Impressionen vom 22. Queersicht-Filmfestival in Bern
Jacqueline Schwarz
Bern (Weltexpresso) - Es tut gelegentlich ganz gut, daran zu erinnern, dass Frauen in früheren Zeiten literarische Werke oder Kompositionen nur unter dem Namen eines Mannes veröffentlichen konnten. Im Falle der Komponistin Fanny Hensel Mendelssohn war es der Bruder, im Fall der Schriftstellerin Colette der Ehemann.
Natürlich liefern die Biografien solcher Künstlerinnen wunderbare Geschichten für das Kino! Die geniale Fanny haben Filmemacher zwar noch nicht entdeckt (aber das kann ja noch kommen!), dafür aber Claudine Colette.
Das 22. Berner Queersicht-Festival würdigte die starke Frauenpersönlichkeit mit dem bewegenden, prominent besetzten Film des Amerikaners Wash Westmoreland, der von den literarischen Anfängen der Französin im Fin de siècle erzählt. Colette bietet solides Ausstattungskino mit optischen Schauwerten, in dem auch unterschiedlichste Spielarten von Liebe nicht zu kurz kommen. Keira Knightley verkörpert die anfangs etwas scheue, aber zunehmend couragierter auftretende Pionierin, die nach mehreren weniger glücklichen Ehejahren ihre Liebe für Frauen entdeckt.
Lange Zeit lässt sich die Französin von ihrem Ehemann ausbeuten, dem sie als Ghostwriterin zu einer erfolgreichen Romanserie verhilft. Aber als Lissy in ihr Leben tritt, die Tochter eines Halbbruders Napoleons III., emanzipiert sie sich und geht selbstbewusst ungeachtet einiger Skandale ihren eigenen Weg.
Traditionell präsentierte das ambitionierte kleine Schweizer Festival eine Auswahl international viel beachteter aktueller Produktionen des schwul-lesbischen Kinos unterschiedlichster Genres. Es lässt sich dem Festival nicht verdenken, dass es sich in der Auswahl an bedeutenden Preisen und Auszeichnungen orientiert. Damit geraten allerdings auch schwächere Produktionen ins Programm wie Landrauschen, Gewinner des diesjährigen Saarbrücker Max Ophüls Preis, eine simple Liebesgeschichte auf dem Lande, oder Touch me not, der diesjährige Berlinale Gewinnerfilm, umstritten vor allem angesichts exponierter hässlicher Ansichten nackter Körper.
In erster Linie präsentiert Queersicht allerdings kleinere Produktionen, darunter auch Kurz- und Dokumentarfilme, die regulär seltener den Weg in die Schweizer Kinos finden. In einer Werkschau ehrte das Festival zudem das Oeuvre der deutschen Regisseurin Angelica Maccarone (Kommt Mausi raus, Vivere, Fremde Haut, Verfolgt).
Einen Schwerpunkt bildeten Lebensweisen von Transsexuellen. Kelly & Picture This zeigte beispielsweise die Wünsche und Sehnsüchte der Transfrau Kelly, die von der Liebe ihres Lebens träumt, lieferte mithin einen wichtigen Beitrag zu dem oft verschwiegenen Thema Sexualität und Behinderung.
Der polnische Beitrag Nina stellt mit unerwarteten Wendungen im Liebesleben eines heterosexuellen Paars mit unerfülltem Kinderwunsch spannende Fragen zu sexueller Identität. Vergeblich haben sich Nina und Wojtek um eine Leihmutter bemüht, da verliebt sich Nina unverhofft in eine Frau. Ist sie infolgedessen nun lesbisch oder bisexuell? Für Nina erscheint das nicht relevant: „Es ist halt passiert“. Ganz wesentlich tritt der Film damit für weibliche sexuelle Selbstbestimmtheit im katholischen Polen ein.
Einen starken Beitrag über das Aufbegehren gegen patriarchalische, sektiererische Strukturen bietet auch der israelische Film Para Aduma: Hier muss die 17-jährige Benny nach dem Tod der Mutter an der Seite ihres strenggläubigen Vaters in Jerusalem leben. Als ihr die junge Yael begegnet, entbrennt ein starkes erotisches Feuer in ihr. Der Vater, dem die Entwicklung seiner Tochter nicht verborgen bleibt, sorgt dafür, dass Yael eines Tages verschwunden ist. Homosexualität ist in seinen Augen eine Krankheit, die der Heilung bedarf. Im aufgeklärten und modernen Israel bestimmen in streng religiösen Kreisen immer noch Männer über das Leben ihrer Frauen und Töchter.
Einen spannenden Psychothriller bescherte dagegen der isländische Beitrag Rökkür. Gunnar und Einar, ein schwules Liebespaar in der Trennung, werden hier in einer einsamen Hütte – ausgelöst durch merkwürdige unheimliche Geschehnisse- dazu gezwungen, sich mit ihrer Kindheit und der eigenen, vergangenen Beziehung auseinanderzusetzen.
Mit einer solchen Vielfalt an Themen und Genres und einer guten Mischung aus unterhaltsamen und anspruchsvolleren Produktionen bot das kleine Festival Qualitäten, die in einer wachsenden Festivallandschaft keineswegs selbstverständlich sind. So möge es bleiben, wir sind gespannt auf die nächste Ausgabe!
https://www.queersicht.ch/