f capernaum nadine labaki movieSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 17. Januar 2019, Teil 9

N.N.

Beirut (Weltexpresso) – Dies war Ihre erste gemeinsame Filmproduktion mit Nadine?

Als ich gesehen habe, welchen Weg Nadine mit CAPERNAUM – STADT DER HOFFNUNG einschlagen will, ihre Suche nach der Wahrheit und ihr Wunsch, so realistisch wie möglich zu sein, während sie einem sozialen und menschlichen Problem auf den Grund geht, wurde mir klar, dass eine klassische Produktion nicht angemes-sen wäre. So kam ich dazu, den Film zu produzieren, mit der Aussicht auf totale Freiheit. Die Idee war, einen rein libanesischen Film zu produzieren, möglichst frei von allen kreativen und zeitlichen Zwängen, durch den Nadine sich frei ausdrücken konnte, wie sie es wollte. Ein Film an der Grenze zwischen Dokumentation und Fiktion. CAPERNAUM – STADT DER HOFFNUNG zeigt auch, dass wir als Team zusammenarbeiten können.
 


Sie haben die Entstehung des Films als eine Art „Hausgeburt“ bezeichnet. Können Sie das erläutern?

Unser professionelles und privates Leben überschnitt sich total zu dieser Zeit. CAPERNAUM – STADT DER HOFFNUNG wurde zum Familienstück, umso mehr, als sein Thema sich in der Geburt unserer Tochter kurz vor Beginn der Dreharbeiten widerspiegelte. Wir beide haben diesen Film zusammen gelebt, so wie man eine Geburt zusammen erlebt, mit allen Schritten, die das erfordert: Vom embryonalen Stadium der Idee zur Ma-terialisierung der Bilder auf der Leinwand und später eine Art Baby Blues! Wir sind physisch an CAPERNAUM – STADT DER HOFFNUNG gebunden, wir haben es „empfangen“ und haben es in absoluter Freiheit umge-setzt. Alles passierte zwischen unserem Wohnzimmer und meinem Studio, ehe wir ein Büro unten in unserem Haus eingerichtet haben. Selbst die Schauspieler, deren Leben jenseits der Kamera dem ihrer Figuren im Film ähnelt, wurden Teil unseres Alltags. Es ist ein kaum gezähmter Film, einer, der aus unserem Inneren kam und in den unsere DNA eingebettet ist.
 


Die Produktion selbst war auch ungewöhnlich.

Wegen der totalen Freiheit, die wir uns gaben, war CAPERNAUM – STADT DER HOFFNUNG ein organisatori-scher Alptraum in jeder Hinsicht. Die Produktion brach mit allen gängigen Regeln. Vom Lesen des Drehbuchs angefangen bis zu Postproduktion, Musik und Mischung wurde alles von uns selbst, bei uns Zuhause, durch-geführt. Auch die Finanzierung wurde nicht auf herkömmliche Art gestemmt. Anfangs habe ich mich in das Abenteuer gestürzt mit geringer finanzieller Abdeckung, und außer mir hat fast niemand an das Projekt ge-glaubt. Man sagte mir, es sei ein waghalsiges Pokerspiel. Die Risiken waren immens, aber ich glaubte von ganzem Herzen an das Projekt. Ich kam an finanzielle Grenzen, die ich vor Nadine geheim hielt, um sie nicht zu beunruhigen, als wir mit dem Dreh begannen. Dann erhielten wir Gelder, ein außergewöhnliches finanzi-elles Set-up dank privater Investoren und der Central Bank of Lebanon.
 


Wie hat Nadines eher dokumentarischer Ansatz die Musik beeinflusst, die Sie komponiert haben?

Ich habe mich ständig gefragt, welche Art von Musik mit dem Leben all dieser Figuren und dem, was sie zu sagen haben, korrespondieren könnte. Welcher Sound könnte zum Geruch von Abflussleitungen passen, der Armut, der Rauheit des Themas? Ich wollte einen weniger melodischen Score als üblich. Die Idee war, die „Mad-Max“-Seite der Dinge hervorzuheben – fast mythologisch, trotz all der Realität – die die Landschaft des Films charakterisiert und die ich als Allegorie auf die Zukunft großer Städte sehe. Dazu dienten dissonante chorale Melodien, die sich aufzulösen scheinen, ehe man sie greifen kann. Ebenso synthetische, elektroni-sche Klangfüllen. Einer dieser Tracks mit dem Titel „The Eye of God“ begleitet eine Aufnahme dieser mehr oder weniger verfluchten Stadt, die zu dieser Bestrafung verdammt scheint: Armut mit Hoffnung.
Was ich überhaupt nicht wollte, war, Emotionen, die schon intensiv genug sind, zu untermalen oder hervorzuheben. Im Gegenteil, die Szenen zurücknehmen und eine verstörende Atmosphäre fürs Publikum auf-bauen, das in gewisser Weise mit seiner Schuld konfrontiert wird, dabei gewesen zu sein und nichts unter-nommen zu haben. Das Ziel des Films ist es, das Publikum aufzurütteln und zu bewegen.
 


Könnten Sie uns etwas über dieses Abenteuer erzählen, das Sie sowohl allein als auch als Hälfte eines Duos erlebt haben?

Das Abenteuer CAPERNAUM – STADT DER HOFFNUNG wurde in zwei Teilen gelebt. Zuerst allein in meiner Rolle als Komponist und vor allem als Produzent, konfrontiert mit einer Schwierigkeit nach der anderen, vor allem finanzieller Natur. Dann, als Teil eines Duos, war da der Traum, diesen Film zu machen, gefolgt von dem Kampf, ihn zur realisieren, mit seinem Realitätsanspruch, was uns gezwungen hat, digital zu drehen.
Dadurch hatten wir am Ende 520 Stunden Material mit vielen Momenten von purem Realismus, was CAPERN-AUM – STADT DER HOFFNUNG näher an die Geschichte brachte, die der Film erzählen will. Selbst die Figuren wurden Teil unseres Alltags und brachten Probleme mit, die es zu lösen galt, als würden sie uns betreffen: Zain und Rahil helfen, ihre Papiere zu bekommen, zum Beispiel. In menschlicher Hinsicht, zusätzlich zu der wunderbaren Gemeinschaft, die sich aus dem Film ergab, war es ein Abenteuer, von dem wir uns erst einmal erholen müssen.
 
Foto:
© Verleih

Info:
BESETZUNG

Zain                           ZAIN AL RAFEEA
Rahil (Yonas’ Mutter)  YORDANOS SHIFERAW
Yonas                       BOLUWATIFE TREASURE BANKOLE
Souad (Zains Mutter)  KAWTHAR AL HADDAD
Selim (Zains Vater)     FADI KAMEL YOUSSEF
Sahar (Zains Schwester) CEDRA IZAM
Aspro                            ALAA CHOUCHNIEH
Nadine                           NADINE LABAKI