bestand bei diesem Film kein Zweifel daran, dass dieser Mann den Weg geht, der für ihn der richtige ist. Um – wie Paul Kersey – Arzt zu sein, muss man anderen Menschen helfen wollen. Und dann, nach dem tragischen Überfall auf seine Familie, nimmt dieser Weg eine Abbiegung in eine Richtung, die er so oder so einschlagen hätte. Alle Anzeichen dafür lassen sich schließlich im Drehbuch erkennen.“

Elisabeth Shue führt als Beleg dafür einen frühen Moment im Film an, in dem Lucy einen kleinen Einblick in die Aggression bekommt, die ihr Ehemann normalerweise unter Verschluss hält. „Es gibt eine Szene, in der Paul und Lucy ihrer Tochter Jordan beim Fußballspielen zu sehen“, erklärt die Schauspielerin. „Einem aggressiven Mann im Publikum gefällt das Geschehen auf dem Platz nicht. Er wird wütend und fängt an herumzubrüllen. Paul konfrontiert ihn, und in der Anspannung zwischen den beiden Männern sieht man für einen kurzen Moment, wozu er fähig sein könnte, wenn man ihn provoziert. Es gibt ohne Frage einen Teil seiner Persönlichkeit, den er unter Kontrolle halten muss.“

Es fiel Produktionsdesigner Paul Kirby zu, die innere Verwandlung des Protagonisten auch visuell sichtbar zu machen. „Paul Kersey hat einen guten Job; alles in seinem Leben und seiner Familie ist in bester Ordnung“, beschreibt er den Status des Helden zu Beginn des Films. „Er hat in seinem Leben alles richtig gemacht. Doch dann gerät es aus den Fugen, und die Umstände katapultieren ihn in eine andere Realität.“

„Er dreht durch“, fasst es Vincent D’Onofrio knapp zusammen, der Paul Kerseys Bruder Frank spielt, ein Mann von bärengleicher Statur mit Beschützerinstinkt. „Es gibt für Paul nur einen Weg zurück, und das ist, seinen Verstand wiederzuerlangen. DEATH WISH ist ein Genre-Film, und die Geschichte hat eine düstere Seite, die so manche Frage aufwirft. Doch man muss durchaus ein bisschen tiefer in die Thematik eindringen und darüber nachdenken, ob das, was Frank tut, eigentlich richtig ist.“

Willis sieht die Veränderung, die Paul Kersey durchmacht, dabei nicht zuletzt aus der Sicht eines Vaters: „Bevor ich selbst Kinder hatte, spielte das Vatersein in meinen Actionfilmen keine Rolle. Heute ist es einer der wichtigsten Aspekte. Dieser Film lässt einen wirklich darüber nachdenken, wie weit man zu gehen bereit ist, um seine Familie zu schützen. Nachdem seine eigene Familie attackiert wurde, hat Paul Kersey null Toleranz mehr für irgendwen, der einer anderen unschuldigen Person Schaden zufügt. Dabei zeigen wir dem Publikum die Ursachen dafür, also warum er tut, was er tut.“

Laut Beau Knapp (THE NICE GUYS) war es für das Gelingen des Films dabei besonders wichtig, Paul Kersey einen denkwürdigen Gegenspieler gegenüberzustellen. „Mit das wichtigste, wenn man einen Bösewicht spielt, ist normalerweise, dass man sich selbst im Spiegel nicht als Bösewicht sehen darf“, meint der Schauspieler, der in DEATH WISH als Knox zu sehen ist, der als Einbrecher und Mörder Kerseys Leben für immer verändert. „Doch in diesem Fall war das anders. Dieser Kerl schaut in den Spiegel – und ihm gefällt, wie böse er ist.“

Kaum hatte er die Rolle bekommen, setzte sich Knapp ausführlich mit Roth über die Figur auseinander. „Das Böse, das von Knox ausgeht, sprang einem schon beim Lesen von den Seiten entgegen, durch die Art und Weise, wie er auftritt, wie spricht, geht oder grinst“, fasst er zusammen. „Eli und ich wollten aus ihm eine wirklich starke Figur machen, so wie in den Filmen der Siebziger und Achtziger Jahre, wo es im Kino wirklich herausragende Bösewichter zu sehen gab.“

Social Media und moderne Technologien verleihen dieser neuen Version von DEATH WISH eine zusätzliche Seite, die Kerseys Morde noch unmittelbarer macht. Nicht zuletzt durch dieses Update der Geschichte wird es ganz offensichtlich, wie Kersey zusehends die Kontrolle über die Taten des „Grim Reaper“ verliert.

„Der Autoraub, bei dem Kersey auf die Täter schießt, wird von jemandem an einem Fenster gefilmt – und das Video geht viral“, erklärt Roth. „Die ganze Welt kann sehen, was dieser Mann da tut. Zu zeigen, wie Außenstehende beinahe in Echtzeit mitbekommen können, was da vor sich geht, hat mich an einer heutigen Version dieser Geschichte besonders interessiert.“

Camila Morrone pflichtet ihrem Regisseur bei, dass soziale Netzwerke und das Internet allgemein dazu beigetragen haben, dass Ereignisse wie die in DEATH WISH gezeigten heutzutage vollkommen anders wahrgenommen werden. „Die Idee, dass ein Schaulustiger den Autoraub und die Folgen filmt und das dann ins Internet hochlädt, hat mich auf Anhieb angesprochen“, berichtet die Schauspielerin. „Ich bin ja Teil dieser Social Media-Generation, in der alles immer nur einen Klick entfernt ist. So sieht unsere Realität heute tatsächlich aus. Bevor wir etwas in den Nachrichten sehen, erfahren wir auf Twitter oder Facebook davon.“

„Wenn früher etwas berichtenswert war, dann hat man davon am nächsten Morgen in der Zeitung gelesen oder vielleicht abends etwas in den Fernsehnachrichten gesehen“, sagt auch Produzent Birnbaum. „Heute verbreitet sich eigentlich alles augenblicklich, denn für praktisch alles gibt es Augenzeugen. Genauso ist es nun auch in unserer Geschichte, und das erhöht natürlich den Druck auf die Polizei, diesen Fall zu lösen, ganz gewaltig.“

Laut Dean Norris, der Detective Rains spielt, ist es nicht zuletzt die Aufmerksamkeit in den sozialen Netzwerken, die die Polizei dazu antreibt, Kerseys Alter Ego möglichst schnell fassen zu wollen. „Diese neuen Medien-Realität und der schnelle Ruhm, der damit im Positiven wie Negativen einhergeht, sind jetzt ein fester Bestandteil dieser Geschichte“, erklärt der Schauspieler. „Je bekannter der Sensenmann durch das Internet wird, desto mehr drängen die Polizei-Vorgesetzten darauf, ihn zu fassen. Auch um mögliche Nachahmer zu verhindern.“

„Keine Frage, das Internet stellt ein echtes Problem für Raines und Jackson dar“, meint auch Kimberly Elise alias Detective Jackson. „Denn dieser Fall, der normalerweise bloß innerhalb der Polizei ein Thema wäre, wird dadurch öffentlich. Die Polizisten sind noch nicht einmal zurück vom Tatort, da weiß schon alle Welt Bescheid.“