Bildschirmfoto 2019 04 11 um 21.49.29Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 11. April 2019, Teil 12

Redaktion

Berlin (Weltexpresso) - Ihr Vater Klaus Gysi hatte viele Zuschreibungen. Heiner Müller nannte ihn „einen der Wendigsten“, Stephan Hermlin soll ihn als einen „Opportunisten der schlimmsten Sorte“ bezeichnet haben. Im Westen schrieb Marcel Reich-Ranicki, er sei stets „ein Intellektueller geblieben“. Sie nennen Ihren Film „Der Funktionär“. Lässt sich Ihr Vater unter diesem Begriff überhaupt fassen?
Der Film befasst sich mit dem Funktionär und nicht mit dem Menschen, der Tiere liebte oder Krimis las. In Leipzig, bei der Uraufführung, sagte mir jemand: „Mein Vater kannte Ihren Vater, er war nicht nur ein Funktionär!“ Ich höre das gerade von Leuten, die die DDR verteidigen wollen. Sie haben die Abwertung des Begriffs aber übernommen. Für mich hat das Wort „Funktionär“ nichts Diskreditierendes. Es ist die Bezeichnung für einen Menschen, der sein Leben in den Dienst seiner Partei gestellt hat. Die Frage ist für mich eher, was für ein Funktionär er war.


Und was für einer war er?

Es gab eine auffällige Differenz zwischen seiner politischen Rolle und seiner Erscheinung. Er hatte als Leiter des Aufbau Verlags, nach der Verurteilung seines Vorgängers Walter Janka, und als Minister nach dem 11. Plenum die Aufgabe, den Verlag bzw. das Ministerium wieder auf Linie zu bringen. Er vertrat die jeweilige Parteidoktrin und gehörte in den Augen der meisten Leute dennoch nicht zur Riege der Willfährigen. Dass man ihm diese Funktionen gab, sollte den Künstlern zugleich signalisieren: Wir schicken Euch hier einen, mit dem ihr reden könnt. Er galt auf eine diffuse Art als „anders“. Er sprach gewandt, war von einer gewissen Respektlosigkeit in jede Richtung. Er hatte Witz. Gerade in seinem Witz war immer eine innere Distanz spürbar. Als Staatssekretär liefen Gespräche oft so: Er erklärte den Bischöfen, er müsse hier die Haltung des Politbüros vertreten, die er im Übrigen für falsch halte, aber auch sie hätten ja Probleme in ihrem „Verein“. Er konnte die Distanz einsetzen, um sein Gegenüber zu erweichen. Vor allem aber war die Distanz ein Schutz.

Auch wenn mir das politisch von heute aus betrachtet als falsch erscheint, muss ich doch bedenken: Für einen Menschen mit jüdischen Wurzeln war es eine Leistung, dieses Jahrhundert zu überleben. Da halfen Anpassungsfähigkeit und Skepsis. Ich habe leicht reden – als jemand der verschont geblieben ist und nicht diesen Konflikten ausgesetzt war. Zum anderen unterschied ihn seine bürgerliche Herkunft von den Arbeitersöhnen der Parteiführung. Man strich das immer heraus, als sei das eine Auszeichnung. Im Westen schlug man ihn so zur bürgerlichen Klasse, machte ihn sich verwandt, im Osten war es ein kleinbürgerlicher Reflex der Bewunderung. Dabei war das Bürgerliche vielleicht das, vor dem mein Vater am meisten floh. Er sagte, der Eintritt in die kommunistische Partei sei „ein Sprung auf den schon fahrenden Zug der Weltrevolution“ gewesen. Er wollte fort. Weil es sich so gehörte, studierte er, und er studierte Betriebswirtschaft, weil es das kürzeste Studium war. Dann gab ihm die Partei Aufträge und rettete ihn so vor einem bürgerlichen Leben. Ich kann mir meinen Vater in keinem bürgerlichen Beruf vorstellen.


In Ihrem Film zeichnen sie seine Anpassungsleistung schonungslos. Härter, als es jetzt aus Ihren Worten klingt.

Der Film ist zentral aus meiner Perspektive der späten 80er Jahre erzählt. Das war die Zeit, in der die ganze Partei nur noch taktierte. Die Worte meines Vaters wichen zwar von der Sprache des Politbüros ab, aber sein Taktieren entsprach im Grunde vollkommen dem der Führung. Er hatte die Fähigkeit, Gespräche zu führen, ohne Ergebnis und ohne Konsequenz. Ich weigere mich, das Taktieren als eine Qualität anzusehen. Das Taktieren war eine Folge der fehlenden politischen Initiative, am Ende auch der fehlenden politischen Idee. Taktik ist immer Teil des politischen Handelns, wenn sie aber nicht Instrument einer Strategie ist, hat sie keinen anderen Zweck als den Status quo aufrecht zu erhalten. Das war die Lage am Ende der DDR, oder schon lange vorher, und da hatte auch mein Vater seine Rolle. Dieses Leere hat er am Ende auch gespürt, auch er war aufgezehrt. Das ist natürlich eine Tragödie.


Am Anfang des Films zeigen Sie Ihren Vater im Gespräch mit Günter Gaus. Da sagen Sie: „Seine Worte klangen so, als hätte er nicht dazu gehört.“ Werfen Sie ihm ein fehlendes Schuldeingeständnis vor?

Im Gegenteil. Es war ausgesprochen schmerzlich, ihn so zu sehen. Ich hatte mir eine klare Haltung gewünscht. So etwas wie: Ja, wir haben verloren, aber dass wir verloren haben, heißt nicht, dass wir nicht recht hatten. Das war im Jahr 1990. Kommunisten, und daran hat sich bis heute nichts geändert, sind gesellschaftsfähig als tragische Helden, die mit ihrem Scheitern beweisen, dass eine Gesellschaft jenseits des Kapitalismus unmöglich ist. Mein Vater hat in diesem historischen Augenblick genau diese Rolle. In seinen Worten wird der Sozialismus wieder zur Utopie, also zu einer Sache, die nicht im Reich des Möglichen liegt.


Wie haben Sie Ihren Vater als Kind wahrgenommen?

Als freundlichen Mann, mir gegenüber. Aber vor allem war er nicht da.


Er vertrat ja auch den Staat. Wie hat das Ihr Verhältnis zur DDR geprägt?

Das hat mein Verhältnis zur DDR zu einer quasi familiären Angelegenheit gemacht. Die Sehnsucht nach dem Vater und das Hoffen auf den Kommunismus fielen in meiner kindlichen Wahrnehmung zusammen. Als Pubertierender wurde altersentsprechend die tragische Seite stärker. Ich sage im Film ja: „Ich hatte eine direkte Verbindung zu seiner Geschichte, als wäre sie auch meine.“ Das hat mich älter gemacht, als ich war. Das hat mich auch beschwert. Die ganzen Opfer, die ganzen Toten der kommunistischen Bewegung. Meine eigene Erfahrung war natürlich eine ganz andere. Das waren die Konflikte in der Schule, bei der Armee oder an der Universität. Ich habe eigentlich erst lange nach der DDR verstanden, dass ich ein Anrecht auf ein eigenes Erleben, auf eigene Erfahrungen habe.

FORTSETZUNG FOLGT

Foto:
© Salzgeber

Info:
Kinostart: 11. April 2019
DER FUNKTIONÄR
ein Film von Andreas Goldstein
DE 2018, 72 Min., deutsche OF

Regie . . . . Andreas Goldstein
Buch . . . . .Andreas Goldstein
Montage . .Chris Wright
Kamera . .  Jakobine Motz