Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 6. Dezember 2018, Teil 8
N.N.
Stockholm (Weltexpresso) - Die von der Kritik gefeierte und von vielen verehrte Kinderbuchautorin ist bekannt für Klassiker wie „Pippi Langstrumpf“, „Wir Kinder aus Bullerbü“, „Ronja Räubertochter“, „Michel aus Lönneberga“ und „Die Brüder Löwenherz“. Sie war nicht nur zu einer der renommiertesten Autorinnen Schwedens, sondern auch zu einer der einflussreichsten Stimmen des Landes ernannt worden. Sie setzte sich auch für die Stärkung der Kinderrechte und gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung ein.
Lindgrens Engagement für das Recht eines jeden Kindes auf Sicherheit und Liebe zieht sich wie ein roter Faden durch ihr Lebenswerk. Mit ihrer Fantasie erschuf Astrid Lindgren Figuren, die bis heute in unseren Herzen leben – ungestüm, rebellisch, frei. Auch sie selbst lehnte sich immer wieder gegen Konventionen auf. Und kämpfte für Glück und um ein selbstbestimmtes Leben.
Astrid Anna Emilia wird am 14. November 1907 auf einem Bauernhof bei Vimmerby geboren – in einer Welt, in der Frauen noch nicht wählen dürfen und in der Ehe dem Mann unterstehen. Sie ist das zweite Kind von Samuel und Hanna Ericsson. Die Eltern sind religiös und streng aber auch sehr liebevoll mit ihren insgesamt vier Kindern. Astrid wächst in Geborgenheit, relativer Freiheit und der idyllischen Natur des Smålands auf. All das wird nicht nur ihre Geschichten, sondern auch sie selbst lebenslang prägen.
NICHT GERADE DAMENHAFT
Die junge Astrid entwickelt ihren eigenen Kopf – und zwar buchstäblich: Sie trägt den ersten kurzen Bob in ganz Vimmerby. „Ich rief zu Hause an und sagte: ‚Ich hab mir die Haare abschneiden lassen!‘ ‚Dann kommst du besser nicht nach Hause’, sagte mein Vater“, erzählt Astrid später. Ihre Frisur ist eine kleine Sensation und lässt ihren Freigeist erkennen. Der eigenwillige Teenager geht mit Freundinnen auf Wanderungen oder ins Kino. Vor allem aber liebt Astrid die Filme des Hollywood-Stars Mary Pickford in der Rolle des wilden Mädchens; sie wird eine Inspiration für die Figur Pippi Langstrumpf. Astrid und ihre Freundinnen gehen auch gern tanzen - am liebsten zu Jazz. Sie hätten sich damals nicht gerade damenhaft verhalten, sagt sie. Aber es sind nun mal die „Roaring Twenties“, auch in Schweden. Nach der Schule beginnt Astrid 1924 ein Volontariat bei der Zeitung „Vimmerby Tidning“, wo Chefredakteur Reinhold Blomberg – damals in Scheidung und 30 Jahre älter als Astrid – mehr als nur ihr Talent erkennt. „Niemand hatte sich jemals in mich verliebt. Er schon. Das war natürlich aufregend“, erklärt sie später in einem Fernseh-Interview.
VOM SKANDAL ZUR SELBSTBESTIMMUNG
Kurz drauf, mit nur 18 Jahren, wird Astrid unverheiratet schwanger – von ihrem noch verheirateten Chef. Ein unaussprechlicher Skandal. „Meine Eltern waren furchtbar traurig, als sie es erfuhren“, berichtet sie. „Aber wir haben nicht viel darüber geredet.“ Schwanger, unglücklich und unerfahren geht Astrid schließlich ganz allein nach Stockholm. Sie beginnt eine Ausbildung zur Sekretärin, beißt sich durch und lernt andere starke Frauen kennen. Zur Geburt reist sie auf Anraten einer Frauenrechtlerin ins dänische Kopenhagen in das einzige Krankenhaus Skandinaviens, in dem Frauen anonym Kinder zur Welt bringen dürfen. Am 4. Dezember 1926 wird ihr Sohn Lars, genannt Lasse, geboren. Keine drei Wochen später muss Astrid ihr Baby bei einer Pflegemutter zurücklassen. „Ich habe Lasse nicht gestillt und das bricht mir das Herz. Aber ich musste an Weihnachten nach Hause fahren – sonst hätte ich meine Eltern erklären müssen, warum ich nicht da bin. Ich war so naiv. Richtig dumm. Das bereue ich“, geht sie Jahre später hart mit sich ins Gericht. Astrid verdingt sich in Stockholm als Aushilfssekretärin und sehnt sich nach Lasse. Die Fahrt zu ihm ist jedoch kostspielig, deshalb kann sie nicht oft hin. „Es war eine harte Zeit. Mein ganzes Inneres wollte immer nur nach Kopenhagen zu meinem Kind“, sagt Astrid.
FAMILIE IST DAS WICHTIGSTE
Als sie im königlichen Automobilclub einen Job als Schreibkraft annimmt, entflammt eine leidenschaftliche Affäre zwischen ihr und ihrem attraktiven und verheirateten Chef Sture Lindgren. Die Dinge seien etwas außer Kontrolle geraten, gesteht Astrid. Dann wird Lasses Pflegemutter plötzlich schwer krank und der Junge kann nicht mehr in Kopenhagen bleiben. Verzweifelt beschließt sie, ihren dreijährigen Sohn nach Stockholm zu holen. Doch der Winter ist hart, Lasse hat Keuchhusten, schläft nachts nicht und Astrid muss zur Arbeit. Sie ist überfordert. Als Sture ihr einige Zeit darauf einen Heiratsantrag macht, sagt Astrid ja – allerdings nur unter der Bedingung, dass Lasse bei ihnen leben wird. Sture willigt ein und das Paar heiratet im Frühling 1931. Aus Astrid Ericsson, der Sekretärin, wird Astrid Lindgren, die Hausfrau. Drei Jahre später kommt noch eine Tochter dazu: Karin. Astrid liebt das Familienleben, geht viel mit ihren Kindern spielen und erst 1936 wieder arbeiten.
DIE FIGUR, DIE IHR LEBEN VERÄNDERT
1941 wird die kleine Karin krank und will von ihrer Mutter eine Geschichte hören – die „von Pippi Langstrumpf“. Aus dem spontanen, kindlichen Einfall soll eines Tages eine der beliebtesten Figuren der Kinderliteratur werden. Zunächst denkt sich Astrid Lindgren allein für ihre Tochter Abenteuergeschichten um das Mädchen mit dem drolligen Namen aus. Erst, als sie sich 1944 den Fuß verstaucht und eine Woche liegen muss, kommt sie dazu, die Pippi-Geschichten aufzuschreiben. Sie sollen eigentlich bloß ein Geburtstagsgeschenk für Karin sein. Lindgren überarbeitet das Manuskript und schickt es an einen Verlag. Pippi wird 1945 veröffentlicht – und Astrid von der Schreibkraft und Hausfrau zur weltberühmten Kinderbuchautorin. Doch über Lindgrens Ehe liegt ein Schatten. “Sture war sehr beliebt, denn er war so nett und fröhlich – aber auf lange Sicht war er vielleicht nicht der beste Ehemann. Hier und da hat er sich in andere Frauen verliebt. Das hat mich sehr traurig gemacht,“ erzählt Astrid in einem Interview. Sie stürzt sich ins Schreiben, das helfe immer, und liefert weiter kluge und herzenswarme Geschichten. Zum Beispiel den „Meisterdetektiv Kalle Blomquist“ und „Wir Kinder aus Bullerbü“ – Vorbild dafür ist das idyllische Zuhause ihrer Kindheit.
EIN SCHWERER VERLUST
Astrids Privatleben entwickelt sich alles andere als idyllisch weiter. Ihr Mann ist Alkoholiker. „Zum Schluss war er oft so betrunken, dass alle ihn warnten, er müsste damit aufhören. Aber er konnte es nicht“, sagt sie. Im Sommer 1952 muss Sture in die Klinik. Als er stirbt, sitzt Astrid an seiner Seite. Sie heiratet kein zweites Mal. Lasse zieht aus und bekommt selbst Kinder, auch Karin wird erwachsen. Dennoch ist die Familie für Astrid nach wie vor sehr wichtig. Besonders im Sommer verbringt sie viel Zeit mit ihren Enkeln. Morgens schreibt sie Bücher wie „Mio, mein Mio“, mittags wird gespielt. Ihr inneres Kind ist so unverwüstlich wie Pippi.
ENGAGEMENT FÜR KINDERRECHTE
Astrid engagiert sich auch gesellschaftspolitisch, besonders für Kinder. In einer Radiosendung zum Thema ledige Mütter sagt sie mal: „Wenn es ums Kind geht, gibt es kein anderes Ziel als das Kindeswohl. Wenn wir unverheirateten Müttern helfen, dann helfen wir den Kindern.“ Dass sie damit aus eigener, schmerzvoller Erfahrung spricht, behält Astrid zunächst für sich. Erst mit über 70 findet sie den Mut zu offenbaren, dass sie ihren Sohn als Baby bei einer Pflegemutter gelassen hat. Auch gegen Atomkraft und zu hohe Steuern macht sie sich stark und spricht sich gegen Massentierhaltung aus. Durch ihre Bekanntheit und Beliebtheit ist sie zu einer Person mit gesellschaftlichem und politischem Einfluss geworden. Als erste Kinderbuchautorin bekommt Astrid Lindgren 1978 den Friedenspreis des deutschen Buchhandels. In ihrer Rede sagt sie unter anderem: „Ein Kind, das von seinen Eltern liebevoll behandelt wird, und das seine Eltern liebt, gewinnt dadurch ein liebevolles Verhältnis zu seiner Umwelt und bewahrt diese Grundeinstellung ein Leben lang.“ So, wie sie es auch in ihrer eigenen Kindheit erfahren hat. Es belastet sie darum ihr Leben lang, dass sie Lasse anfangs keine so heile Kindheit bieten konnte. Und auch ihn haben die frühen Erfahrungen mitgenommen. Trotzdem standen sich die beiden unglaublich nah. Als Lasse 1986 im Alter von nur 59 Jahren an einem Hirntumor stirbt, bricht es Astrid das Herz: „Ich denke oft an ihn. Er ist vor mir gegangen. Und kein Kind sollte vor seinen Eltern sterben.“
TRAURIGKEIT SCHREIBT DIE LIEBEVOLLSTEN GESCHICHTEN
Aber es sind genau diese Wunden und Brüche, die ihren Geschichten Tiefe, Poesie und Wärme verleihen, Mitgefühl durchschimmern lassen und sie dadurch einzigartig machen. Das weiß auch Astrid Lindgren selbst. Zu ihrer Nichte sagt sie: „Ich glaube, ich wäre auch Schriftstellerin geworden, wenn das mit Lasse nicht passiert wäre. Aber ich wäre niemals eine berühmte Schriftstellerin geworden.“
Das Alter macht Astrid zu schaffen, sie kann schlecht sehen und hören. Doch sie ist unverändert unabhängig, zäh und weltberühmt, bekommt säckeweise Post und Anfragen. Viele Menschen haben durch ihre Geschichten das Gefühl, sie wie eine Freundin oder ein Familienmitglied zu kennen. „In der Linde lebe ich weiter“, heißt es in einer davon. Astrid Lindgren stirbt am 28. Januar 2002 in ihrer Stockholmer Wohnung. Alle Bäume sind der Jahreszeit entsprechend kahl, nur direkt vor ihrem Fenster steht ein einziger Baum mit grünen Blättern. Es ist eine Linde. Nach Enid Blyton, H.C. Andersen und den Gebrüdern Grimm ist sie die meistübersetzte Kinderbuchautorin der Welt. Ihre Werke wurden in 100 Sprachen übersetzt und insgesamt rund 165 Millionen Mal verkauft.
Foto:
© Verleih
Info:
Darsteller:
Alba August
Trine Dyrholm
Magnus Krepper
Maria Bonnevie
Hendrik Rafaelsen
Regie: Pernille Fischer Christensen
Drehbuch: Kim Fupz Aakeson & Pernille Fischer Christensen
Kamera: Erik Molberg Hansen
Schnitt: Åsa Mossberg & Kasper Leick
Produzenten: Maria Dahlin, Anna Anthony, Lars G. Lindström
Text dem Presseheft entnommen.