f eldoraSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 26. April 2018, Teil 5

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Das ist kein Film für Liebhaber von theatralischen Weltraumepen, die verhindern sollen, daß sich die Zuschauer mit ihrem eigenen Leben beschäftigen. Dies ist ein Film für die, die dem Motto zustimmen, das Regisseur Markus Imhoof ein Leben lang begleitet hat: „Das Einzige, was uns am Ende bleibt, sind Erinnerungen, die auf Liebe basieren.“
Und eine solche Erinnerung ist Anlaß und Beginn seines Films über Flüchtlinge, eine Erinnerung an Erlebnisse in der Schweiz, die für uns fast völlig unbekannt sind. Damals sind im Zweiten Weltkrieg in die neutrale Schweiz Kinder aus Italien verschickt worden, die dort unter erbärmlichen Bedingungen lebten und vom Aufenthalt in der Schweiz aufgepäppelt und gesünder zurückkommen sollten. Markus Imhoof wartet mit seiner Mutter auf dem Güterbahnhof auf den Flüchtlingstransport aus Mailand. Seine Mutter wählt ein Mädchen aus. Es ist Giovanna, die für immer den Weltzugang für Markus verändern wird, so als ob er nun mit ihren Augen die Welt betrachtet, aber nein, aber es ist ein neuer Blick auf das Leben und was alles geschehen kann. Und er kann das heute in einem Film verwenden, weil es Fotos sind, die die Erinnerung aufrecht erhalten haben.

Dieser, wir wir denken, erst mal romantischen Erinnerung stellt Imhoof die harte Realität der nach Europa kommenden Flüchtlinge entgegen. 70 Jahre später. Und obwohl die Tagesaktualität im Film immer wieder eine Rolle spielt und die realistischen Aufnahmen nie zuviel werden, ist es doch das private Geschick, das im Film für den Zuschauer die Hauptrolle spielt. Dadurch aber, daß Markus Imhoof als Person an Bord des Schiffes der italienischen Marine geht, das in der Operation MARE NOSTRUM mehr als 100 000 Flüchtlinge aus dem Meer gerettet hatte, sind wir sozusagen mit seinen Augen und mit seinen Erinnerungen auch in der aktuellen Situation, die immer darum kreist: es sind Menschen.

Inzwischen wissen wir längst, es wird eine Episode bleiben, der Aufenthalt von Giovanna in der Schweiz, sie wird zurückgehen, was sie tut, aber dann sind wir doch nicht darauf vorbereitet, daß sie bald schon, so früh also als Jugendliche in Mailand verstarb. Nun versteht man noch besser, warum die Erinnerung so wach ist, denn sie hatte keine Chance durch eine neue Gegenwart ersetzt zu werden. Wer je nahestehende Menschen verlor, zu früh verlor, wird sofort verstehen, welche Mechanismen von Trauer, aber auch Schuld, völlig unberechtigterweise, aber dennoch, ein Konglomerat von Gefühlen produziert.

Das alles bringt Imhoof nicht aufdringlich, nicht plakativ, aber eben eindringlich für diejenigen, die sich beeindrucken lassen. Das ist ein kleiner feiner stiller Film für diejenigen, die sich erinnern wollen und die Gegenwart als etwas begreifen, was morgen schon zur Vergangenheit wird, die man um so besser vergehen lassen kann, je souveräner man sich selbst als Mensch verhalten hat.

Foto:
Giovanna und Markus 1945, Foto aus dem Film
© berlinale.de

Info:
Regie & Drehbuch   Markus Imhoof
Produzenten            Thomas Kufus, Pierre-Alain Meier, Markus Imhoof
Bildgestaltung          Peter Indergand (S.C.S)
Regieassistenz/Recherche     Marion Glaser, Antonella Falconio, Giorgia De Coppi, Franziska Arnold
Montage                  Beatrice Babin (BFS)
Musik .                     Peter Scherer