f cyrao2Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 21. März 2019, Teil 8: Ein Gespräch mit Alexis Michalik

N.N.

Paris( Weltexpresso) - Wie ist VORHANG AUF FÜR CYRANO entstanden?

Die Idee ist schon über 15 Jahre alt. Der erste Auslöser war 1999 der Film Shakespeare in Love, in dem Joe Madden, teilweise von historischen Fakten ausgehend, erzählt, wie der junge Shakespeare, der bis über beide Ohren verschuldet in einer Schreibkrise steckt, dank einer jungen Muse zur Inspiration zurückfindet und sein größtes Meisterwerk, Romeo und Julia erschafft. Damals fragte ich mich, warum es für Frankreich keinen ähnlichen Film gibt. Aber das Ganze blieb zunächst ein Gedankenspiel ...

Ein paar Jahre später bin ich dann auf ein Heft mit Unterrichtsmaterial zu Cyrano gestoßen, in dem auch von den Umständen der Uraufführung die Rede war. Da habe ich wieder an Maddens Film denken müssen, und mir wurde noch mal bewusst, wie unglaublich es ist, dass noch niemand auf die Idee gekommen ist, aus der größten Erfolgsgeschichte des französischen Theaters einen Film zu machen. Und Cyrano ist ja noch dazu der letzte große Bühnenschlager, denn kurz danach begannen bewegte Bilder das Geschehen zu bestimmen, und nicht mehr Theaterstücke, sondern Filme lösten wahre Erfolgsstürme aus, wie etwa ein paar Jahrzehnte später Vom Winde verweht.

Also habe ich mich daran gesetzt, alles zu lesen, was es zu und um Cyrano gab. Und mir wurde bewusst, dass sein Autor, Edmond Rostand, gerade mal 29 Jahre alt war, als er das Stück verfasste. Ein solches Meisterwerk, und er war noch nicht einmal 30 Jahre alt! Das hat mich vom Hocker gehauen. Ich habe also Notizen gemacht und bin damit zum Produzenten Ilain Goldman gegangen. Der wollte ein Drehbuch von mir. Damals haben wir nach einem Regisseur gesucht, denn ich sah mich selbst nicht in der Rolle ... Das ist ungefähr sechs Jahre her ... Ich war gerade 30. Aber wir konnten uns noch so abrackern, wir fanden keine Geldgeber für den Film, er wurde als zu kostspielig eingestuft.

Ich war schon drauf und dran, aufzugeben, da stieß ich in London auf eine Bühnenfassung von Shakespeare in Love!. Und das Stück war so großartig und hatte so einen Riesenerfolg, dass ich auf die Idee kam, statt eines Films ein Theaterstück aus der Entstehung des Cyrano zu machen.


War Ihnen klar, dass das Theaterstück auf dem nun der Film basiert so ein Erfolg werden würde, und können Sie sich erklären, warum das so ist?

Im Theater lässt sich nichts vorhersehen. Manchmal hängt der Erfolg von Nebensächlichkeiten ab, von der aktuellen Stimmung oder der Mundpropaganda. Und erst wenn er da ist, kann man ihn analysieren. Für das Stück Edmond liegt der Grund vielleicht darin, dass mit dem Portrait von Rostand der französische Held par excellence auf die Bühne gebracht und dem Verständnis erschlossen wird: Cyrano de Bergerac, ein Mann, der weder schön noch ehrgeizig ist, der aber das gewisse Etwas hat, das alle begeistert und das man bei uns „Schneid“ nennt. Ein mutiger Mann, dem Gefühle wichtiger sind als alles andere, ein schüchterner und ganz und gar nicht anmutiger Mensch, dessen höchstes Ziel die Liebe ist. Heute würde man ihn als großartigen Loser einstufen. In Frankreich, wo man im Unterschied zu Amerika weder Gewinner noch allzu schöne Männer besonders schätzt, muss man ihn lieben. Er berührt alle Schichten der Bevölkerung. Er ist universell ...


Ihr Wunsch, die Handlung in ein idealisiertes Paris zu verlegen, verleiht Ihrem Film eine gewisse Bühnenatmosphäre ...

Mein Film ist eine Liebeserklärung ans Theater, an seine Schauspieler, seine Handwerkskunst und seine Illusionsmaschinerie. Mir geht es nicht nur um Rostand. Ich habe auch Feydeau, Courteline, Sarah Bernhardt, Coquelin etc. ins Spiel gebracht, kurz: all die Autoren und Darsteller, die zur damaligen Zeit mit Komik und Poesie, Drama und Komödie populäre und beliebte „Events“ auf der Bühne geschaffen haben. Ich wollte ein Bewusstsein dafür wecken, dass im 19. Jahrhundert neue Theaterstücke ungefähr so ungeduldig erwartet wurden wie heutzutage Super-Produktionen im Kino. Als Cyrano 1897 die Bühne eroberte, hat er einen ähnlichen Hype erzeugt wie 2011 Game of Thrones. Damals hatte das Theater weder ein verstaubtes Image, noch war es ein heruntergekommenes Genre. Im Gegenteil. Und auch heute besteht kein Grund dafür, dass es sich dahin entwickelt. Es geht darum, zu zeigen, dass „die Bretter, die die Welt bedeuten“, nach wie vor eine Quelle für Träume und fürs Außergewöhnliche sind. Es handelt sich eben nicht um eine Kunstform, die im Widerspruch zum Kino steht oder nicht kompatibel wäre mit dem Film. Man kann für beide arbeiten, beide lieben und sie sogar miteinander mischen.


Apropos: Für die Szene von Cyranos Tod haben Sie das Theaterumfeld verlassen und im authentischen Kreuzgang eines Klosters gedreht. Warum?

Ich glaube, es war das Mittel der Wahl, damit die Zuschauer in dieser Geschichte, die ja eigentlich eine Komödie ist, den einzigen wahrhaft tragischen Moment auch als solchen erleben. Damit sie nicht mehr im Theater sind und auch nicht mehr im Kino, sondern in einem Moment des richtigen Lebens, demjenigen, der jeden Begriff von Zeit und Ort vergessen lässt, der jeglichen Gedanken an „Spiel“ ausblendet. Ich wollte, dass die Menschen im Moment des Todes eines großen Helden vergessen, wo sie sich befinden, dass sie nicht mehr einem Schauspieler gegenüberstehen, sondern sich selbst.


Ihr Film hat ein gehöriges Tempo ...

Tatsächlich finde ich neben der Schauspielerführung den Rhythmus so ziemlich das Wichtigste. Ein Stillstand? Eine Länge? Schon macht sich Langeweile breit, und das ertrage ich weder im Theater noch im Kino. Ich will, dass es swingt. Ich bin mit den Filmen von Spielberg und Zemeckis groß geworden, intelligent gemachten Blockbustern, die sich nicht mit intellektuellen Spitzfindigkeiten belasten. Klar, virtuos, populär, aber keinesfalls anspruchslos. So konzipiere ich meine Stücke ... und so habe ich es auch mit meinem Film versucht.

Um ein gutes Tempo zu halten, hat mir dieser verteufelt gute Offenbach mit seiner großartigen Musik geholfen. (Lacht.) Und auch die Schauspieler, die sich alle, ohne Ausnahme, gemeinsam auf mein „Spiel“ eingelassen haben. Sie haben so gearbeitet, wie ich das gern habe, schnell, viel und gut, Hand in Hand, ohne je ihr Ego in den Vordergrund zu spielen. Sie kamen immer mit gelerntem Text ans Set und haben sich gern manchem schwierigen Arbeitsablauf unterworfen. Sie waren alle großartig und wunderbar.


Warum haben Sie Thomas Solivérès für die Rolle des Edmond ausgewählt?

Ich kenne Thomas schon lange. Ich bin vor ungefähr zehn Jahren auf ihn aufmerksam geworden, als er als ganz junger Schauspieler in Avignon gearbeitet hat. Damals hat man mir gesagt, er sei ein guter Typ. Ich habe ihn spielen sehen und habe festgestellt, dass er nicht nur ein guter Kamerad ist, sondern auch ein exzellenter Schauspieler. Eines Tages, er hatte gerade eine Pause zwischen zwei Drehs, übernahm er netterweise eine winzige Rolle in einem meiner Kurzfilme, ohne nach Bedingungen zu fragen. Ich fand das super von ihm.

Für die Figur des Edmond habe ich sofort an ihn gedacht, weil die Rolle vom Alter her zu ihm passt und er, obwohl er jugendlich erscheint, eine große Reife ausstrahlt. Außerdem kann er arbeiten wie ein Stier. Für die Probeaufnahmen hat er zum Beispiel 40 Seiten Text in zwei Wochen gelernt. Ich kenne auch Leute, die sich mit einem Viertel zufrieden gegeben hätten und trotzdem aufgekreuzt wären. Er dagegen kannte nicht nur den Text aufs Komma genau, sondern hat auch Rostand gebüffelt wie ein Verrückter. Wenn man einen Hauptdarsteller hat, der sein Äußerstes gibt, weiß man, dass die anderen Schauspieler sich ein Beispiel an ihm nehmen.

Wir haben uns in einen wahren Arbeitsmarathon gestürzt. Er kam mit einer Visagistin, hat sich einen Bart angeklebt, die Haare nach hinten gestriegelt, ein Kostüm geliehen, und so haben wir 20 Minuten Probeaufnahmen geschaffen. Als er sich den Produzenten vorgestellt hat, haben die als letzte, die noch Zweifel hegten, sofort grünes Licht gegeben.


So ziemlich gegen jede Erwartung haben Sie die Rolle des Coquelin Olivier Gourmet angeboten.

Olivier ist ein sehr großer, ein übermächtiger Darsteller. Er gehört zu den seltenen Schauspielern, die alles spielen können, einfach alles. Aber meistens bekommt er die Rollen von Bösewichten, Vergewaltigern oder Sadisten oder jedenfalls ernsten Typen. Seit Langem hatte man ihn nicht mehr in einer Komödie gesehen. Ich habe sofort an ihn gedacht, denn indem er die Rolle des Coquelin übernahm, musste er ja gleichzeitig die so komplexe und besondere Rolle des Cyrano spielen, inklusive der Sterbeszene, in der er vergessen machen muss, dass er ein Schauspieler ist, und einfach einen Menschen und sein Schicksal darstellt... Natürlich hat er alle Erwartungen übertroffen. Er hat einen verrückten Humor und ist außerdem unglaublich gutmütig, immer achtsam den anderen gegenüber. Außerdem von unerschütterlichem Gleichmut. Ich habe nie erlebt, dass er sich aufgeregt hätte, obwohl, wenn man acht Stunden täglich schwere Stiefel trägt, einen Panzer und falsche Haare, es auch mal anders hätte kommen können. Er hat sich der Gruppe mit beispielhafter Loyalität angepasst.


Wenn man Ihren Film anschaut, hat man den Eindruck, als sei es Ihnen gelungen, diesen Geist in ihrer gesamten Besetzung zu verbreiten.

Umso besser. Ich wollte nämlich, dass der Eindruck eines „Gemeinschaftswerk“ rüberkommt. Ich habe die Mitwirkung jedes einzelnen Schauspielers wie ein Geschenk empfunden.

Mathilde Seigner, die mit unglaublicher Selbstverleugnung die Furie gegeben hat. Was sie leisten musste, war weder psychologisch noch spieltechnisch noch hinsichtlich des Tempos einfach. Alice de Lencquesaign kenne ich, wie Thomas, aus Avignon, sie hat für mich in Intra muros gespielt und für den Film mit traumwandlerischer Sicherheit Rosemonde Gérard „rekonstruiert“, Rostands treue Gefährtin. Lucie Boujenah spielt Jeanne, die kleine Garderobiere, die am Abend der Premiere von Cyrano unfreiwillig in die Rolle der Roxane geschubst wird. Lucie hatte nicht viel Erfahrung, aber sie hat alle überzeugt. Ich hatte 40 Schauspielerinnen für die Rolle gecastet. Sie hat sie bekommen, weil sie gleichermaßen Arglosigkeit wie Reife ausstrahlt, sie verfügt über die Stimme, die Genauigkeit, die Jugend und das Ungestüm, kurz: all das, was es brauchte. Tom Leeb hat ohne Stirnrunzeln die Rolle des Christian angenommen, die Rolle, wie Jacques Brel singt, eines „Schönlings und Idioten gleichermaßen“, die ebenfalls viel Humor und Selbstironie verlangt. Tom ist unglaublich. Er kann alles: Er singt wie ein Gott, spielt Gitarre, hat Gespür für Komödien genauso wie fürs Tragische. Außerdem ist er athletisch und sympathisch, lustig und anrührend, galant und wohlerzogen. Das ist wirklich viel auf einmal. Wahrscheinlich zu viel für Frankreich, wo man es lieber hat, wenn Schauspieler leiden. Hier macht er nicht die Karriere, die er verdient hätte (lacht).



Sie hatten Verantwortung für einen Film mit großem Budget. Hat Sie das belastet?

Ich denke nie daran, was etwas kostet. Ob ich mehrere Millionen Euro zur Verfügung habe, wie in diesem Fall für den Film, oder ein paar Tausend, um ein Stück auf die Beine zu stellen (2000 zum Beispiel für Le Porteur d’Histoire) – ich gebe immer mein Bestes und versuche, das Budget nicht zu überschreiten, das mir bewilligt wurde.


Ist Edmond wirklich das erste Theaterstück, aus dem Sie unbedingt einen Film machen wollten?

Gute Frage ... die habe ich mir auch gestellt. Bei VORHANG AUF FÜR CYRANO Regie zu führen war die Verwirklichung eines Traums. Ich habe mich gefragt, ob ich danach noch Lust hätte aufs Kino, ob es nicht besser wäre, mit einem bescheideneren Film anzufangen, einer zeitgenössischen Komödie beispielsweise ... Aber ich habe mir auch gesagt, dass ich zugreifen müsse, da man mir VORHANG AUF FÜR CYRANO nun mal vorgeschlagen hat. Dass ich das Angebot nicht aus den falschen Gründen ausschlagen dürfe, aus Angst, dem nicht gewachsen zu sein, beispielsweise. Der Film lag mir. Ich wusste, dass ich bis zuletzt für ihn einstehen, bis zum letzten Tag der Werbekampagne für ihn kämpfen würde. So was ist wichtig. Also habe ich mich ran gewagt. Und ich hätte es sicher mein Leben lang bedauert, wenn ich es nicht getan hätte.


In welches Genre würden Sie Ihren Film einordnen?

Nach den ersten Testvorführungen wussten die Leute nicht so recht, ob es sich um eine romantische Komödie, eine reine Komödie, einen historischen Film oder eine Tragikomödie handeln sollte. Tatsächlich glaube ich, dass VORHANG AUF FÜR CYRANO ein bisschen von allem hat. Ich habe den Film fürs große Publikum konzipiert, „erlesen, aber doch für alle“, wie es Antoine Vitez vom Théâtre Chaillot seinerzeit ausdrückte.


Was glauben Sie, wie VORHANG AUF FÜR CYRANO ankommen wird?

Ich hoffe, dass er die Leute zum Lachen bringt und Emotionen auslöst, dass er Lust macht, ins Theater zu gehen und zum Beispiel Cyrano noch einmal zu lesen. Ob im Theater oder im Kino – ich möchte Lust wecken.

Nach einer Vorpremiere sagte ein Zuschauer zu mir: „Es ist blöd, aber als ich Ihren Film angeschaut habe, fühlte ich eine Art Stolz, Franzose zu sein, es hat mich angeregt, mich mal wieder mit der eigenen Kultur zu beschäftigen.“ Das hat mich wahnsinnig gefreut. Was definiert und vereint eine Nation stärker als ihre Sprache, ihre Kunst und ihre Dichter. Shakespeare ist 400 Jahre tot, und die Engländer berufen sich immer noch auf seine Stücke und seine Dichtkunst.

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Info:
BESETZUNG
Edmond Rostand (Bühnenautor und Regisseur)                Thomas SOLIVÉRÈS
Constant Coquelin (Berühmter franz. Schauspieler – spielt Cyrano)  Olivier GOURMET
Maria Legault (Spielt Roxane)                                             Mathilde SEIGNER
Léo Volny (Schauspieler und Freund von Edmond – spielt Christian) Tom LEEB
Jeanne (Theatergarderobiere und Léos Angebetete)          Lucie BOUJENAH
Rosemonde (Edmonds Frau) .                                            Alice DE LENCQUESAING
Sarah Bernhardt (Berühmte französiche Schauspielerin)   Clémentine CÉLARIÉ
Jean Coquelin (Sohn von Constant, spielt De Guiche / Carbon)        Igor GOTESMAN