Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 18. Oktober 2018, Teil 19
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Es ist dem Team um Regisseur Sönke Wortmann wirklich gelungen, die französische Vorlage mitten hinein in eine deutsche privilegierte Intellektuellenfamilie zu pflanzen, die Freunde, hier den Schwager und einen guten Freund, zum gemütlichen Essen eingeladen haben, wo dann aber ein Feuerwerk von intelligentem Gegeneinander und rasanter Situationskomik abbrennt, was Spaß macht.
Man kennt diese Gesellschaftsspiele, die mit verbalen Kleinigkeiten beginnen und wenn schon nicht mit Mord- und Totschlag, so doch mit massivem Streit und oft sogar mit einer anschließender Versöhnung enden, entweder aus dem eigenen Leben oder doch aus vielen Filmen, die Theatervorlagen zu Filmen verarbeiten. Deshalb Theatervorlagen, weil Dramatiker sehr viel stärker auf geschliffenen Wortwechsel aus sein müssen, der von der Bühne ins Hirn des Publikums tropft, als die Dialoge von Drehbüchern dies erfordern, die ja eine Geschichte erzählen sollen, wo das Bild, die Visualisierung durch bewegte Bilder, die bunte Leinwand das Entscheidende ist.
Wir wollten nur die französische Urheberschaft nicht verschweigen, auch wenn sie für den Film dann völlig unerheblich ist, weil wir im Bonner besseren Milieu sofort alles wiedererkennen, auch die alte Bundesrepublik übrigens, in der auch schon über Rotwein diskutiert wurde und die Filmkamera besitzzeigend über die Einrichtung schwenkt, zum einen die Bücherborde im Blick, zum anderen die Küche, in die die Hausfrau eilt, um mit schnellem Händchen den nächsten Gang vorzubereiten, wo sie doch gleichzeitig am Gespräch am Tisch teilnimmt. Wir sind im Haus der Bergers, der etwas studienrathafte Genauigkeitsapostel, also leicht anal fixiert, Stephan (Christoph Maria Herbst), ein Literaturprofessor und seine quirlige Frau Elisabeth (Caroline Peters), deren aufgeräumter, gerne provokanter und geschäftstüchtiger Bruder Thomas (Florian David Fitz) und der harmonische Familienfreund René (Justus von Dohnányi), Musiker von Beruf.
Es wäre so geworden wie immer, gemütlich, mit lebhaftem Gespräch und vollem Bauch, doch diesmal zeigt ein Kameraschwenk uns, worum es gehen wird. Es hat sich nämlich der Hausherr die jüngst erschienene wissenschaftliche Ausgabe von Hitlers „Mein Kampf“ gekauft, die auf dem Regal, etwas nach hinten ‚versteckt‘ ,vom aufmüpfigen Bruder sofort gesichtet wird. Er zieht die beiden Bände nach vorne, schiebt sie wieder nach hinten. Bringt ihn das auf eine Idee? Oder bestärkt es ihn in seinem Vorhaben? Das fragt man sich allerdings erst später, wenn er längst die Bombe hat platzen lassen. Seine Freundin Anna (Janina Uhse) erwartet ein Kind und das wollen die beiden Adolf nennen.
Das Schweigen, das auf diese Mitteilung folgt, sagt alles. Denn meist beginnen die großen Schlachten erst einmal mit Schweigen, weil die in einem entstehenden Widerstände so gewaltig sind, daß man erst einmal schlucken muß. Aber dann kommt die Abwehr gewaltig. Adolf. Wie kann man nach dem Dritten Reich nur einen deutschen Jungen Adolf nennen. Ich würde es auch nicht machen, aber letzten Endes – und das ist eigentlich die tiefere Erkenntnis – geht es gar nicht darum, um den Adolf, sondern eher, wer aus welchen Motiven was im Leben für richtig hält und wie er dies gegenüber anderen kommuniziert. Doch das schwant einem erst, wenn man erst einmal willig den „Argumenten“ der Streitenden gefolgt ist, die man alle kennt, weil sie beliebig auch auf andere Sachverhalte angewendet werden können.
Der strenge Literaturprofessor, für den Christoph Maria Herbst einfach in vielfacher Hinsicht eine ideale Besetzung ist, erscheint einem wie aus dem Bilderbuch eines linksliberalen Milieus – und gleich darauf denkt man weiter, daß man ihm doch etwas mehr Spielraum hätte geben müssen, denn er gleicht einfach zu sehr einem Abziehbild. Er ist ein Wutbürger im Kleinen, vieles im Leben hat er nicht im Griff und unter Kontrolle und so scheinen in einer so gut verständliche Abwehr, ein Kind heutzutage Adolf zu nennen, auf einmal andere Motive durch.
Er hat ein Beziehungsproblem mit seinem Schwager Thomas. Und zwar ein massives. Und es ist auch eines, das viele beamtete Geisteswissenschaftler – andere sicher auch – mit ihm teilen. Er schuftet sich kaputt. Gut, er verdient schon Geld, aber das bleibt doch alles im Rahmen und wenn er seine Stunden zusammenzählt, die er für seine Amtspflichten braucht, dann ist sein Stundenlohn sehr gering. Auf jeden Fall geringer als das Geld, das sein Schwager in der Immobilienbranche verdient. Durch Nichtstun, wie er selbst meint. Er muß nur die richtigen: Wohnung und Mieter, Käufer und Investor zusammenbringen und schwups, schon ist ein Geschäft gemacht. Dabei hat Thomas nicht mal studiert.
Welch komödiantisches Talent auch in Florian David Fitz steckt, läßt sein Emporkömmling Thomas ahnen. Denn locker, lustvoll provokativ changiert er gekonnt zwischen einem souveränen Mann, der alles aus eigener Kraft schafft und einem, der seine geschäftlichen Erfolge durch allerlei subtile Bemerkungen und ein gewisses Verhalten anderen dann doch gemein unter die Nase reibt. Zumindest versteht dies sein Schwager Stephan das so, der aber vielleicht auch aus eigenem Minderwertigkeitskomplex einem solchen Macher gegenüber Mißgunst und Neid empfindet. Außerdem entspricht er rein äußerlich viel eher dem Bild eines attraktiven Mannes, der sich in dieser Welt zurechtfindet und von ihr gemocht wird.
Freund René bleibt bis zum Schluß der einzige, der nicht austickt, sondern die Contenance wahren kann, die bei allen anderen flöten geht. Zu dicht kommt die Geschichte an Eigentliches, an Verschwiegenes heran, die im zweiten Teil des Films abgehandelt wird und auf einmal alles durcheinanderwirbelt. Die Frauen? Ja, da gibt es noch mehr Frauen, auch die Mutter Dorothea Böttcher (Iris Berben), wobei Elisabeth ja nicht nur Frau Böttcher heißt, sondern Elisabeth Berger-Böttcher. Jedes Wort hat etwas zu bedeuten in diesem Film, der einen zurückläßt mit der Absicht, sich nie wieder in derartige Wortwechsel einzulassen. Nicht nur deshalb, weil sie eine Dynamik entwickeln, die man nicht gewollt hatte, sondern eben auch, weil man das selber gut kennt. Gut hingeschaut.
Fotos:
Thomas (Florian David Fitz) und René (Justus von Dohnányi) am Tisch mit Elisabeth (Caroline Peters) und Stephan (Christoph Maria Herbst)
Ein Abendessen läuft aus dem Ruder: René (Justus von Dohnányi), Stephan (Christoph Maria Herbst), Elisabeth (Caroline Peters), Thomas (Florian David Fitz) und Anna (Janina Uhse)
alle Fotos © 2018 Constantin Film Verleih GmbH
Info:
Stephan Berger Christoph Maria Herbst
Thomas Böttcher................................Florian David Fitz
Elisabeth Berger-Böttcher .................Caroline Peters
René König ....................................... Justus von Dohnányi
Anna ................................................. Janina Uhse
Dorothea Böttcher ............................ Iris Berben
Pizzabote.......................................... Serkan Kaya