‚Schindlers Liste‘ hat seine aufklärerische wie emotionale Wirkung nicht eingebüßt und der Widerstand gegen Hitler in Wiesbaden gibt Hoffnung
Heinz Markert
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Zur Erinnerung an die Befreiung von Auschwitz und das Gedenken an die Opfer des Holocaust hoben sich zwei Termine ab: der Vortrag von Dr. Axel Ulrich in Wiesbaden im Stadtverordnetensaal zum politischen Widerstand gegen das NS-Regime und die Aufführung von ‚Schindlers Liste‘ in einem E-Kino Frankfurts.
Zu dieser Aufführung waren viele, ganz überwiegend junge Leute gekommen, so dass die Plätze im Kino Elysee1 restlos ausverkauft waren. Nach der Aufführung konnte Ursula Trautwein, die hochbetagte Zeitzeugin, noch so mancherlei interessante Kenntnisse und Eindrücke zur schillernden Persönlichkeit des genial handelnden ‚Gerechten unter den Völkern‘, Oskar Schindler, beisteuern.
Axel Ulrich ist ein über den Widerstand in Wiesbaden außerordentlich informierter, weil auch in der professionellen Archivkunde zutiefst verwurzelter Wissenschaftler, der den Widerstand gegen Hitler in bedeutendem Maße aufgearbeitet und über Jahrzehnte hierzu publiziert hat. Das Publikum hörte gebannt den klar und lebendig vorgetragenen Ausführungen in wissenschaftlicher Sprache über eine Strecke von mehr als einer Stunde zu, während der die Zeit zeitweise stehengeblieben zu sein schien.
Der Faschismus ist der schlimmste Feind der Menschheit
Axel Ulrich, der weitverzweigte Kenntnisse zum komplexen politischen Widerstand in Wiesbaden aufzuweisen hat, machte keinen Unterschied zwischen jenen mutigen, nicht so bekannten Menschen des Widerstands in Wiesbaden (insgesamt sind es in Wiesbaden 644 anerkannte, davon 396 Kommunisten, 170 Sozialdemokraten und 80 anderer Parteien), zu denen auch eine Elisabeth Ritter gehörte, die mit ihrem ‚Cafè Ritter‘ Menschen in Not geholfen hat oder Martha Harpf, die von der Gestapo – nach einer Denunziation - einbestellt und nach Auschwitz deportiert und dort ermordet wurde (sie hatte in einer privilegierten Mischehe gelebt) -: und andererseits denjenigen offiziell mehr bekannt gewordenen Köpfen des Widerstands, die wie ein Ludwig Beck und Hermann Kaiser (die in Berlin hervortraten) oder anderen bekannteren wie Wilhelm Leuschner und Georg Buch - deren Namen mit späteren politischen Ämtern verbunden sind. Auch an Carlo Mierendorff ist zu erinnern, der neben Leuschner auch zum als bedeutend einzuschätzenden Netzwerk des ‚reichsweiten‘ Widerstands gehörte, das mit dem 20. Juli 1944 verbunden ist.
Nur eine verschwindende Minderheit der Bevölkerung leistete deutsch-jüdischen Mitbürgern und Mitbürgerinnen Hilfe und Rettungsdienste. Bis in die 70er Jahre gab es kaum Auskünfte über den Widerstand in Wiesbaden. Die lange noch überwinternden Nazis hatten ihre Verbindungen, schwiegen eisern und hüllten sich in Schweigen.
Ulrich erinnerte auch an die Weiße Rose, sie war ein faszinierendes Netzwerk von etwa 100 Personen, und an die Geschichte um den ‚sonst so‘ stillen Georg Elser, jenen ausgefuchst zu Werk gegangenen Hitler-Attentäter.
Warum sich mit alldem befassen? Eine durch und durch erarbeitete Darstellung kann einen Hoffnungsschimmer vermitteln, denn – das gilt für alle Zeit –: es wäre auch anders möglich gewesen; wenn die Einsicht klarer und die Hellsicht bei mehr Menschen ausgeprägter gewesen wäre. Dazu liefert der Spielfilm ‚Schindlers Liste‘ einen Erweis, der von einer außerordentlich gelungenen Widerstandshandlung ein Beispiel gibt. Axel Ulrich führte auch aus: wichtig für den Widerstand sei heute das Neinsagen, nicht nur wenn Hardcore-Nazis ein Unwort aus dem Wörterbuch des Unmenschen in die Welt setzen (wie z.B. Gutmensch); es gelte, dies dann nicht gedankenlos nachzuplappern, nicht zu teilen und nicht damit zu scherzen. Auch damals haben welche Nein! gesagt.
Der eine ein Mensch, der andere in der Praxis eine Bestie
Was fiel auf, beim neuerlichen Sehen von Schindlers Liste? Das bestialische Wüten des „autoritären Charakters“ in einer Figur wie des Leiters des Zwangsarbeiterlagers Plaszow, Amon Göth. Diese Art von Charakter ist gegenwärtig wieder populär.
Der autoritäre Charakter ist mit sich selbst uneins. Er ist tief gespalten. Er bebt zwischen der Unterwerfung unter die Autorität (des innerlich imaginierten) Führers und dem Hass auf die Schwachen und Machtlosen. Auf diese Weise ist er bipolar: sadistisch wie masochistisch zugleich. Er ist selbst völlig unfrei, unterworfen, wie die ihm Ausgelieferten, kann sich aus dieser fatalen Doppel-Bindung aber nicht befreien. Der autoritäre Charakter ist des gespaltenen Daseins wegen so völlig außer sich, dass er todbringend ums sich rast, sich selbst und das Nicht-Ich in einer Spirale der Verachtung und Todessehnsucht zu verschlingen sehnt. Seinen Tod schiebt er auf, will aber für den Führer sterben und bereitet zuvor in Tobsucht erst anderen den Tod. Wenn er in totaler Willkür wie eine Bestie mordet, gibt es keine Regeln mehr, mit denen irgendjemand rechnen kann, so stellt es der Film in vielen Szenen dar.
Einen Beleg für die maßlose Wut des letzten Aufgebots des autoritären Charakters (gegen die Alliierten) zeigt der Film ‚Eine Blutsspur durch Frankreich – Die SS-Panzerdivision das Reich‘, inklusive der Massaker von Tulle und Oradur sur Glane (arte 21.04.2015).
Als Göth - einfach mal so - durch Zwangsarbeit Geschwächte von einem erhöhten Standort im Lager oder durch die Reihe Angetretener eilend jeden zweiten abwechselnd links und rechts abknallt, war im Publikum das Zusammenzucken unvermeidlich. Dieser Bruch aller Hemmungen vermittelt etwas von dem unheimlichen Abgrund, der in der modernen Zivilisation und in ihrem technokratischen Unmenschen - und Unwesen - lagert. Er übertrifft noch das Inferno des Dante, da er so grabeskalt ist. In der bürgerlichen Kälte schwingt davon immer etwas mit.
Göth war ein Produkt des Kadavergehorsams und des von Staats wegen betriebenen Hasses, der sich gegen die ganze Welt richtete
Immer wieder fällt die verwaltungsbürokratisch pervertierte Art des überkorrekten Amtsmanns beim Organisieren und letztendlich Ausführen des Mordens auf. Sie wird aus einer fehlgeleiteten Libido gespeist. Göths Libido ist verkorkst, nimmt ihr Gegenüber nicht bei allen Rechten eines Individuums für voll. Treibjagden von Menschen werden mit Lust durchgezogen, beim Durchkämmen Krakaus für das Ghetto reagiert sich die S&M-Mordlust ab, konterkariert und unterstrichen durch den Rekruten, der sich sensibel in ein Menuett am Klavier versenkt. Die Verbrennungsaktion der Leichen von nicht Transportierfähigen ist die wahre Hölle. Sie wurden auf Rutschen in Abgründe entsorgt. Ab diesem Zeitpunkt wurde Oskar Schindler zu dem, der er eigentlich war.
Oskar Schindler entwickelte sich aus Konsequenz zum ‚Retter der Menschheit‘
Ursula Trautwein hat Schindler gekannt. Besonders ihr Mann hat ihn Am Bahnhofsplatz 4 in Frankfurt besucht, wo er lebte. Leopold Pfefferberg, der später in Beverly Hills ein Lederwarengeschäft betrieb, sagte nachher zu ihm: „Du bist der, der Leben gerettet hat“. Schindler hing an seinen Leuten. Es war nicht einfach, dass der Spielfilm zu der unglaublichen Geschichte um Schindler ‚und seine Familie‘, wie Schindler später zugab, zustande kam. Itzhak Stern hatte den Autor des Romans ‚Schindlers Arche‘,Thomas Keneally, der die Grundlage für die Verfilmung abgab, ermutigt. Leopold Page (alias-Name von Pfefferberg) konnte viele Geschichten erzählen. Zu Spielbergs Person - er hat auch Jurassic Park gemacht - stellten sich manche besorgt die Frage, „Was macht Spielberg mit diesem Thema?“. Vorherige Versuche einer Verfilmung waren gescheitert, selbst Fritz Lang bekam nicht die Möglichkeit, d.h. nicht das nötige Geld. Das Thema schien zu heiß oder zu heikel zu sein.
Der Film handelt auch von der so nötigen Zivilcourage. Das bewegt junge Menschen heute, die Freitags für das Klima auf die Straße gehen. In Auschwitz und an der ehemaligen Emaille-Fabrik in Krakau, wo sich die Geschichte begab, kommen viele Busse an, wie Frau Trautwein im vorigen Oktober beobachten konnte.
Oskar Schindler war später ausgebrannt, hatte Depressionen. Er wurde nach Israel eingeladen. Dort ist er in der Allee der Gerechten verewigt. Definitiv liebte er die Kinder sehr. Man sagt, er sei während ‚seiner bewegten Zeit‘ ein Schlitzohr gewesen. Er wusste genau, wen er rumkriegen kann, damals im kriegswichtigen Betrieb in Mähren, „wo keine einsatztüchtige Patrone meine Produktion verlassen konnte“. Er war auch ein wenig wie Schwejk. Die Verbindung „zu seiner Familie“ hat ihm Halt gegeben, ihm, der auch ein Lebemann war, der das, was er verdient hatte, in vollen Zügen ausgab. Am Tag des Auszugs aus der Fabrik in die Freiheit, als er eine Ansprache hielt, machte er sich große Vorwürfe, dass er nicht viel mehr noch aufbrachte, um noch mehr Menschen zu retten und bricht das herab bis auf eine seiner teuren Anstecknadeln.
Nach der entsetzlichen Zeit kam er nicht mehr richtig auf die Beine, keines seiner Geschäfte, etwa mit Kunststoff, Schuhen oder einer Betonfabrik in der Nähe von Frankfurt, gelang ihm noch mal, auch nicht eins in Argentinien, wohin er mit einer Beziehung ausgewandert war. Ein Antisemit hat ihn mal in seiner Betonfabrik geschlagen. Die Nazis hatten so ihre Verbindungen. Wurde er kollektiv ausgebremst, gesellschaftlich geschnitten? Ein Nazianhänger fragte ihn: „Warum hast Du Juden gerettet?“
Er war geschichtlich gesehen der Mann zur richtigen Zeit. Auch Krakau hat einen Hinweis auf ihn angebracht. Er war ein Lebemann gewesen, ein Frauenheld, hatte immer eine Geliebte, so war er ein lausiger Ehemann, was ihm bewusst war. Auch seine Geliebte wurde in Argentinien über ihn verbittert. Er hat auch dort erfolglos noch etwas in Hühnern gemacht.
1974 ist er gestorben. Ein Gässchen ist nach ihm benannt. Ursula Trautwein fasste einen außerordentlichen Menschen, der auch fehlbar war, in dem Ausdruck zusammen: „Er war ein Mensch“. Die Liste der vom SS-Staat Angeforderten, die Itzhak Stern auf seine Anweisung hin niederschrieb: sie war das Leben.
Fotos: Heinz Markert