Portrat Rainer Bock c Stefan Klueter1Serie: "ATLAS" 2/8 - das Vater-Sohn-Drama im Handlanger-Milieu der Gentrifizierung - mit Rainer Bock, Albrecht Schuch, Thorsten Merten u.a./ Regie: David Nawrath 

Elke Eich

Berlin (Weltexpresso) - In seiner Rolle des Möbelschleppers Walter feuert Rainer Bock die ohnehin schon große Begeisterung für ihn weiter an. Also, liebe Film- und Fernsehbranche, eine Bitte vorneweg: Seid klug und lasst diesen brillanten Schauspieler A) unbedingt mehr Hauptrollen spielen! und B) castet ihn unbedingt auch für komischen Rollen! Denn neben seinem nuancierten Spiel, mit dem er subtilste Regungen überzeugend vermitteln kann, sollte auch sein lässiger Humor filmisch unbedingt genutzt werden.  

 

Herr Bock, was hat sie gereizt, diese sehr körperliche Rolle des Möbelpackers zu spielen? Und wie kamen Sie an die Rolle?

Ich fand das Drehbuch grandios. Aber da waren Regieanweisungen drin wie – sinngemäß: „Sein Muskelspiel zeichnete sich unter seinem Hemd ab!“ Nach Blicken links und rechts an mir runter habe ich mich dann doch gefragt, wie die auf mich kamen. (schmunzelt) Das fand ich, ehrlich gesagt, absurd, weil ich mich als klassische Fehlbesetzung sah.

Andererseits habe ich mir gesagt: Egal! Ich will die kennen lernen! Vielleicht war ich deshalb auch so wahnsinnig entspannt beim Casting. Jedenfalls hatte ich dabei viel Spaß mit Roman Kanoni und Albrecht Schuch. (lacht) Verabschiedet habe ich mich danach aber nicht mit „Auf Wiedersehen!“ oder „Wann meldet Ihr euch?“, sondern mit „Tschüss! Es hat total Spaß gemacht!“. D.h., ich hatte das mehr oder weniger gleich abgehakt.

 

Und dann sollten doch Sie der Walter sein!

Zwei Wochen nach dem Casting rief mich David Nawrath (Anmerkung: der Regisseur) dann an und sagte den Satz, den jeder Schauspieler in seinem Leben mindestens einmal hören möchte: „Ich kann mir den Film ohne dich nicht mehr vorstellen!“ Das fand ich sehr rührend.

Aber auf meine Nachfrage hin kam dann der Haken: Ich müsste ein halbes bis dreiviertel Jahr ins Fitnessstudio gehen. Aber nicht, um später wie Arnold Schwarzenegger auszusehen, beruhigte er mich, als ich mein Alter einwarf. Es ginge einfach darum, oberkörpertechnisch ein bisschen zu beglaubigen, dass der Walter mal vor 40 Jahren richtig gestemmt hat, bzw. in diesem Beruf arbeitet, beruhigte mich David.

Ich glaube, das haben wir hingekriegt! Es war aber anstrengend und hat bei meinen alten Knochen am Anfang richtig weh getan.

 

Wie wurden Sie denn bei Ihren Fitnessbemühungen unterstützt?

Ich hatte einen wunderbaren Personal Trainer: Manni, mit dem ich bis heute noch befreundet bin! Er war sehr behutsam, sehr klug und sehr wissend darum, wie man die ganze Körperlichkeit eines älteren Mensch steuern muss. Und dann hat das Training sogar noch angefangen, Spaß zu machen. Das war so meine erste Begegnung mit dieser Figur des Walter.

 

Was hat sie inhaltlich an dieser Figur gereizt?

Inhaltlich hat mich natürlich zum einen diese Vater-Sohn-Geschichte wahnsinnig gereizt, denn ich bin selbst Vater eines Sohnes. Mich hat die Schuldfrage gereizt, die man ein Leben lang mit sich herumträgt. Nach dem Tod meiner Eltern habe ich lange und viel darüber nachgedacht, ob man die jemals eingelöst bekommt. Ob man jemals das letzte, klärende Gespräch führt. Ob man entschuldet wird, oder ob man damit weiterleben muss.

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Walter kriegt ja im Film noch mal die Chance, sich neu zu entscheiden, als er seinen „verlorenen“ Sohn trifft: Entweder sagt er: „Nein, darauf lasse ich mich nicht ein!“, weil er sich schon 30 Jahre lang aus allem rausgehalten hat und dabei bleiben will. Oder er sagt: "Ja, ich mische mich ein!“, womit er Zivilcourage zeigt.

Zivilcourage ist ja erst dann wirklich Zivilcourage, wenn sie einen etwas kostet. D.h., wenn die Zivilcourage für einen selbst nachträglich sein kann. Und genau dieses Risiko nimmt Walter, zwar erst mal Stück für Stück, aber immer mehr in Kauf. Bis zu dem, was wir dann am Ende sehen.

Diese drei Bereiche - Vater-Sohn-Geschichte, Schuldfrage und Zivilcourage - fand ich schon beim ersten Lesen sehr faszinierend.

 

Ist Ihre Figur eigentlich ungewollt ein einsamer Wolf?

Walter ist ein einsamer Wolf wider Willen, natürlich! Er hat einmal in seinem Leben die Kontrolle verloren, als er diese beiden Polizisten krankenhausreif geschlagen hat. (Anmerkung: Walter hatte mit einem unerlaubten Tagesausflug mit seinem kleinen Sohn gegen das Kontaktverbot verstoßen und fühlte sich von der bei der Mutter wartenden Polizei vor ihm gedemütigt.)

Nun ist Walter ja kein Intellektueller, der sagen kann: „Ich habe einen guten Anwalt und stelle mich!“ Sondern, er bekam damals Panik. Und dann war da dieser Speditionsbesitzer, der sagte: „So einen Typen wie dich kann ich gebrauchen bei mir! Pass mal auf: Du bekommst neue Papiere, eine neue Identität und eine kleine Wohnung...“ Das mag man anzweifeln oder nicht. Aber das ist mir, ehrlich gesagt, wurscht: Das ist eine Setzung!

So hat er die letzten 30 Jahre sehr zurückgezogen gelebt, was sicher seinem Charakter entspricht, aber eben auch der Situation geschuldet ist, in die er sich selber gebracht hat. Die gesamte Situation hat sich bei Walter so verhärtet, und er hat sich sein Leben danach eingerichtet: immer in der Angst, doch noch mal irgendwie wieder aus dieser Spur raus zu geraten. Es gibt auch keinen Hinweis auf eine Beziehung, dass es in seinem Leben eine Frau gäbe oder so.

Walter lebt in diesem Winz-Kosmos seiner selbst gewählten Isolation.

Es gibt einen kurzen Moment im Film, wo er bei der Polizei aussagen soll und meint, da nicht hingehen zu können, wegen der alten Sache. Und sein Chef beschwichtigt ihn: „Mensch, Alter, das ist doch längst verjährt.“

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Das kommt ja einer massiven Selbstbestrafung gleich!

Was haben Sie von dieser Rolle, die ja nicht dem entspricht, wie Sie als Mensch real sind, für sich mit in ihr Leben genommen? Oder hat Ihr Frau Sie angespornt (lachend) und so was gesagt, wie: "Mensch Rainer, macht das doch! Vielleicht wirst du dadurch noch mal wieder so richtig fit!"

Also, meiner Frau ist grundsätzlich sehr daran gelegen, dass ich gesund bin.

 

Vielleicht hat sich Ihre Frau ja zusätzlich auch gewünscht, dass sie noch mal ein Sixpack haben.

Nicht, dass meine Frau mein leichtes Übergewicht liebt, aber ich glaube, ein Sixpack ist kein Kriterium. Was ich äußerlich von der Rolle mitgenommen habe: Sport tut mir wirklich auch in dieser Art richtig gut! Ich habe zwar immer Sport gemacht, aber das waren immer so Schläger- oder Ballsportarten. Da kann ich mich auch so verausgaben, dass ich auf allen Vieren aus der Halle oder vom Platz krieche. Aber diese Art von Sport in einem Fitnessstudio war mir fremd.

Ich schätze es sehr, wenn einem geliebte Vorurteile oder Klischees, die man so in der Birne hat, um die Ohren gehauen werden. Dass ich hinterher dann dastehe und sage: Ach guck! Das finde ich wirklich immer toll. Und speziell Manni, der ja aus dieser Fitness-Szene kommt, war so ein Beispiel dafür.

Ich dachte ja, da kommt bestimmt so einer, der nur Kilos stemmen kann und mich jetzt volllabert. Und dann kam da aber ein sehr kluger und zurückhaltender, dabei auch sehr kräftiger und starker Mann. Einer, der z.B. in Familien mit übergewichtigen Kindern reingeht und denen gesundheitsbewusstes Kochen beibringt, der als DJ Platten auflegt und mit seiner Frau privat eine kleine Reinigungsfirma betreibt.

Zusätzlich unterstützt Manni auch noch eine Stiftung, die Wohnungen und Zimmer für Eltern bereitstellt, deren Kinder lange Zeit im Krankenhaus verbringen, wenn ihnen dort keine entsprechenden Elternzimmer angeboten werden können. Es ist ja schon eine tolle Sache, von so einem Menschen, sich dafür zu engagieren. Im Verlauf des Trainings stellte sich jedes Mal wieder auf’s Neue so ein Aktivität von ihm raus. So, dass ich ihn auch mal gefragt habe: „Sag mal, Manni, wann schläfst du eigentlich?“

Und ich war für Manni aber auch so ein totaler Exot. Sowas wie mich hatte er jedenfalls in seiner Laufbahn noch nicht. Es war wirklich eine wunderbare Begegnung, bis heute. Und, wie bereits gesagt, wir sind auch befreundet.

 

Und was hat die Rolle an sich mit Ihnen gemacht?

Wie vorhin bereits gesagt: Die Rolle hatte ja schon auch eine Schnittmenge mit meinem eigenen, privaten Leben. Alleine die Beschäftigung mit dieser Schuldfrage, und dann auch dieses Verdrängen von Schuld und das Zulassen, sich dem nochmal neu zu stellen. Vielleicht hat man ja auch gar keine Schuld und hat sich umsonst Sorgen gemacht. Oder es ist nie zu einer Form der Auseinandersetzung gekommen, und jetzt besteht nochmal die Chance dazu.

Das Ende des Films ist ja fast ein Kliff-Hänger! Vielleicht machen wir noch einen zweiten Teil... (lacht)... und gucken mal, was auch dieser Vater-Sohn-Geschichte wird.

Auch von diesen sehr stark intellektuellen Figuren wegzukommen, die man mir oft zugewiesen hat, war gut für mich. Mich stattdessen mal einem in seiner Denk- und Lebensweise etwas einfacheren Menschen anzunähern, und das, ohne ihn in irgendeiner Weise zu karikieren oder zu verraten. Den Walter wirklich geliebt zu haben und mit seinen Schwächen dann als Schauspieler auch so umzugehen, wie man es hoffentlich im Film auch sieht. Das war eine ganz tolle Aufgabe. Und das bereichert einen immer, erst recht, wenn es einem unter Umständen gelungen ist.

 

Es IST ihnen SEHR GUT gelungen, Herr Bock!

Danke. Das sollte aber jetzt nicht „Fishing for Compliments“ sein. Ich bleibe ja ein ewiger Zweifler, aber ich glaube in dem Fall auch, dass es geklappt hat! (lacht herzlich)

 

FORTSETZUNG: 
Serie: "ATLAS" 3/8 - 8/8 - Interviews mit Hauptdarsteller Rainer Bock  UND  Regisseur David Nawrath
Fortsetzung des Interviews mit Rainer Bock / "ATLAS" 3/8:  https://weltexpresso.de/index.php/kino
view=form&layout=edit&a_id=15913&catid=79&return=aHR0cHM6Ly93ZWx0ZXhwcmVzc28uZGUv

 

FOTO CREDITS:

1)  Porträt Rainer Bock
© Stefan Kueter

2) WALTER (Rainer Bock)
© 235 Film, Tobias von dem Borne

3) ROLAND GRONE (Uwe Preuss), Walters Chef, und WALTER (Rainer Bock)
© 235 Film, Tobias von dem Borne


FILM CREDITS:

ATLAS
100 Minuten
FSK-Freigabe "Freigegeben ab zwölf Jahren"
Regie
David Nawrath
Darsteller
Rainer Bock (Jan), Albrecht Schuch (Jan), Thorsten Merten (Alfred), Uwe Preuss (Roland),
Roman Kanonik (Moussa), Nina Gummich (Julia)
Drehbuch
David Nawrath, Paul Salisbury
Musik
Enis Rotthoff
Kamera
Tobias von dem Borne
Schnitt
Stefan Oliveira-Pita
Casting
Silke Koch
Produktion
23/5 Film - Britta Knöller, Hans-Christian Schmid
Verleih
Pandora Film