Bildschirmfoto 2019 01 02 um 00.52.54Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 25./26./27. Dezember 2018, Teil 9

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wer Hape Kerkeling kennt, den wird der Film interessieren, wer ein Fan von ihm ist, für den ist dieser Film über seine Kindheit ein Muß, aber auch für alle anderen gilt, daß man das Lebensgefühl einer ganzen Generation kennenlernt, die noch vom Krieg geprägt, den Frieden feiern will, was nicht allen gelingt, weshalb der kleine Hape der Spaßmacher für seine schwermütige Mutter wird, eine zutreffende Kindheitsmotivierung, die sein Leben als Unterhalter der Nation dann bestimmt, wobei die Kinderjahre, um die es allein geht, in Julius Weckauf einen Darsteller finden, der schon alleine lohnt, diesen Film anzuschauen. Unglaublich.

Natürlich kennen wir die Kunstfigur Hape Kerkeling, der gerade durch seine persönlichen Probleme und die Art, damit erst hilflos, dann entschlossen öffentlich umzugehen, in Deutschland auf viel Sympathie stieß, wozu die autobiographischen Schriften maßgeblich beitrugen, von denen auch sein JAKOBSWEG verfilmt wurde. Auch dieser Film von Caroline Link, die durch häufige Wiederaufführungen ihres oscarprämierten Films NIRGENDWO IN Bildschirmfoto 2019 01 01 um 20.38.54AFRIKA von 2001 gerade in der Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr besonders präsent ist, fußt auf einem Buch von Hape Kerkeling, das Ruth Thoma in Filmform brachte. Wie gut ihr das gelang, können wir nicht beurteilen, da wir das Buch nicht kennen. Aber das ist immer eine gute Voraussetzung, eine Literaturverfilmung rein als Film zu beurteilen. Das Urteil: als Geschichte der Bundesrepublik im Jahr 1972 im westlichen Teil Westdeutschlands ein Zeugnis der Zeit, als Darstellung der schwierigen Kindheit des neunjährigen Hans-Peter durch das Spiel des Julius Weckauf eine Wucht. Man sitzt buchstäblich mit offenem Mund da, wenn man die Anverwandlung der Rolle durch dieses Kind auf der Leinwand verfolgt. Dadurch erhält dieser Film eine Wahrheit und auch Tiefe, die manche Stellen, wo er seicht wird oder wie am Schluß am Kitsch vorbeischrammt, erträglich machen.

Kind will man sein in dieser Großfamilie im Ruhrgebiet, das ist schon mal klar. Denn die familiären Bande sind so eng wie in ihrer Doppelfunktion von Kontrolle und liebevoller Zuneigung allen bekannt, die mit Tanten und Onkeln und Großeltern aufgewachsen sind. Es war von heute her eine heile Welt, weil das Leben nach dem Krieg alle Kräfte bündelte in eine Zukunftserwartung, daß es an einem selber läge, aus seinem Leben jetzt etwas zu machen, denn es kann nur nach vorne gehen. Der kleine Junge lebt erst auf dem Lande bei den einen Großeltern, dann in Recklinghausen bei den anderen. Er macht ständig gute Erfahrungen, aber für sein Lebensgefühl wird das Gegenteil entscheidend, denn seine erst einmal heitere und dem Kind zugewandte Mutter (Luise Heyer ) fällt mehr und mehr in tiefe Schwermut, eine seelische Empfindung, die sie nicht mehr kontrollieren kann.

Es ist anrührend, wie man die diesen kleinen Jungen in seinem Bestreben sieht, seine Mutter aus dem Loch herauszuholen, sie durch Faxen und Verkleidungen zum Lachen zu bringen. Und auch, wenn es psychologische Flickschusterei ist, aus dieser Situation das Leben und die Lebensbeschäftigung des Hape Kerkeling abzuleiten, liegt es einfach verdammt nahe. Denn er sieht eine Ursächlichkeit in seinen Anstrengungen, die Mutter zum Lachen zu bringen, und ihrem Selbstmord. Wäre er besser gewesen, hätte er Jürgen von Manger noch besser parodiert, besser gezaubert, hätte sie noch mehr gelacht über ihn, wäre sie am Leben geblieben. Welchen Zwang nach Selbstoptimierung das später für einen Erwachsenen bedeutet, das kann man sich gut vorstellen und eben auch, wie selbstrettend es ist, aus dieser Rolle auszubrechen, was Kerkeling ja gemacht hat.

Bildschirmfoto 2019 01 01 um 20.38.45Herrlich auch Oma Änne (Hedi Kriegeskotte) mit ihrem Krämerladen, eine Diva im Ruhrpott, wie eine Diseuse der Ruhrfestspiele von Recklinghausen, wenn sie macht, was sie will und für Hans Peter mit dem Geschenk eines Pferdes , für das er sorgen muß und ausreiten darf, genau das Richtige tut. Die Herzlichkeit und Unbedingtheit, mit einem Kind auf der gleichen Ebene zu kommunizieren, eine auch körperliche Nähe, die Oma Änne aufbringt, konnte man auch in der Rolle der Schwiegermutter/Großmutter von Margarita Broich in QUELLEN DES LEBENS von Roehler erleben, übrigens ein Film, der in den Sinn kommt, spielt er doch auch in der Nachkriegszeit und hauptsächlich in Nordrhein-Westfalen. DER JUNGE MUSS AN DIE FRISCHE LUFT, das sagt Opa Willi (Joachim Król), der immer weiß, was für den Jungen gut ist. Es sind lauter positive Figuren, die dem Jungen das Leben retten, aber und das zeigt der Film eindrücklich, es gibt Erfahrungen wie der Selbstmord der Mutter, die ein ganzes Leben bestimmen, weil die Erinnerung nicht auszulöschen ist und so empfindet man als Zuschauer den Film wie ein Musikstück, wo erst einmal alles auf einen entscheidenden Punkt zuläuft, der Selbstmord der Mutter durch Tabletten, die unverantwortlich den Jungen neben sich schlafen läßt, der beim Aufwachsen sie schlafend wähnt und abwartet, bis sie wach wird, was nie wieder sein wird. Und dann gibt es das Leben danach und den Film danach.

Und daß vom Vater Heinz (Sönke Möhring) nicht weiter gesprochen wird, heißt das nur, daß er viel unterwegs ist, unter den Verhältnissen seiner Ehe leidet, aber sich hilflos fühlt und nichts machen kann.

Doch, er hat was dieser Film, der einen anrührt und auch lange nachwirkt, denn wie abhängig sind wir Erwachsenen von unserem eigenen Großwerden. Und heute, wenn man sieht, wie kleine Kinder schon auf ein Erwachsenenleben und soziale Positionen konditioniert werden, kommt einem eine Kindheit wie die von Hans Peter – außerhalb des Selbstmords – wie ein Lebensgeschenk vor. Das alles ist eingebunden in die Wärme einer Gesellschaft, die sich lang verbot, zurückzublicken, aber noch geprägt war vom Überleben und einer Hoffnung auf gute, auf bessere Zukunft. Insofern ist dieser Film ein klassischer Heimatfilm. Das auch noch.

Die Idee, den echten erwachsenen Hape Kerkeling in der letzten Einstellung auf den kleinen Hans Peter zurückblicken zu lassen, ist in der Einschätzung sicher Geschmackssache. Ich mochte dies nicht. 

Fotos:
© Verleih

Info:
Julius Weckauf      Hans-Peter
Luise Meyer           Margret
Sönke Möhring      Vater Heinz
Hedi Kriegeskotte  Oma Änne
Joachim Król         Opa Willi
Ursula Werner       Oma Bertha
Rudolf Kowalski    Opa Hermann.