cw berpodiumVier Berlinale-Filme 2019

Rita Kratzenberg

Berlin (Weltexpresso) - Einem anderen oder sich selbst verzeihen zu können, gehört zu den schwierigsten Tugenden. Um sie muss man immer wieder mit sich selbst kämpfen, und weniges scheint heutzutage wichtiger als das. Und so drehten sich in den ersten Tagen der Berlinale gleich vier Filme unter anderem um dieses Thema.

Auf märchenhafte Weise behandelte es der Eröffnungsfilm THE KINDNESS OF STRANGERS  von Lone Scherfig (ITALIENISCH FÜR ANFÄNGER). Angefangen von einem modernen „Hänsel und Gretel“ über „Sterntaler“ und etwas „Aschenputtel“ wird die Geschichte von Clara und ihren beidem kleinen Söhnen erzählt, die auf der Flucht vor dem gewalttätigen Vater sind. Sie kommen mittellos nach New York, wo sie auf die Krankenschwester Alice (!) treffen, welche sich ehrenamtlich um eine Versöhnungsgruppe kümmert und auch andere soziale Aufgaben erledigt. Mit der Hilfe von Alice sowie John Peter und dem attraktiven Marc – die zwei sind Mitglieder von Alices Selbsthilfegruppe – schafft es Clara, sich vor ihrem brutalen Mann zu verbergen, der auch noch ein Polizist ist... John Peter, ein vom amerikanischen Rechtsstaat frustrierter Anwalt und Marcs bester Freund, verhilft ihr, dass sie die alleinige Erziehungsberechtigung für ihre Kinder erhält. Der sadistische Vater, die einzige Negativfigur und gewissermaßen die Hexe in diesem Märchen, begeht eine Gewalttat zuviel und landet im Gefängnis. Derweil findet Clara in Marc, einem zu unrecht verurteilten Ex-Häftling, ihren Prinzen im Zuckerguss-New York mit allzu hilfsbereiten Bewohnern.

Wesentlich realistischer – zumindest in der Zeichnung der Figuren – ist dagegen der Wettbewerbsbeitrag DER BODEN UNTER DEN FÜßEN von Marie Kreutzer. Eine fast 30 jährige junge Frau lebt anscheinend nur für ihre Karriere als Unternehmensberaterin. In der knallharten Welt der jung-dynamischen Unternehmensberatung darf gerade sie - als junge Frau - keine Schwäche zeigen. Doch da ist noch Lolas Schwester Conny. Diese leidet an psychischen Störungen und unternimmt einen Selbstmordversuch. Lola versucht den Spagat zwischen Beruf und Fürsorge für die Schwester. Sie schlittert von einer Krise in die nächste, bekommt auf ihrem Handy Anrufe, die wohl gar nicht stattgefunden haben können. Leidet sie unter Wahnvostellungen? Eine Untersuchung in der Neurologie/Psychiatrie bricht sie unter vorgegebenem (?) Zeitdruck ab. Der Film lässt die Antwort offen. Herauskommt allerdings, dass die jüngere Lola in der Rolle der Ersatzmutter von der älteren Conny schon immer überfordert ist und schmerzlich feststellt, dass sie dieser Herausforderung nicht gewachsen ist. Am Ende muss sie lernen, auch sich selbst zu vergeben.

Der norwegisch/schwedisch/dänische Wettbewerbsfilm PFERDE STEHLEN von Hans Petter Moland ist ein eher meditatives Werk. Es erzählt das Leben eines alt gewordenen Mannes mit vielen Rückblenden. Stellan Skarsgård, ein in den letzten Jahren gern gesehener Gast der Berlinale, spielt den 67-jährigen Trond. Nach dem Unfalltod seiner Frau hat er sich in einen kleinen Ort im Osten Norwegens zurückgezogen. Hier erinnert er sich wieder an den Sommer im Jahr 1948, den er als 15-jähriger Junge mit seinem Vater hier verbracht hat. Und dabei brechen Erinnerungen auf, und er muss sich lebenslangen Traumata und Schuldgefühlen stellen, damit auch er sich mit sich und seinem Leben versöhnen kann.

In der Sektion Panorama gehörte TEMBLORES von Jayro Bustamante zu den vielen Filmen zum Thema Homosexualität, mit denen die Zuschauer in Berlin geradezu bombadiert werden. Hauptfigur Pablo führt in Guatemala-Stadt ein gutbürgerliches Familienleben, bis er sich in einen Mann verliebt. Als seine Familie dies herausbekommt, bricht für ihn alles zusammen. Seine Frau wirft ihn aus dem gemeinsam bewohnten Haus, und er darf seine Kinder nicht mehr sehen. Pablo geht einer Aussprache aus dem Weg, hofft aber auf eine Annäherung an seine Familie. Die ist allerdings einer religiösen Sekte verfallen. Strenggläubig setzt man alles daran, den verlorenen Sohn wieder auf die „rechte Bahn" zu bringen. Dabei schrecken die Evangelikalen sogar von einem skurrilien Umerziehungslager für schwule Männer nicht zurück. Nach einigem Hin und her kommt es zu einer wackligen Versöhnung, die vermutlich nicht das letzte Wort ist. Verziehen wird dem schwulen Außenseiter nur, wenn er sich selbst verleugnet.

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