fm Kolybelnaja 1Filmreihe im Februar im DFF - Deutsches Filminstitut & Filmmuseum Frankfurt

Jacqueline Schwarz

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Der sowjetisch-jüdische Filmemacher Michail Kalik schuf zwischen 1961 und 1968 drei Filme, die zu den künstlerischen Höhepunkten des Tauwetterkinos und der sowjetischen Filmgeschichte überhaupt gehören. Seine Generation brachte auch Regiegrößen wie Andrej Tarkovskij, Sergej Paradžanow oder Marlen Chuciev hervor, Kaliks Name geriet nach Ende der Tauwetterperiode jedoch in Vergessenheit.

Michail Kalik kam 1927 als Sohn eines bekannten Theaterkünstlers in Moskau zur Welt. Als einer der ersten Juden überhaupt konnte er Ende der 1940er Jahre ein Studium an der staatlichen Filmhochschule VGIK aufnehmen. Kurz nach Beginn des Studiums, auf dem Höhepunkt der antijüdischen Politik Stalins, wurde er festgenommen und für mehrere Jahre im Gulag inhaftiert.

Nach Stalins Tod kam er frei, schaffte die Rückkehr an die VGIK und galt international bald als eines der großen Talente des sowjetischen Kinos. Nach Zensurproblemen und infolge der zunehmend antijüdischen Stimmung in Sowjetrussland emigrierte Kalik mit seiner Familie 1971 nach Israel. In der UdSSR war es fortan verboten, über ihn zu schreiben, sein Name wurde sogar aus der Absolventenliste der VGIK gestrichen. Von 1971 bis zu seinem Tod 2017 drehte er nur drei weitere Filme. Die Retrospektive führt sämtliche Kinoarbeiten Kaliks in Filmkopien aus dem Gosfilmofond und der Jerusalem Cinematheque zusammen und lädt mit ihnen zur Wiederentdeckung des Werks eines großen Filmkünstlers ein.


Sonntag, 10. Februar, 18:00 Uhr und Mittwoch, 27. Februar, 20:30 Uhr
ČELOVEK IDET ZA SOLNCEM  Der Sonne nach
UdSSR/Moldawische SSR 1961. R: Michail Kalik
D: Nika Krimnus, Nikolaj Volkov. 71 Min. 35mm. OmU
Der sechsjährige Sandu beschließt zu erkunden, wohin die Sonne am Abend verschwindet. Er läuft diesem Geheimnis einen ganzen Tag nach und entdeckt auf. einer visuell verspielten, musikalisch berauschenden Odyssee seine Heimatstadt. Laut Kalik selbst fand er in diesem Film erstmals zu seiner persönlichen künstlerischen Sprache. International wurde der Film als Zentralwerk der Erneuerung des Sowjet-Kinos gefeiert.


Dienstag, 12. Februar, 20:30 Uhr
ATAMAN KODR
UdSSR/Moldawische SSR 1958. R: Michail Kalik, Boris Ryzarev, Olga Ulickaja
D: Lev Poljakov, Inna Kmit, Aleksandr, Širvindt. 76 Min. 35mm. OmU
ATAMAN KODR ist im Moldau der 1840er Jahre angesiedelt und erzählt die Geschichte eines Knechts, der sich gegen seinen Herrn auflehnt. Er initiiert einen Gaiduken-Aufstand, der zu einer Befreiungsbewegung wird. Kalik und sein Kommilitone Boris Ryzarev übernahmen das von Olga Ulickaja begonnene und von der Moldova-Film produzierte Werk. Sie formten Elemente der moldawischen Folklore, malerische Landschaften und bisweilen auch Anleihen beim gothic horror zu einem rasanten Historienfilm.


Mittwoch, 13. Februar, 20:30 Uhr
JUNOST NAŠIH OTCOV  Die Jugend unserer Väter
UdSSR 1958. R: Michail Kalik, Boris Ryzarev
D: Aleksandr Kutepov, Georgij Jumatov. 82 Min. 35mm. OmU
Der VGIK-Diplomfilm von Kalik und Ryzarev (deren Lehrer Sergej Jutkevič war) adaptiert einen Roman des sowjetischen Schriftstellers Aleksandr Fadeev. Das biografische Buch wie auch der Film beschreiben den Kampf von Partisan/innen und Rotarmisten gegen japanische Truppen im fernen Osten Russlands während des Russischen Bürgerkriegs im Jahr 1919. Einerseits ein klassischer Partisanenfilm, zeichnet er sich zugleich durch seinen nüchternen Fokus auf den unheroischen Alltag der Protagonist/innen aus.


Donnerstag, 14. Februar, 18:00 Uhr
KOLIBELNAJA  Wiegenlied
UdSSR/Moldawische SSR 1960. R: Michail Kalik
D: Nikolaj Timofeev, Viktoria Lepko. 95 Min. 35mm. OmU
Kaliks erste alleinige Regiearbeit ist ebenfalls eine Moldova- Film-Produktion. Der berührende und seinerzeit gerühmte Film erzählt die Geschichte des Piloten Losev, der nach den Bombardements auf seine Heimatstadt zu Beginn des Zweiten Weltkriegs Frau und Tochter verloren glaubt. Durch einen Zufall erfährt er, dass das neugeborene Mädchen überlebt hat, und begibt sich auf eine lange Suche. Die Kindheit der Tochter, die inzwischen unter dem Namen Aurica lebt, wird in Rückblenden erzählt.


Freitag, 15. Februar, 20:30 Uhr
SHLOSHA V’ACHAT  Drei und eins
Israel 1974. R: Michail Kalik
D: Ori Levy, Yona Elian, Assi Dayan. 86 Min. 35mm. OmU
Ein Familienvater hat vor Jahren Frau und Kind verlassen und mit seiner jungen Geliebten ein neues Leben am Meer begonnen. Die Beziehung wird aufgewirbelt, als sein Sohn ihn findet. Kaliks einziger in Israel entstandener Film beruht auf Maxim Gorkis Erzählung Malwa. Er bearbeitete sie als Allegorie auf den Staat Israel und siedelte sie kurz vor dem Jom-Kippur-Krieg 1973 an, inszeniert in schillernden Farben und im Zeitgeist der 1970er Jahre.


Sonntag, 17. Februar, 17:00 Uhr
I VOZVRAŠČAECJA VETER ...  Die Rückkehr des Windes ...
UdSSR/USA 1991. R: Michail Kalik
D: Oleg Guščin, Anna Balter, Oleg Efremov. 133 Min. 35mm. Russ. OmU
Die als „Memoiren“ bezeichnete Geschichte der „Filmfigur“ Kalik beginnt mit der Rückreise in seine Heimat nach 18 Jahren in Israel. Im Kreise seiner Freund/innen angekommen, erinnert er sich an sein Elternhaus, seine Jahre im Gulag und seinen künstlerischen Werdegang. Kaliks letzter Spielfilm webt eine faszinierende Chronik der zentralen Jahrzehnte der Sowjetunion. Der eigene Lebensweg wird zur Collage aus inszenierten Spielszenen, Archivmaterial und Zitaten seiner Filme.

Mit Vorfilm:
NEOTPRAVLENNOE PIS’MO V MOSKVU  Der nicht abgeschickte Brief nach Moskau
Israel 1977. R: Michail Kalik
32 Min. 16mm. OmU


Mittwoch, 20. Februar, 20:30 Uhr
LJUBIT ...  Lieben ...
UdSSR/Moldawische SSR 1968. R: Michail Kalik
D: Andrej Mironov, Alisa Frejndlich, Marianna Vertinskaja. 70 Min. 35mm. OmU
Kaliks letzter Kinofilm vor seiner Emigration aus der UdSSR erzählt in vier Episoden von Paaren, die zueinanderfinden oder auseinandergehen, ähnlich der Schauspielführung bei Michelangelo Antonioni oder Ingmar Bergman. Zwischen diese inszenierten Passagen montiert Kalik dokumentarische Aufnahmen von Sowjetbürger/innen, die offen und unverstellt über die Liebe sprechen, sowie versteckt gedrehte städtische Impressionen. Das Ausnahmewerk ist in der zensierten Kinofassung zu sehen. Die erst Anfang der 1990er Jahre von Kalik selbst rekonstruierten Szenen werden im Anschluss digital vorgeführt.

Einführung: Gary Vanisian (Arsenal – Institut für Film und Videokunst e.V.)


Donnerstag, 21. Februar, 18:00 Uhr
DO SVIDANJA, MALČIKI  Auf Wiedersehen, Jungs
UdSSR 1964. R: Michail Kalik
D: Evgenij Steblov, Natalja Bogunova. 83 Min. 35mm. OmU
Ein leiser, wehmütiger Rückblick in die späten 1930er Jahre: In einer Kleinstadt am Meer vertreiben sich drei Jungs ihre Zeit in den Hinterhöfen und am Strand. Einer von ihnen, Volodja, ist in die junge Inna verliebt. Bald werden alle drei zur Militärausbildung aufbrechen, in den Kinowochenschauen sehen sie bereits Aufnahmen von der Bewaffnung des nationalsozialistischen Deutschlands. Die kongeniale Musik von Mikael Tariverdiev und die Erinnerungen eines Erwachsenen als Zwischentitel strukturieren die Erzählung.

Foto:
KOLIBELNAJA
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