Das LICHTER Filmfest Frankfurt International vom 19. bis 24. März 2013, Teil 14
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Es war sogar die Deutschlandpremiere, die Vorführung von DIE KOFFER DES HERRN SPALEK im Deutschen Filmmuseum im Rahmen des LICHTER Filmfests, in Anwesenheit des Regisseurs Gregor Eppinger und der Produzenten Krausz und Spiess, die auch danach Rede und Antwort standen, was vom Publikum genutzt wurde.
Größtenteils, ach was, von allen wurde der Film gelobt. Zu Recht. Aber dann gab es auch eine Kritik. Auch zu Recht. Und sie führte dazu, daß wir in der Publikumsbewertung, wo jeder Zuschauer das Festival hindurch auf einem Zettel über die geschauten Filme eine Bewertung (Die Zahl Fünf ist die Beste) abgeben kann, daß wir dort nur eine „vier“ notierten, obwohl wir den Film hervorragend finden und Gregor Eppinger, dem Regisseur und seine Mitstreiter, Alicja Pahl, Kamera und Barbara Toennieshen für den Schnitt zu diesem Dokumentarfilm nur gratulieren können.
Der Herr Spalek also. Mit ihm beginnt der Film und mit ihm endet er, der in den USA die (potentiellen) Nachlässe emigrierter - was heißt schon emigriert, daß sie flüchten mußten, kommt sprachlich zu wenig heraus - Deutscher, natürlich meist Juden, aufspürt und entweder noch die Alten bewegt, die wichtigsten Unterlagen in Koffern nach Deutschland zur Deutschen Nationalbibliothek zu schicken, wo es das Exilarchiv 1933-1945 gibt, oder halt die Witwen und Witwer und Kinder mit drängenden Worten dann doch meist herumbekommt, aber die Letzteren fragen dann auch schon nach Geld für die Unterlagen, die ansonsten in Garagen und Kellern vor sich hingammeln. Über 80 Jahre ist er schon, der emeritierte Professor für Germanistik Spalek, und ist gerade so am Tod vorbeigeschrammt, gleich aber wieder mental putzmunter an die Gedächtnisarbeit gegangen, die sein Movens für diese lebensbestimmende Arbeit ist: Die Erinnerung bleiben wach, wenn man sie bewahrt, die Erinnerungen leben, wenn man ihre Dokumente sichert.
Den Film über fragt man sich bei dem perfekten Muttersprachler Herrn Spalek, wie es eigentlich mit ihm aussieht, aus welchem der deutschen Länder und aus welchen Gründen er in die USA gekommen ist? Aber das ist eine Nebenfrage, die durch die Schicksale derer, um deren Nachlässe er sich so intensiv bemüht, überlagert wird. In der Diskussion nach dem Film darauf angesprochen, warum die Hauptperson über sich so schweige, denn ansonsten redet er unabläßlich, antwortete der Regisseur, daß liege dem Herrn Spalek nicht, von sich etwas Persönliches wiederzugeben. Das ist ja nun mal interessant und führte in eine psychoanalytische Richtung, wozu auch paßt, daß er an der deutschen Premiere nicht teilnehmen konnte, weil er die Treppe in seinem Haus hinunterfiel und an den Folgen laboriert – die Treppe nun wieder, die er auf und niederschreitet, ist ein wichtiger Ort im Film - , denn nach Freud wäre das eine klassische unbewußte Tat der Vermeidungsstrategie.
Aber, so wollen wir nicht weiterspekulieren, sondern nur sagen, daß alles ganz anders ist. Herr Spalek ist Pole, auf jeden Fall ist er erst in der Nachkriegszeit in die USA gekommen, hat sich dort als Arbeiter verdingt und hat dann in der Entscheidung, Deutsch oder Spanisch zu studieren (er sei ein Sprachgenie, so Gregor Eppinger), sich für Deutsch entschieden, womit er dann auch eine universitäre Karriere machte. Unglaublich und sofort wollen wir eigentlich wissen, wieso er so perfekt spricht, wo doch die emigriert/geflüchteten Deutschen meist ein so eigenartiges Deutsch sprechen et cetera. Aber Herr Spalek ist nicht da und nun müssen wir des Regisseurs Worte beherzigen, daß dieser über sich nicht reden will und seine immense Arbeit, die der Film auf so vielen Ebenen – ernst, lustig, absurd – mit Beispielen füllt, würdigen.
Keine Sekunde des 72minütigen Films haben wir uns gelangweilt. Geschickt geht der Film mit dem Schicken um. Da werden die Fotos, Briefe, Dokumente in den verschiedenen Teile der USA in Koffer verpackt, die Herr Spalek zum Flughafen bringt – und schon sind sie in der Nationalbibliothek angekommen, wo sie die Leiterin des Exilarchivs Sylvia Asmus auspackt, ordnet und neu sortiert– oje, alles ohne Handschuhe - und – wie man in anderen Aufnahmen sieht – bei Führungen auch den Besuchern zeigt. An so einer Führung haben wir auch einmal teilgenommen, und das kann man jedem empfehlen, weil sich dann auch erst der Gedächtnisbogen schließt, den in den USA Herr Spalek in Gang setzte. Natürlich werden die Unterlagen auch zu Forschungszwecken verwandt.
Hauptteil des Films ist die Begleitung des Herrn Spalek bei seiner Arbeit. Bei ihm zu Hause sieht es aus, wie manchmal in unserer Redaktion, stärker noch wie in den privaten Arbeitszimmern der Kollegen. Alles liegt am Boden, die Schriftstücke übereinander und es herrscht die papierene Atmosphäre, die den Geist so beflügelt, vor allem dann, wenn man das richtige Papier am falschen Ort gefunden hat. So liebevoll ist die Schilderung des Alttags, das man gerührt dem vor sich hinerzählenden Herrn Spalek lauscht, der von der Legitimität seines Vorhabens derart erfüllt – wir mit ihm! - sich nicht scheut, den Leuten mit der Tür ins Haus zu fallen, sie ganz schön zu nerven, den Alten von ihrem baldigen Ableben zu berichten, so daß sie lieber noch gleich ihre wichtigsten Erinnerungsstücke aus Deutschland ihm übergeben, als daß die Erben diese wegwerfen – oder irgendwie verscheuern.
Das Wichtigste ist erst mal das Telefon, denn ohne Ankündigung und Überreden über mehrere Telefonate geht gar nichts. Den bestimmend-pragmatischen Ton, den dann Herr Spalek so drauf hat, ja den bekommt man, wenn man mit den zögerlichen Leuten zu tun hat, die nicht wissen, was sie wollen. Und meistens – aber nicht immer, darauf legt Herr Spalek wert – bekommt er dann auch die Sachen, die er zwischenlagert und dann nach Deutschland schickt. Wenn man ihn auf seinen Leiterchen beim Versuch, die Kartons da oben zu fassen sieht, und überhaupt die leeren Kartons, die überhauf auf neuen Inhalt warten, dann sind das sowieso für alle Menschen, die schon andere zu Grabe tragen mußten und Wohnungen aufzulösen hatten, ins Mark geschriebene De ja-vus.
Hat Herr Spalek eigentlich schon das Bundesverdienstkreuz der Bundesrepublik erhalten? Sollte er! Denn er ist wirklich jemand, der den Deutschen Gutes tut. Eine, die es sicher hat, und auch wieder mit Recht, ist Aleida Assmann, die mit ihrem Mann Jan Assmann den Begriff des KULTURELLEN GEDÄCHTNISSES geprägt hat, und mehrfach im Film sehr kluge Worte über das Erinnern und Bewahren sagt, die dem Film deshalb gut tun, weil sie eine Ebene hineinbringen, die ob des pragmatischen Handelns und der Komik vieler Situationen im Film - weshalb dieser eben auch so unterhaltsam und gut ist - zu betonen ist: welch generationsübergreifendes Werk Herr Spalek hier in letzter Minute unternimmt. Denn die Zeitzeugen der grauenvollen deutschen Geschichte von 1933-1945 sterben dahin. Gut gemacht, die Herren Spalek und Eppinger!
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