f callasinterSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 17. Mai 2018, Teil 6

Olivier Séguret

Paris/New York (Weltexpresso) - Vor 40 Jahren starb Maria Callas. Obwohl scheinbar nichts Sie dafür prädestinierte, wurden Sie zum inoffiziellen Veranstalter der Feierlichkeiten zu diesem Jahrestag, mit drei Büchern, einer Ausstellung und diesem Film ...

Ja, es ist mehr als fünf Jahre her, dass ich in dieses riesige Projekt eingetaucht bin. Davor wusste ich so gut wie nichts über Maria Callas. Als ich auf ihre Vita stieß und nach und nach immer mehr von ihr entdeckte, kam mir bald die Idee, einen Film zu machen. Und das wurde schnell zu einem alles beherrschenden Wunsch. Dieser Film ist das höchste Ziel, der Gipfel, den ich erreichen wollte, mein persönlicher Mount Everest. Aber mir wurde bald klar, dass darum herum ein ganzes Himalaya-Gebirge existiert. Ein gigantischer Berg an Dokumenten und Archivmaterial musste erschlossen werden. Diese große Recherche bildete den ersten Teil meiner Arbeit.

Und als ich dann eine Geschichte daraus entwickeln wollte, stellte sich sehr bald heraus, dass das alles unmöglich in einem Film unterzubringen war. Ich hatte einen Schatz geborgen, aber nur ein Teil davon war für diesen Zweck verwendbar. Für mich behalten wollte ich ihn aber auch nicht. Also habe ich ein Buch daraus gemacht. Es trägt denselben Titel und liefert sozusagen die Vervollständigung. Und immer noch blieb Material übrig, Persönlicheres, das kam ins nächste Buch. Und zuletzt waren da noch diese erschütternden und nie veröffentlichten Briefe. Auch die musste ich der Öffentlichkeit zugänglich machen, und so kamen sie in ein drittes Buch. Den letzten Baustein bildete dann die Ausstellung, das ergab sich, während wir den Film montierten. Und auf diesem Weg habe ich dann wirklich alles oder fast alles gezeigt, was ich im Lauf der fünf Jahre angesammelt habe.


Manche Produzenten versuchten Sie zu überzeugen, eine Fernsehdokumentation aus Ihrem Projekt zu machen, aber für Sie konnte MARIA BY CALLAS nur ein Kinofilm werden. Warum?

Der Film war sozusagen der persönliche Antrieb all meiner Arbeiten an diesem Thema, er ist und bleibt in meinen Augen das Hauptwerk. Ich habe gegen alle Widerstände daran festgehalten, einen Kinofilm zu machen und keine Fernsehdokumentation, denn ich bin überzeugt, dass nur das Kinoerlebnis die Intimität schafft, die dieser Film braucht: das Gefühl, dieser Frau wirklich gegenüberzustehen, in ihre Welt einzutauchen, in ihre Epoche zu reisen. Im Kino erlebt man Musik und Gesang auch am ehesten so, wie es sonst nur in der Oper möglich wäre.

f calla1Oberstes Prinzip war für mich, weder einen Erzähler noch eine äußere Erzählung einzusetzen. Alle Worte im Film sind Callas’ eigene Worte. Es war mir auch ein Anliegen, dass der Zuschauer Maria Callas durch die Zeit begleitet. Er soll das Gefühl haben, mit ihr älter zu werden und so nah wie möglich die drei großen Abschnitte mitzuerleben, die ihrem Leben und damit auch dem Film den Takt vorgeben: ihre Anfänge in den 50er Jahren, ihr Ruhm in den 60ern, ihre Blütezeit und ihr vorzeitiges Altern in den 70er Jahren. Nur das Interview, das als roter Faden dient, unterbricht die zeitliche Kontinuität. Aber es hat dafür selbst etwas Zeitloses, es steht für sich, und deshalb habe ich mir diesen kleinen Regelverstoß erlaubt.

Und schließlich gab es noch einen Imperativ für den Film: Wenn die Callas singt, hört man ihr zu, man sieht ihr zu und man lässt dem Gesang Raum, bis die Arie zu Ende ist. Diese Vorgaben haben eine Menge Schwierigkeiten verursacht, aber ohne sie ging es nicht. Und ich glaube, dass der Film nur dadurch so authentisch geworden ist.

Am Ende der ersten Montage waren wir bei einer Version von 3 Stunden und 15 Minuten angekommen ... Die Montage-Arbeit war wirklich hart. Jeden Tag hatte ich das Gefühl, ein Kartenhaus neu aufbauen zu müssen. Welche Karte auch immer man wegnahm – immer geriet das gesamte Gleichgewicht ins Wanken, und man musste von vorn anfangen.


Der Film vermittelt den Eindruck eines Mosaiks ohne Verbindungsstücke, bei dem sehr unterschiedliche Dokumente, die aus sehr unterschiedlichen Quellen stammen, sich auf der Leinwand zu einem harmonischen Ganzen zusammenfügen und dabei eine sehr besondere Struktur ergeben.

Wir mussten einen Haufen technischer Herausforderungen meistern. Im Film kommen Bilder vor, die zum ersten Mal in hoher Auflösung und in Originalfarben zu sehen sind. Diese Farben haben wir möglichst wirklichkeitsgetreu nachkoloriert. Dafür haben wir uns an Originalkostümen und Original-Make-up orientiert. Es kommen auch Super-8-Filme aus verschiedenen privaten Sammlungen zum Einsatz. Ich wollte bekanntes und unbekanntes Archivmaterial neu zusammensetzen, die Bilder modern und unmittelbar wirken lassen, Nähe erzeugen.

Über die Digitalisierung hinaus war die gesamte Arbeit am Filmmaterial Arbeit fürs Kino, es sollte ein Kinofilm werden und die Callas eine Schauspielerin. Das war im Übrigen mein geheimer Ehrgeiz: dass dieser Film dem Zuschauer das Gefühl gibt, er sehe – nach „Medea“ von Pasolini – den zweiten Kinofilm von Maria Callas.


Am Ende Ihrer fünf Jahre dauernden Odyssee – wie beurteilen Sie den aktuellen Zustand des Mythos Callas? Ist sie immer noch so populär, und wenn ja, warum?

Von den Leuten, die am Film mitgearbeitet haben, haben viele junge Menschen Maria Callas gar nicht gekannt, und sie sind ihr fast augenblicklich verfallen. Es ist großartig, wenn man Menschen beobachtet, die sie nicht kennen – diese außergewöhnliche Magie, die sie ausstrahlt .... Das ist wirklich einzigartig, sehr schwierig zu beschreiben, und es betrifft fast jeden! Vielleicht liegt es daran, dass es nichts Ähnliches und Vergleichbares gibt, nichts, das dem Phänomen Callas nahekäme.

Während all der Jahre habe ich beobachtet, dass Maria Callas als etwas sehr Besonderes wahrgenommen wird – selbst bei der ganz jungen Generation, die ja mit einer Daumenbewegung auf dem Smartphone Zugang zu allem hat. Es gibt ein teilweise sehr junges Publikum, das die Callas für sich entdeckt und sie rückhaltlos bewundert. Das sind Menschen unterschiedlichster Kulturen und Länder. Ich habe beispielsweise einen jungen australischen Fan kennengelernt, einen genialen und verrückten Typen, der in erstklassiger High-Fidelity-Qualität alle unautorisierten Mitschnitte von Maria Callas digitalisiert! Die Callas ist auf unmittelbare und absolute Art Kult. Sie ist wirklich populär und im Übrigen bis heute die Opernsängerin mit den besten Plattenverkäufen. Sie traf auf eine veraltete und verstaubte Opernwelt, als sie debütierte. Und sie trug dazu bei, dass Oper wieder ein Publikum fand und modern wurde, weil sie als Diva das Genre neu geschaffen hat.


Könnten Sie von sich persönlich sagen, was Maria Callas Ihnen bedeutet? Haben Sie heute eine genauere Vorstellung davon, welchen Punkt in Ihrem Inneren sie vor fünf Jahren berührt hat, als Sie sie entdeckten?

Immer wieder im Film kommt Maria Callas auf das Thema Schicksal zu sprechen, ihr Schicksal. Ich glaube, das ist die Frage, die sie ihr ganzes Leben lang verfolgt hat: Habe ich mich meiner Kunst geweiht und zwar ganz und gar? Und was opfere ich folglich als Frau? Das ist ein so starkes Leitmotiv, dass man sie sagen hört: „Ich bin nicht religiös, aber ich trage ein Gebet in mir: Gib mir die Kraft, über das hinauszugehen, was das Schicksal mir auferlegt.“ Indem er einerseits die hingebungsvoll liebende Frau zeigt und andererseits die geniale Künstlerin, macht der Film die Zerrissenheit deutlich, die sie ihr Leben lang verfolgt hat. Denn ihr ganzes Leben ist ein Ausdruck dieser extremen Spannung, der Begabung einerseits, des Opfers andererseits.

Und so lande ich wieder beim Thema Schicksals: Es war mein Schicksal, den Weg von Maria Callas zu kreuzen, obwohl nichts mich dazu prädestinierte ... Warum habe ich diese wertvollen Dokumente in die Hand bekommen, wie kommt es, dass ich zehnmal so viel zusammengetragen habe, wie man bisher gesehen hatte, welches Wunder hat bewirkt, dass ich mich so hartnäckig dahinein versenken musste ... es ist Schicksal.

Einer ihrer Briefe an Aristoteles endet mit den Worten „Ich liebe Dich mit Körper und Seele.“ Darin liegt der Schlüssel, glaube ich: Körper und Seele. Ihr Gesang entsteht in ihrem Körper, um die Seele zu berühren. Maria Callas erinnert uns daran, dass wir in der Lage sind bzw. dass wir nicht versäumen sollten, mit Körper und Seele zu leben.

Foto:
Dieses Interview betreitet einen großen Teil des Films © Verleih

Info:
Der Text ist dem Presseheft entnommen


Drehbuch und Regie
Tom Volf

Ausführende Produzenten
Emmanuelle Lepers
Gael Leiblang
Emmanuel Chain
Thierry Bizot

Koproduzent Tom Volf

Briefe gelesen von
Eva Mattes (Deutsche Synchronisation)
Fanny Ardant (Französisches Original).