Bildschirmfoto 2019 04 18 um 11.45.14Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 18. April 2019, Teil 7

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main  (Weltexpresso) - Es gab gute Gründe, in WELTEXPRESSO so viel an geschichtlicher Wahrheit vorauszuschicken, denn im Film selbst wird die eigentliche politische Schweinerei, die sich dieser Altnazi-Wolf im Schafspelz des Bundesjustizministeriums der jungen Bundesrepublik geleistet hatte, gar nicht richtig deutlich. Was man jedoch angesichts der eindrucksvollen Stummheit des Angeklagten Fabrizio Collini (Franco Nero) , der scheinbar grundlos den reichen und wohl beleumdeten Patriarchen Hans Meyer (Manfred Zapatka) erschossen hat, mehr fühlt als versteht, das ist, daß hier entsetzliches Unrecht geschehen ist, das Collini rächt.

Und weil Franco Nero seine Rolle so verkörpert, daß man gar nicht anders kann, als immer wieder eine Gänsehaut zu bekommen, empfehlen wir den Film ausdrücklich, denn auch so, wie er unvollständig rüberkommta , bleibt zumindest dies jedem in Erinnerung: wie deutsche Soldaten in deutschem Namen, in Italien (und anderswo), angeführt von Hans Meyer, wahllos die Bevölkerung dafür büßen ließen, wenn Widerstand geleistet wurde. Wir kennen diese Szenen aus Filmen, die ja nur das nachspielen, was im 2. Weltkrieg an Verbrechen an der Zivilbevölkerung verübt wurde – leider vorwiegend von den Deutschen, weshalb es auch so viele Jahre nach dem Krieg immer wieder nötig ist, dies in Erinnerung zu rufen.

Nun ist das Interessante an der heutigen Situation, daß wir immer gleich auf zwei Ebenen der historische Wahrheit nachspürebn, dem eigentlichen Geschehen bis zur Kapitulation des Deutschen Reiches am 8. Mai, und der (fehlenden grundsätzlichen )Aufarbeitung der NS-Zeit in der Bundesrepublik, übrigens: wie die DDR damit verfuhr, wissen wir im Westen viel zu wenig. Insofern kann man sagen, daß Ferdinand von Schirach den richtigen Zeitpunkt für sein seitiges Buch wählte, als er eine auf realem Geschehen basierende Geschichte niederschrieb.

Im Buch ist ein Anhang angefügt, in dem klar beschrieben wird, wie es zu dem eigentlich unfaßbaren Vorgang kommen konnte, in einem Ordnungswidrigkeitengesetz unter der Hand, wirklich heimlich, die 20jährige Verjährungsfrist für Beihilfe zum Mord unterzubringen: Ende 1968, womit also alle Kriegsverbrechen und Naziverbrechen das Dritte Reich über, wo ein direkter Mord nicht nachgewiesen werden konnte – schon weil die Leute tot waren, den Mord an sich nicht dokumentieren oder beschreiben konnten, noch Fotos oder Videos machen konnten – straffrei blieben.

Der Film, ja der Film. Er lebt von den Schauspielern. Der junge, unerfahrene Strafverteidiger Caspar Leinen bekommt durch die Besetzung mit Elyas M‘Barek einen Migrationshintergrund, was der Geschichte gut tut, sie noch glaubwürdiger sein läßt. Er wird dem Angeklagten, einem italienischen Gastarbeiter, der Jahrzehnte lang brav seine Rolle gespielt und malocht hatte und der – für die Öffentlichkeit - grundlos einen der gesellschaftlichen Wirtschaftspatriarchen der jungen Bundesrepublik niedergeschossen hat, als Pflichtverteidiger zugeteilt. Schon deshalb Pflichtverteidiger, weil der Angeklagte sich gar nicht verteidigen will, stumm bleibt, sich weder rechtfertigt, noch sonstwie äußerst.

Dramaturgisch geschickt kommen nun gleich drei besondere personelle Verbindungen ins Spiel. Der Ermordete ist der Großvater von Caspars Jugendliebe Johanna Meyer (Alexandra Maria Lara) , dem Leinen sogar seinen schulischen und beruflichen Werdegang mitverdankt. Die Zuneigung, die die Enkelin und Leinen verbindet, lebt anfangs beim Wiedersehen auf, führt zu mehr, was unmöglich wird, als Leinen die Verteidigung des Mörders des Großvaters ernst nimmt.

Auch die dritte Verbindung ist nicht ohne. Denn als Nebenkläger hat die Familie des Ermordeten mit Richard Mattinger (Heiner Lauterbach) den Anwalt aufgeboten, der nicht nur als Hochschullehrer auch Caspar Leinen ausgebildet hat, sondern der als Creme des juristischen Sachverstands Westdeutschlands gilt. Caspar Leinen, der das Mandat gleich abgeben will, als er die Fallstricke erkennt, wird nun gerade im Verfahren von dem Juristen daraufhingewiesen, daß es die oberste Priorität eines Anwalts ist, bedingungslos für seinen Klienten einzutreten und alle persönlichen Widerstände hintanzustellen. Doch, das ist spannend und die erwähnten Schauspieler verkörpern ihre Rollen leb- und glaubhaft.

Aus dem juristischen Geplänkel wird durch den Einbezug der Kriegsereignisse in Italien ein echter Thriller, der einen mitnimmt und aufzeigt, daß es hier in diesem Prozeß nicht um Kleinigkeiten, sondern die humane Standortbestimmung einer Gesellschaft geht, die sich demokratisch nennt und einen Neuanfang wagt. Dieses Drehen, daß aus dem Unverständnis und dem erst mangelnden Engagement des Verteidigers ein wirklicher Strafprozeß wird, der Recht und Gerechtigkeit ins Eins bringt, verkörpert sowohl Elyas M‘Barek als Anwalt wie auch sein juristischer Gegenspieler, dem zunehmend die Luft ausgeht, eindrucksvoll. Leider wirken die Gerichtsszenen so, wie aus den Fernsehfilmen mit Richtern oder amerikanischen reportagehaftem Getue bekannt.

Aber die Gerichtsszenen erfüllen ihren Zweck, geben den sachlichen Hintergrund für das, was ja als menschliches Versagen fast der ganzen älteren Elite der jungen Bundesrepublik anhaftete.

Wir haben uns gefragt, wie man die grundsätzliche Problematik, die juristisch den Hintergrund gibt, daß nämlich der Täter zuvor auf legalem Weg, dem Gerichtsweg, die Ermordung seiner Schwester hat sühnen wollen, wegen des „Dreher“-Gesetzes keine Verurteilung, sondern sogar den Freispruch erdulden mußte, wie man diesen juristischen Hintergrund in den Film verständlicher hätte einbauen können. Hätte man, anders als im Buch, als historische Rückschau das Gesetzgebungsverfahren bringen können? Sicher schwierig. Aber, daß man im Buch schon beim Lesen zum eigenen Verständnis hinten nachblättern kann, das ist eben nicht dasselbe, wie wenn man nach einem Film im Nachspann dies erklärt bekommt. Da sind Buchleser im Vorteil. Lesen Sie also!

Foto:
CASPAR LEINEN (Elyas M‘Barek), im Hintergrund RICHARD MATTINGER (Heiner Lauterbach)
© Constantinverleih

Info:
BESETZUNG

CASPAR LEINEN ....................Elyas M‘Barek
JOHANNA MEYER                  Alexandra Maria Lara
RICHARD MATTINGER ...........Heiner Lauterbach
HANS MEYER..........................Manfred Zapatka
JEAN-BAPTISTE MEYER.........Jannis Niewöhner
OBERSTAATSANWALT REIMERS .....Rainer Bock
VORSITZENDE RICHTERIN ...............Catrin Striebeck
NINA...........................................         Pia Stutzenstein
BERNHARD LEINEN...........................Peter Prager
AICKE .................................................Hannes Wegener

UND FRANCO NERO als Fabrizio Collini