Vom 18. bis 24. April 2018 gibt das goEast-Festival in Wiesbaden zum 18. Mal einen Einblick in die mittel- und osteuropäische Filmszene, Teil 12
Thomas Adamczak
Mainz (Weltexpresso) - Im Mainzer Kino Capitol wurden im Rahmen des Wiesbadener Filmfestivals Go EAST unter anderem die beiden Filme »Oratorium für Prag« von Jan Němec und »Voices in the Forest« der Dokumentarfilmerin Marie Elisa Scheidt gezeigt. Im Anschluss folgte eine Podiumsdiskussion, die Tobias Schwarz (»Pulse of Europe«) moderierte.
In »Oratorium für Prag« verwendete der tschechische Regisseur Originalmaterial der Ereignisse des Prager Frühlings. Er dokumentierte die Zeitspanne vom Vorabend bis zur Niederschlagung durch Panzer des Warschauer Paktes.
Dieser Film beeindruckt nach wie vor, allerdings irritiert mittlerweile die Verklärung der Situation am Vorabend der gewaltsamen Unterdrückung der Bewegung. Fröhliche Hippies vermitteln ein Bild der Unbeschwertheit, und die Sit-Ins zeigen nicht eine Gesellschaft voller Gegensätze und Widersprüche. Die hätte der Regisseur, wenn er sich um historische Genauigkeit bemüht hätte, zumindest ansprechen müssen.
Die Panzer des nächsten Tages zerstörten das vermeintlich zufriedene, ja glückliche Zusammenleben der Menschen in der Tschechoslowakei, das Jan Němec mit der Kombination der Filmsequenzen suggerieren wollte. Der Kommentar zu den Bildern weist ebenfalls in eine solche Richtung.
Der Film durfte in der ehemaligen Tschechoslowakei natürlich nicht gezeigt werden. Über den österreichischen Rundfunk gelang Němec die weltweite Verbreitung, zu der unter anderem beitrug, dass etliche Szenen aus seinem Film in der Verfilmung von Milan Kunderas Roman »Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins« verwandt wurden.
Interessanter und herausfordernder für den heutigen Zuschauer war der zweite Film des Abends:»Voices in the Forest« der Jungfilmerin Scheidt.
Marie Elisa Scheidt ist eine der fünf Regisseure aus ebenso vielen Ländern, die in „Okkupation 1968“ aus der Perspektive der damaligen Okkupanten auf die Ereignisse des Prager Frühlings zurückblicken.
In Wiesbaden wurde »Okkupation 1968« in Gänze gezeigt, im Mainzer Capitol nur der deutsche Beitrag, kombiniert mit dem und im Kontrast zu dem Film von Jan Němec.
Im Film von Scheidt erinnern sich zwei ehemalige DDR-Soldaten vor eindrucksvoller Kulisse (die beteiligten Truppenverbände der Volksarmee der DDR waren unmittelbar an der tschechischen Grenze auf DDR-Seite in waldreicher Umgebung stationiert und warteten dort auf den Befehl zum Einsatz) an die damaligen Ereignisse.
Zwei ehemalige DDR-Soldaten erinnern sich, wie sie die damaligen Ereignisse erlebt Der eine von ihnen kam wegen der demonstrativ gezeigten Sympathie für den Prager Frühling ins Gefängnis, der andere verfolgte über ein kleines Radio, welches er versteckt am Körper trug, die Nachrichten und Kommentierung des Geschehens im Deutschlandfunk und hörte dabei zu seiner Verwunderung, dass neben den Truppen aus Russland, Ungarn, Polen, Bulgarien auch Truppenteile der Nationalen Volksarmee in die Tschechoslowakei (CSSR) einmarschiert seien, was aber, er war ja beteiligter Soldat, nicht stimmte.
Der tschechoslowakische Bevölkerung sollte ein erneuter Einmarsch deutscher Truppen nach den Erfahrungen mit dem NS-Staat erspart werden.
Die Aussagekraft und intensive Wirkung der beiden Filme ließ die Zuschauer im gut gefüllten Capitol auf eine fruchtbare Diskussion der Teilnehmer auf dem Podium hoffen. Diese Erwartung wurde allerdings weitgehend enttäuscht.
Interessant wäre gewesen, wenn die beiden Filme aus filmtheoretischer und wirkungsästhetischer Perspektive miteinander verglichen und besprochen worden wären. Dazu hätte man gern die Leiterin des Filmfestivals, die niederländische Filmproduzentin und Kuratorin Heleen Gerritsen im Gespräch mit der Filmemacherin Marie Elisa Scheidt gehört, die beide auf dem Podium saßen und auf die entsprechenden Stichworte warteten.
Die beiden Historiker auf dem Podium hätten ausgehend von einer geeigneten Fragestellung auf die welthistorische Bedeutung des Prager Frühlings näher eingehen können. Dann hätte auch intensiver, als das an diesem Abend möglich war, auf die damalige Position der UdSSR eingegangen werden können und auf die gleichzeitig sich ereignenden Entwicklungen in der westlichen Welt. Im Westen wurden 1968 die roten Fahnen geschwenkt, in Osteuropa wurden sie verbrannt.
Der mit der Materie offensichtlich zu wenig vertraute Moderator der Podiumsdiskussion, Tobias Schwarz (»Pulse of Europe“), erschwerte mit seiner Moderation einen ergiebigen Austausch zwischen den Diskutanten auf dem Podium.
Auf die das Publikum vor allem interessierenden Fragenkomplexe wurde eher nebenhin eingegangen. Schade! Bei dem Gespräch über diese beiden wichtigen und lohnenden Filme wäre mehr möglich gewesen.
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