f thomasSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 16. August 2018, Teil 11

N.N.

Berlin (Weltexpresso) - Du hast schon mehrere vielstimmige Filme über Künstlerinnen und Künstler gemacht, die in der DDR eigene, widerständige und widersprüchliche Stimmen waren: Paul Gratzik, Sascha Anderson, Christian Flake Lorenz und deine Freundin Ines Rastig. Insofern scheint es ziemlich naheliegend, dass du dich irgendwann auch mit Thomas Brasch auseinandersetzen musstest. Warum erweiterst du den Blick auf ihn aber zu einer Familiengeschichte?

Auch wenn Thomas Brasch der berühmteste Spross seiner Familie ist, war der Gedanke, die ganze Familiengeschichte zu verfilmen, von Anfang an da. Auch meine anderen Filme sind keine klassischen Künstlerporträts. Mich interessiert, persönliche Geschichten und Biografien in ihren gesellschaftlichen Zusammenhängen und Widersprüchen zu erzählen. Schon als ich 2001 Heinrich Breloers »Die Manns« sah, malte ich mir aus, wie es wäre, eine starke ostdeutsche Familiensaga zu verfilmen. Am besten über eine Funktionärsfamilie, an der sich exemplarisch die Hoffnungen und Irrtümer des kommunistischen Traums, auch im ganz Alltäglichen, bis zum Untergang der DDR erzählen ließe. Und da dachte ich sofort an die Familie Brasch. Zu dem Zeitpunkt arbeitete ich aber noch am Theater. Als ich 2011 schon ein paar Filme produziert hatte, bekam ich davon Wind, dass Marion Brasch ihr eigenes Familienschicksal aus der subjektiven Sicht des Nesthäkchens niederschreibt. Da habe ich mich sofort auf ihren Roman gestürzt, der mich so fasziniert hat, dass ich beschloss, einen Spielfilm zu produzieren, der 2019 gedreht wird. Für die Romanverfilmung suchte ich zu Recherchezwecken nach Zeitzeugen und Weggefährten. Als ich sah, wie eng sie alle mit den Geschicken der einzelnen Familienmitglieder verbunden sind, war klar, dass ich die Begegnungen mit der Kamera begleiten werde - und so wurde die Idee zu diesem Dokumentarfilm geboren. Die Offenheit, Wärme, Intensität und die komplexen Reflexionen meiner Protagonisten führten zu einem neuen, eigenständigen Zugriff auf die Familiengeschichte der Braschs 


Bei deinen anderen Filmen lässt du deinen persönlichen Bezug zu den Protagonisten und Protagonistinnen Teil der Erzählung werden. Wo liegen deine Berührungspunkte mit der Brasch-Familie?

Tatsächlich gibt es auch hier persönliche Bezüge. Für mich war Thomas Brasch ein Popstar, bevor ich auch nur eine Zeile von ihm las. Sein Rauswurf aus der DDR nach der Biermann-Ausbürgerung empörte mich. Da war ich in der 8. Klasse. Später, in den 80ern, lernte ich Marion kennen. Sie wollte Sängerin werden und suchte nach einem passenden Look, ich habe Mode gemacht, das hat uns zusammen gebracht. In meiner Theaterzeit traf ich oft auf Peter Brasch. Es wurde viel gefeiert und über Kunst und Politik gestritten, wir hatten ein eher schwieriges Verhältnis. Sein früher Tod hat mich tief getroffen. Thomas Brasch bin ich dann in den 90ern auf Streifzügen durch das nächtliche Berlin begegnet, da hatte ich all seine Filme gesehen. Seine Gedichte und sein Blick auf die Welt fesselten mich. Wenn ich Lust auf einen Disput mit Thomas und Konsorten hatte, wusste ich, wo er zu finden war: Er hielt regelmäßig Hof im »Ganymed«. Das Restaurant lag genau unter seiner großen Wohnung neben dem Berliner Ensemble. Er beklagte, dass sie viel zu teuer sei und sagte gleichzeitig: »Meine Mutter meinte, wer am Schiffbauerdamm wohnt, hat es geschafft«. Da war die Mutter schon 25 Jahre tot. Über diesen Satz habe ich oft nachgedacht. Er führte mich zu der Frage: Woran sind die Brasch-Söhne eigentlich kaputt gegangen?


Was sich als großes Thema durch die Geschichte der Familie Brasch und durch deinen Film zieht, ist die Sprachlosigkeit zwischen den Generationen. Um die großen Daten der jüngeren deutschen Geschichte herum (1945 - 1968 - 1989) entstehen überall Verletzungen, aber diskutiert wird nicht. Man hat den Eindruck: jede Generation bricht mit der davor und verweigert gleichzeitig der nachfolgenden das Gespräch. Ist es dein Anliegen, dieses Gespräch im Nachhinein zu rekonstruieren?

Ja, genau das versuche ich. »Familie Brasch« ist ein Dokumentarfilm, der sich mit heutigen Fragen an etwas Vergangenes annähert. Der Film erzählt, wie sich die Jungen von der Vätergeneration zu emanzipieren versuchen. Mir ist wichtig, dass man diesen gewöhnlichen, archetypischen Vorgang der Auseinandersetzung als einen politischen wahrnimmt, auch wenn - oder gerade weil - er sich innerhalb einer Familie abspielt. Es ging um etwas, um nicht weniger als die letzte große Utopie, während gleichzeitig der tief humanistische Gesellschaftsentwurf des Vaters, der dem Antifaschismus entsprang, zur Diktatur mutierte. Beide Seiten, beide Generationen, glaubten an die Möglichkeit einer besseren Welt. Beide Seiten führten eine verzweifelte Auseinandersetzung darüber, welcher Weg der richtige ist. Die Jungen mit Hoffnung, Offenheit und Neugier, bis sie am Herrschaftsanspruch der Alten abprallten. Wie groß muss die Enttäuschung der Kinder gewesen sein, die den Traum vom Sozialismus teilten, sich aber mit den real existierenden Zuständen nicht abfinden konnten. Die Alten stellten sich offensichtlich vor, dass eine, nämlich ihre Generation ausreicht, um so einen gewaltigen gesellschaftlichen Umbruch durchzusetzen. Sie meinten wohl, dass sie die Talente und Kapazitäten ihrer Kinder nicht nötig hätten. Fatale Fehleinschätzungen, aus denen wir vielleicht etwas lernen können in Zeiten, wo meine Generation die Schaltstellen der großen und kleinen Macht besetzt. Was geben wir unseren Kindern weiter angesichts dessen, dass wir uns anscheinend in einer epochalen Zeitenwende befinden? Worüber streiten wir mit ihnen heute?


Im aktuellen 1968-Diskurs spielen ostdeutsche Erfahrungen keine große Rolle. Man liest von der »versäumten Revolte«, die von der DDR-Diktatur im Keim erstickt wurde. Freunde von Thomas Brasch wie Bettina Wegner oder Florian Havemann zeichnen in deinem Film ein anderes Bild: dass es eine eigene Form des Widerstands gab, der nicht von »außen« kam, sondern eigentlich eine Diskussion mit den Vätern über einen besseren Sozialismus herausfordern wollte. Ist der gesamtdeutsche Blick auf »1968« zu einseitig?

Warum sollte es einen gesamtdeutschen Blick geben? Es gab ja zwei Seiten. Einzige Gemeinsamkeit 1968 zwischen Ost und West: Die Vätergenerationen sahen sich in beiden Teilen Deutschlands existenziell bedroht. Aber die Revolte der »Kinder« in Ost- und Westdeutschland waren jeweils von anderen politischen Ursprüngen und Zielen motiviert. Die Jugendlichen interessierten sich naturgemäß politisch am meisten für die Konflikte in ihrem eigenen Gesellschaftssystem. Die Studentenrevolten im Westen hatten zwar die Sympathie der DDR-Funktionärskinder (und das waren Thomas Brasch, Bettina Wegner, Florian Havemann und ihre Kameraden), aber nicht die Bedeutung wie die Ereignisse in Prag im August 1968. Die West-Achtundsechziger träumten von Revolution, haben Reformen bewirkt, diese und ihre Leistungen für die Nachkommen dokumentiert wie keine andere Generation und sitzen heute in hohen Ämtern. Die Ost-Achtundsechziger hatten damals keine Öffentlichkeit, weder Medien noch Organisationen und somit auch keine wirklichen Chronisten. Sie rebellierten im Geheimen gegen die Alten. Immerhin haben sie damit das langesame Sterben ihres Staates ausgelöst, das 1989 in die »friedliche Revolution« mündete. Ich würde also nicht von »versäumter« Revolte der Ost-Achtundsechziger sprechen, sondern eher von einer Revolte, die, obwohl sie wirksam war, es nicht schaffte, sich mit Vehemenz in die deutschen Geschichtsbücher einzuschreiben.


Mit deinem Film über Rainer Werner Fassbinder hast du einen zentralen Protagonisten der westdeutschen Künstlerszene porträtiert, die auch um 1968 gegen ihre Vätergeneration revoltiert hat. Hätten sich Fassbinder und Thomas Brasch etwas zu sagen gehabt?

Sie hatten sich etwas zu sagen und standen nach der Übersiedlung von Thomas Brasch in engem Austausch. Schon 1976 sollte Fassbinder für die Uraufführung von Thomas Braschs Stück »Lovely Rita« an der Freien Volksbühne in Berlin die Regie übernehmen. Sie hielten sich gegenseitig für die wichtigsten Nachkriegsautoren (beide waren 1945 geboren), die die Widersprüche im geteilten Deutschland zur Sprache brachten. Der erste Spielfilm von Thomas Brasch »Engel aus Eisen« (1981) ist durch Gespräche mit Fassbinder angeregt worden. Man kann sagen, sie waren Freunde.


Was oft in den Erzählungen über Thomas Brasch fehlt, ist seine Karriere als Filmemacher. Das verwundert etwas, weil immerhin zwei seiner Spielfilme im Wettbewerb von Cannes liefen. Denkt man daran, wie etwa die Präsenz des Films »Toni Erdmann« (2016) gefeiert wurde, hätte das doch eigentlich in Erinnerung bleiben müssen. Wie erklärst du dir das? Wollte man einen Regisseur, der sich auch in der BRD öffentlich für seine Ausbildung an der DDR-Filmhochschule bedankte, nicht in der westdeutschen Filmszene dabei haben?

Wer weiß, welche Bedeutung »Toni Erdmann« später für die Deutschen haben wird, wenn die Regisseurin demnächst mit anarchistischen Werken provoziert, sich frech und radikal gegenüber den Medien verhält und noch dazu einem skandalösen Lebensstil frönt. Thomas Braschs »Engel aus Eisen« war Anfang der 80er auch erst mal Kult. Den schnellen Ruhm als dissidentischer Ostdichter im Westen hat Thomas Brasch nie demütig angenommen. Er verweigerte sich konsequent, wenn er von der Westpresse für Propagandazwecke gegen seinen Funktionärs-Vater oder gegen die DDR instrumentalisiert werden sollte. Sein provozierendes rebellisches Wesen behielt er zeitlebens. Nach dem Mauerfall wurde es recht still um ihn. Man spielte seine Stücke nicht mehr, seine Filmideen wurden nicht realisiert, man war nicht mehr so interessiert an ihm. Die Schauspielerin Ursula Andermatt sagt in meinem Film, »da war er dann schon das ‚Enfant terrible‘, mit dem man auch was aushalten muss«.


Thomas Brasch, Sascha Anderson, Paul Gratzik, Rainer Werner Fassbinder waren alles Männer mit erotischer Ausstrahlung. Deine Filme gehen diesem Aspekt stets nach und irritieren damit oft die »offiziellen« Erzählungen in Bezug auf ihre zeitgeschichtlichen Bedeutungen. Wieso ist dir dieser Aspekt wichtig?

Ich würde nicht sagen, dass die Filme diesen Aspekt besonders betonen. Es ist eher so, dass ich mich prinzipiell für Jahrhundert-Geschichten und für gewaltige Verführer-Charaktere interessiere. Dazu gehört dann natürlich auch die Magie und das Charisma, das von diesen Helden ausgeht. Das kann ich dann, wenn ich den Film mache, unmöglich weglassen.


Die Brasch-Familiengeschichte wird ja vor allem durch Horst und Thomas dominiert. Auf dem von Leif Heanzo gemalten Familienportrait, das immer wieder in deinem Film auftaucht, scheinen beide im Streit miteinander absorbiert, während die anderen Familienmitglieder uns Betrachter_innen anschauen. Wie bist du mit der Dominanz dieser beiden patriarchalen Figuren umgegangen?

Das Familiengemälde ist bewusst als Stilmittel zur Darstellung dieser Konstellation gestaltet und somit wesentlicher Bestandteil meiner Filmerzählung. Vater Horst und sein ältester Sohn Thomas haben bereits erbitterte Kämpfe ausgefochten, während die anderen Geschwister noch mit Murmeln gespielt haben. Klaus und Peter waren als Erwachsene auch keine Kinder von Traurigkeit, konnten aber die Aktionen ihres ältesten Bruders nie toppen. Und Marion war zu klein.


Hätte man Marions Geschichte nicht auch weitererzählen können? Sie gehörte ja 1989 zu den Unterzeichnern der »Resolution« von Rockmusikern und Liedermachern zur Unterstützung des Neuen Forums und steht als Radiomoderatorin auch sinnbildlich für ein neues Sprach-Selbstbewusstsein nach dem Verstummen ihrer literarisch etablierten Brüder.

Marions Geschichte schlängelt sich durch den ganzen Film. Der Film zeigt sie heute in New York, der Stadt, die auch für Thomas Sehnsuchtsort war. Wir sehen, wie sie ihren ersten Roman dort vorstellt. Wir erleben sie in Berlin, im Studio als Radio-Moderatorin. Wir sehen: Marion Brasch hat als Einzige überlebt. Mit ihrer Tochter Lena Brasch macht sie in Berlin zusammen Theater. Die Geschichte der Familie Brasch geht also weiter.

Fotos: 
Thomas Brasch© Verleih

Info:

FAMILIE BRASCH
ein Dokumentarfilm von Annekatrin Hendel
DE 2018, 103 Min., deutsche OF

Kinostart: 16. August 2018

Buch und Regie        Annekatrin Hendel
Kamera                     Thomas Plenert und Martin Farkas
Buch und Montage   Jörg Hauschild
Illustration                 Leif Heanz
Voice Over Roman    Marion Brasch

Abdruck aus dem Presseheft