f am strand2Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 21. Juni 2018, Teil 6

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Erstaunlich, dieser Film spaltete sofort die in der Pressevorführung anwesenden Journalisten, obwohl schon die Überzahl vom Film berührt war, dafür aber einige besonders ablehnend – und das waren nicht die, die den dem Film zugrundeliegenden Roman kannten und deshalb die Probleme bekamen, die jede Literaturverfilmung mit sich bringt.

Diese Probleme kann einem keiner nehmen, denn gibt es den Roman AM STRAND von Ian McEwan aus dem Jahr 2007 vor dem Film 2018 und hat man ihn gelesen, so hat der Leser sich seine handelnden Figuren selbst im Bild erschaffen und jede Verkörperung auf der Leinwand ist einfach eine andere. Aber sagen wir es gleich: die Florence der Saoirse Ronan, die wir am Strand von Chesil Beach kennenlernen, die nimmt es mit jeder Phantasiegestalt auf: die Innerlichkeit, die Verklemmtheit, die Prüderie, das langsame Herantasten, das dem gerade angeheirateten Mann Gefallenwollen, aber auch die ganz konkrete Furcht – das war doch mal die Unterscheidung von Angst und Furcht. Letztere sollte die konkrete Angst sein - vor der Hochzeitsnacht, das alles kommt einem vor, wie für die junge Schauspielerin Saoirse Ronan erfunden. Das Schauspielerlob gilt auch für Billy Howie, der den Edward als ebenfalls unsicheren, aber zumindest in seinem Wollen völlig eindeutigen jungen Mann gibt, der seine gerade angetraute Ehefrau schon lange begehrt und nun nach der Trauung endlich darf, endlich an sie herandarf, was er weder brutal, noch bösartig versucht, sondern eher zögerlich und gut erzogen, aber konsequent durchziehen will. Auch ihn kann man so gut verstehen.

Nein, Leute von heute können das nicht mehr aus eigener Anschauung nachvollziehen, was das Thema des Buches und das Thema des Films ist, wie aus falschverstandener Scham zwei sich wirklich liebende Menschen in der Nacht, die den Beginn des gemeinsamen Lebens feiern sollte, ihren Abschied einläuten. Mit einem Paukenschlag.

Es geht also historisch um die Sechziger Jahre, die nach dem, sagen wir mal, Laissez-faire der Kriegs- und Nachkriegsjahre, eine junge Generation herangezogen hatte, die kleinbürgerliche Moralvorstellungen vor sich hertrug, gegen die dann sowohl die Beatles wie die Rolling Stones wie erst recht die Studentenbewegung zu Felde zog. Wir begleiten Florence und Edward am Tag ihrer Trauung, wie sie am Strand entlang, ordentlich gewandet, in ihr Hotel zur Hochzeitsnacht eintrudeln. Edward hat es durchaus eilig, Florence möchte das endlos hinausschieben. Daß ihre Verbindung etwas Revolutionäres hat, erschließt sich aus den Rückblenden, die uns im Film nun die Vorgeschichte dieser Hochzeit und Ehe erläutern. Das hat manchmal etwas Mechanisches, aber ist natürlich wichtig, um diesen Abend, diese Nacht zu verstehen, die das Ende der gerade geschlossenen Ehe bedeutet.

Revolutionär ist etwas übertrieben, aber damals herrschten im königlichen England noch stärkere Klassenschranken als heute und eher heiratet ein männlicher Arzt eine weibliche Krankenschwester als umgekehrt eine weibliche Ärztin einen männlichen Krankenpfleger. In diese Richtung geht aber die Verbindung der jungen Geigerin, die mit ihrem Streichquartett längst erfolgreich Kammerkonzerte gibt, mit Edward, der zwar als Historiker der erste Studierte seiner Familie ist und gerne Schriftsteller werden möchte, aber seine kleinbürgerliche Herkunft und auch Enge mit sich herumträgt, wozu sein Musikgeschmack gehört, der natürlich nicht klassische Musik präferiert, sondern mit dem Rock n‘ Roll die Jugend- und Protestmusik. Das alles porträtiert Regisseur Dominic Cooke sehr genau, aber überhaupt nicht plakativ, sondern eher mit leichter Hand vielschichtig.

So erleben wir in den Rückblenden, wo es nicht nur um das Kennen- und Liebenlernen der beiden geht, sondern auch um ihre Eingebundenheit in die jeweiligen Familien, eine sehr aufgeweckte Mutter von Edward, die ihrer engen Zeit voraus schon Ansichten hat, die erst später ‚erlaubt‘ waren. Keine der Figuren ist wie aus dem Schachspiel, McEwan, der seinen Roman selbst in ein Drehbuch wandelte und Cooke, der virtuos die Figuren lebendig hält, zeigen uns in all der historischen Genauigkeit Anfang der 60er Jahre, die der fast viktorianischen Prüderie geschuldet ist, doch auch einen Grundkonflikt von Menschen in jeder Epoche: wenn man nicht miteinander redet, über das, was einen innerlich trennt, wenn der Stolz vor Liebe kommt, dann kommt es ungewollt, aber durchschlagend auch zur Trennung von sich wirklich Liebenden.

Wie unnötig das alles war, verraten die Szenen aus dem späteren Leben der beiden, das sie für immer voneinander getrennt leben. Sie heiratet den Cellisten ihres Ensembles, der es schon lange auf sie abgesehen hatte, hat sogar Kinder. Wir sind mit Edward tief getroffen.

Foto:
©

Info:
BESETZUNG
FLORENCE PONTING     Saoirse Ronan
EDWARD MAYHEW         Billy Howle
MARJORIE MAYHEW      Anne Marie-Duff
LIONEL MAYHEW            Adrian Scarborough
VIOLET PONTING            Emily Watson
GEOFFREY PONTING     Samuel West

STAB
REGIE                              Dominic Cooke
ROMANVORLAGE           Ian McEwan
DREHBUCH                     Ian McEwan