Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 24. Januar 2019, Teil 7
N.N.
London (Weltexpresso) - Unter der Regentschaft von Königin Anne kam es nicht nur zum ersten modernen weltweiten Krieg und dem Zusammenschluss Großbritanniens, sie markiert auch die Geburtsstunde einer Art Partisanenpolitik, damals als das „Wüten der Parteien“ bekannt. Sprich: die Abgeordneten beschimpften sich heftig, ideologische Standpunkte wurden vehement und lautstark vertreten. Die Königin stand an der Spitze einer konstitutionellen Monarchie, sie teilte die Macht mit einem gewählten Parlament, in dem als Vertreter ihrer jeweiligen Wählerschaft Whigs und Tories saßen. Die Whigs, primär alteingesessene Adelige, unterstützten den Krieg und wussten zunächst die Monarchie hinter sich. Die Tories – die Opposition – trachteten danach, den Krieg wegen des hohen Blutzolls und der enormen Kosten zu beenden.
Obwohl beide Parteien sich ausschließlich aus Männern zusammensetzten, plante Lanthimos zu zeigen, dass eigentlich die Frauen das Heft in der Hand hielten – mit geckenhaft gekleideten, gepuderten Männern mit Rouge-geröteten Gesichtern als Gegenspieler. „Ich wollte Frauen inmitten von Männern zeigen, die kein Ziel und keinen Plan haben, die nicht wissen, wie sie in schwierigen Situationen vorgehen sollen. Die Herren mögen zwar in der Überzahl sein, auf geistiger Ebene hinken sie jedoch erheblich hinterher”, erklärt Lanthimos.
Der Anführer der oppositionellen Tories war Robert Harley, der Erste Earl of Oxford, und Earl Mortimer, der heute gerne als erster moderner „Spin-Doktor” angesehen wird. Obwohl er im Lauf der Historie zu Annes wichtigstem Minister aufstieg, wird im Film sein Zugang zu Königin Anne von Sarah konsequent blockiert. Erst mit der Ankunft Abigails am Hof wendet sich für ihn das Blatt. Endlich kann er klarstellen, dass der Krieg das Land in ein finanzielles Desaster führen wird.
In THE FAVOURITE wird Harley von Nicholas Hoult gespielt, den man aus seinen Parts in MAD MAX: FURY ROAD („Mad Max: Fury Road”, 2015) und X-MEN: APOCALYPSE („X-Men: Apocalypse”, 2016) kennt. Hoult gefiel die Idee, dass er in seiner Rolle – die in einem Historienfilm üblicherweise im Vordergrund stehen würde – eher in die zweite Reihe rückt. Will er zur Königin vordringen und auf sie Einfluss nehmen, ist er zunächst von der Gunst Sarahs, später dann von der Abigails abhängig.
„Mir gefällt, dass es im Film um Macht und Liebe geht – in diesem Fall der von drei Frauen, die von Rachel, Emma und Olivia gespielt werden. Ihre Figuren sind viel stärker als die der Männer – sicherlich auch in Sachen Erscheinung obwohl die Herren der Schöpfung hier auf acht Zentimeter hohen Absätzen herumlaufen, Leggings und voluminöse Perücken tragen“, räsoniert Hoult.
Hoult erklärt, dass Lanthimos keinen Wert auf eine tiefgründige Recherche der historischen Charaktere legte. „Wir alle verstanden, dass er unsere Figuren aus dem bekannten geschichtlichen Kontext herauslösen wollte”, erläutert er. So musste er sich nicht sklavisch an die Vorgaben des Drehbuchs halten. Hoult beschreibt Harley als „ziemlich manipulativ, denn er geht mit Abigail eine Allianz ein, um sich bei der Königin Gehör zu verschaffen.”
Eine historische Tatsache, wenn auch extrem stilisiert, kommt bei der Person Harleys dennoch zum Tragen, nämlich dessen Vorliebe für extravagante Kleidung. Die Üppigkeit des Looks überraschte Hoult. Er erinnert sich: „Eines Tages trat unser Make-up-Designer am mich heran und fragte: ‚Hat eigentlich schon jemand mit dir über deinen Look in unserem Film gesprochen?’ Dann zeigte er mir Fotos. Ich war begeistert, fand die Aufmachung, die man sich für meine Figur ausgedacht hatte, einfach brillant.”
Seine üppigen Kostüme sorgten bei seinen Mitspielern ein ums andere Mal für Aufregung. Rachel Weisz dazu: „Wenn Nick Hoult sein volles Make-up trug, seine Perücke und die hochhackigen Schuhe, sah er aus wie ein Supermodel. In meiner Rolle mag ich Harley überhaupt nicht, ich bin ihm gegenüber extrem abweisend. Aber wenn ich Nick jenseits der Rolle betrachtete, bin ich förmlich dahingeschmolzen. Er sieht als Harley unglaublich lustig und wunderschön aus.”
Harleys Rivale ist der mächtigste Politiker jener Zeit, Sidney Godolphin, der Erste Earl of Godolphin, oberster Schatzmeister von Königin Anne. Obwohl er nominell eigentlich ein Tory war, schloss sich Godolphin dem Anführer der Whigs, John Churchill, an. Mit diesem, dem Duke of Marlborough, suchte er mach Möglichkeiten, Englands Krieg mit Frankreich zu finanzieren. In THE FAVOURITE übernahm den Part der englische Schauspieler James Smith, den man wohl am ehesten aus der zeitgenössischen Politsatire IN THE LOOP („Kabinett außer Kontrolle“, 2009) kennt.
Zunächst stürzte sich Smith für die Rolle kopfüber in eine minutiöse Recherche, er besuchte sogar das Haus in Cornwall, in dem Godolphin seine Kindheit verbrachte. Aber bald stellte er fest, dass diese Art Vorbereitung nicht im Sinne von Lanthimos war. „Das wurde mir eines Tages auf einer der Proben klar. Ich vergaß alles, was ich recherchiert hatte. Denn das ist nicht die Vorgehensweise von Yorgos“, erklärt er.
Stattdessen konzentrierte sich Smith auf die im Skript angesprochenen Themen. „Ich habe die Story als sehr menschliche Reise gesehen, bei der eine Freundschaft auf schlimmste Art zerbricht. Samuel Johnson hat einst gesagt: ‚Ein Mann tut gut daran, seine Freundschaften sorgfältig zu pflegen’. Das ist nicht einfach, wie man bei Anne und Sarah sieht. Man erkennt hier den Sinn der Aussage bestens”, sagt er.
So ungewöhnlich Lanthimos’ Arbeitsweise für Smith war, so traumhaft war für ihn die Zusammenarbeit. „Eine der Qualitäten, die ich bei Yorgos besonders schätze, ist seine Güte”, erklärt er. „Schon vom ersten Tag an, hatte man das Gefühl, dass alle Beteiligten ihr Ego in der Garderobe gelassen hatten. Yorgos ist ruhig und geduldig, er schafft es, dass die eigenen Unsicherheiten erst gar nicht hochkommen. Jeder sitzt im selben Boot, nicht nur die Schauspieler, sondern auch die ganze technische Crew – ob nun die Zuständigen für die Perücken, den Ton oder die Kameraabteilung. Jeder wurde als absoluter Profi behandelt – und dabei versuchte Yorgos, mehr als das Beste aus einem herauszuholen. Das ist faszinierend.”
Godolphins politischer Verbündeter und Sarahs Ehemann ist John Churchill, der Duke of Marlborough. Er war Soldat und Staatsmann, hat unter fünf Monarchen gedient und englische, niederländische sowie deutsche Truppen beim Kampf gegen Frankreich befehligt. In diesen Part ist Mark Gatiss geschlüpft, ein britischer Schauspieler, Komiker, Drehbuch- und Romanautor, den man aus seinen TV-Rollen in „Doctor Who,” „Sherlock” and als Tycho Nestoris in der HBO-Serie „Game of Thrones” kennt.
Wie Smith gefiel auch Gatiss die unorthodoxe Art von Lanthimos. „In gewisser Weise musste man sich Dinge, die man sich über die Jahre angeeignet hat, abgewöhnen”, beschreibt er die Arbeit am Set. „Yorgos wollte tiefer als andere Regisseure in die Rollen eindringen, ungewöhnliche, zeitgenössische Wesenszüge der Figuren zu Tage fördern.”
Der historische Churchill heiratete Sarah, als diese noch ein Teenager war, die enge Verbindung seiner Frau zur Königin kam ihm später sehr zugute. Unter ihrer Regentschaft gewann Churchill nicht nur an Macht, Anne machte ihn zudem zum Herzog und stattete ihn mit einem beträchtlichen Vermögen aus. Diese Heirat faszinierte Gatiss: „Im Film sind die beiden ein wirklich mächtiges Paar“, weiß er. „Sarah lenkt mit viel Geschick die schwierigen Staatsgeschäfte, während John taktisch klug und erfolgreich Krieg führt. Er erkennt ganz klar, dass seine Frau sich auf dem politischen Parkett wesentlich gewandter zu bewegen versteht als er und sie auch in ihrer Beziehung die wichtigere Rolle spielt.”
Gatiss, der schon früher mit Weisz kooperiert hatte, wusste bereits im Vorfeld, dass sie „bei dieser Rolle mit beiden Händen zupacken würde“. Er fährt fort: „Sie bewegt sich hier aus ihrem ureigenen Gebiet. Sie ist im Part sehr witzig, sehr klug und absolut rücksichtslos. Sie hat genau verstanden, wie schwierig es für Sarah gewesen sein muss, ihre Position zu behaupten. Perfekt erkennt man bei ihr Sarahs eisernen Willen, der notwendig war, um Intrigen früh zu erkennen und Fallen, die man ihr stellte, geschickt zu vermeiden”.
Zu den männlichen Nebendarstellern gehört schließlich noch der aufstrebende Newcomer Joe Alwyn, der als Samuel Masham mit von der Partie ist. Mit Freude gestattet er Harley, seine Hochzeit mit Abigail einzufädeln, die diesem dann endlich den Zugang zur Königin ermöglicht. Und auch für Abigail ist diese Verbindung von großem Nutzen, steigt sie so doch schnell in der Palasthierarchie auf, um letztendlich Lady Sarah als Favoritin der Königin zu entthronen.
Masham wird von unverfrorenem Verlangen geleitet. „Neben der physischen Lust ist da noch sein Wunsch nach Macht. Masham will unbedingt aufsteigen, im Palast das Sagen haben, mächtiger sein als seine Gattin. Abigail durchkreuzt jedoch seine Pläne”, sagt Alwyn. „Sie ist schlauer und kühner als er. Man sieht ihn mit seiner Frau um die Oberhand ringen. Jeder benützt im Film jeden – ob es nun um Macht, Stellung, Einfluss oder Sex geht.”
Und obwohl Alwyn im Filmgeschäft ein relativer Neuling ist, erkannte er Lanthimos’ ungewöhnlichen Ansatz sofort. „Wenn man bei ihm offenbleibt, ihm vertraut und bereit ist mitzuspielen, hat man überhaupt keine Probleme”, fasst er zusammen.
Foto:
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Info:
Darsteller:
OLIVIA COLMAN
EMMA STONE
RACHEL WEISZ
NICHOLAS HOULT
JOE ALWYN
Abdruck aus dem Presseheft