Redaktion
Berlin (Weltexpresso) - Was waren Ihre Gedanken, als Sie auf NUR EINE FRAU angesprochen wurden?
Wie unglaublich und beeindruckend die Geschichte Aynurs ist – man muss sich das einfach immer wieder vor Augen führen: Ein junges Mädchen aus Kreuzberg, das auf’s Gymnasium geht, mit 15 nach Istanbul geschickt wird, um den Cousin zu heiraten, schwanger zurück kommt und quasi eingesperrt wird – und sich dann gegen die Traditionen ihrer Familie stellt und sich aus eigenen Stücken ein Leben aufbaut, so wie sie es will: sich eine eigene Wohnung sucht, den Abschluss nachholt, einen Beruf erlernt, den zu dieser Zeit meist nur Männer ergreifen, zu alledem ein Kind großzieht.
Dieser unglaubliche Wille, sich nicht vorschreiben zu lassen, wie sie zu leben hat. Unabhängig von Aynurs persönlicher Geschichte hat mich schon immer der Gedanke fasziniert, dass man auf der Straße zwischen vielen Menschen verschiedenster Kulturen entlang geht und gar nicht weiß, was sie erlebt haben oder was passiert, nachdem sie im Hauseingang verschwinden. Wir leben alle unter einem Himmel, und es bewegt mich sehr, dass diese Werte, an denen Menschen wie die von Aynurs Familie sich orientieren, heute und mitten in Berlin gelebt werden.
Ähnlich wie bei Wüstenblume kann man sich eigentlich kaum vorstellen, dass derartige Wertevorstellungen in der heutigen Zeit noch so brachial umgesetzt werden. Was mich daran gereizt hat war, das Psychogramm einer Familie aufzuzeigen, ohne zu werten. Ohne zu sagen ,Das sind die Bösen und das die Guten‘, sondern klar zu machen, dass diese Menschen einfach mit diesem Glauben groß geworden sind.
Wie würden Sie Aynur als Person beschreiben?
Da fallen mir sofort ihre Unbeirrbarkeit, ihr Mut und ihre immer wieder vorgeholte Lebensfreude ein. Wir wollten diesen unbändigen Willen in ihrem Kampf um Freisein und Selbstbestimmung und diese unglaubliche Kraft zeigen, die in einer Frau wie Aynur stecken, und die der Schlüssel für Veränderungen im Kleinen wie im Großen sein können.
Auffallend ist, dass Aynur selbst ihre Geschichte erzählt. Wie kamen Sie auf diese Idee?
Mitten in einer großen Drehbuchrunde – wir dachten plötzlich in der Auseinandersetzung: Aynur muss einfach für sich selbst sprechen, anders geht das gar nicht. Und sie darf dabei vor allem ihre ganz eigene Sichtweise einnehmen und Dinge sagen, die politisch unkorrekt sind. Und da sie tot ist, kann sie nur aus dem Off erzählen. Eine Erzählweise, die sich sehr von sonstigen Off-Texten absetzt, die ich bislang kannte. Nichts erklären, ihr eine Stimme geben. Man kann die Toten nicht vergessen.
Für dieses Konzept haben Sie wieder mit Florian Oeller zusammen gearbeitet. Wie hat sich die außergewöhnliche Erzählstruktur des Films entwickelt?
Florian Oeller hat ein Drehbuch geschrieben, das sich streng an die Gerichtsunterlagen hält. Man sollte denken, dass dies ein „trockener“ Ansatz ist – aber ganz im Gegenteil. Mich hat seit geraumer Zeit gereizt, eine Inszenierung zu finden, die dem Dokumentarischen sehr nahekommt – als wäre man mittendrin, so dass sich real existierende Aufnahmen nahtlos mit inszenierten Szenen vermengen, einen „dokumentarischen Spielfilm“ also. Und sich dabei einfühlen in diese junge Frau. Manchmal entstanden Bilder wie in der frühen Pop Art – welche Metaphern finden wir? Der Moment, als Aynur ihr Kopftuch ablegt: Judith Kaufmann und ich kreisten immer um dieses Thema, bis sie buchstäblich am Drehtag mit jener Idee kam, die im Film zu sehen ist – das Flackern.
Ungewöhnlich sind auch Stilelemente wie die Verwendung von Fotografien im Film. Zudem sind Bildkomposition und Erzählweise des Films sehr dynamisch.
Die Fotografie im Film – ich wollte das immer ausprobieren. Man sagt ja immer Film ist Bewegung – ich wollte zwischendurch innehalten, ohne dass man ein Freeze verwendet. Da kam Mathias Bothor ins Spiel – kann man mit Fotografie im Film eine Szene erzählen? Oder kontrastierend ein Foto in Szene setzen, für einen emotionalen Augenblick? Und im Gegensatz zur Fotografie die Kamera von Judith, dieses umarmende, schwebende, gehetzte, verweilende, je nach innerer Situation Aynurs. Deshalb war die Zusammenarbeit mit Bettina Böhler auch eine ganz bewusste Entscheidung. Da, wo ich manchmal zu verspielt bin, ist sie eine von mir sehr geschätzte, strenge Editorin.
Generell muss ich sagen, dass wir ein großartiges Team hatten, das in jeder Position mit wunderbaren Menschen ihres Fachs besetzt war. Sie alle haben sich wegen des Themas Zeit genommen für diesen Film.
Ein wichtiger Faktor für die Dynamik und Authentizität war sicher auch das Drehen an Originalschauplätzen. Bei diesem Film wahrscheinlich keine einfache Aufgabe?
Der Anfang des Films zeigt jene Orte, an denen sich Aynur immer gern aufgehalten hat, die Cafés um den Oranienplatz wie z.B. „Die rote Harfe”. Wir haben in ihrem Wohnblock an der Bacharacher Straße gedreht, am Kottbusser Tor, an der Haltestelle, wo ihr das Leben genommen wurde. Es war ein Kunststück von Sandra, dass wir sogar in der Moschee drehen durften. Aber generell war es nicht so, dass man uns die Türen aufgehalten hat bei diesem Film. Es war eher eine Vorsicht, eine Neugier, die uns entgegengebracht wurde, gerade auch in der türkischen Community. Was sicherlich auch daran lag, dass sehr viele Frauen an diesen Dreharbeiten beteiligt waren – Produzentin, Regisseurin, Kamerafrau, Hauptdarstellerin –, und dass wir thematisch nicht eine Kultgeschichte wie 4 Blocks gedreht haben, sondern es um Ehrenmord ging – ein Begriff, den ich übrigens schwierig finde –, ein Thema, das alle kennen und über das heute noch alle reden. Aber das Vertrauen wuchs im Laufe der Dreharbeiten, und am Schluss hat mir ein Security-Mann mit türkischem Background sogar ein Geschenk überreicht.
Die Authentizität des Films ist aber nicht nur den Drehorten geschuldet.
Absolut, auch und vor allem unsere großartigen Schauspieler tragen dazu bei, viele von ihnen haben auch einen direkten Bezug zum Thema. So ist zum Beispiel Almila Bagriacik in Berlin-Kreuzberg groß geworden, gleich um die Ecke von Aynurs Kiez. Und Mehmet Atesci, der den Sinan spielt, kennt Aynurs Gymnasium sehr gut.
Wie fiel die Wahl der „Aynur“ auf Almila Bagriacik?
Ausschlaggebend war, dass Almila einfach eine unglaublich leidenschaftliche, lebensbejahende, tiefe und auch melancholische Person ist. Sie ist wie ein Kaleidoskop, war sofort Feuer und Flamme für die Rolle und hat das Thema in sich aufgesogen. Wie im Übrigen jeder einzelne Schauspieler in unserem Film. Es ist ein Geschenk für einen Regisseur, wenn so intensiv am Set gearbeitet und diskutiert wird. Das zeigt sich auch in der Differenziertheit des Spiels. Aynurs Schicksal und das der Personen, die in ihrem kurzen Leben eine Rolle gespielt haben, lässt niemanden unbewegt. Schon gar nicht, wenn man so tief darin eintaucht, wie unsere Schauspieler es getan haben. Alle sind an ihre Grenzen gegangen. Es ist einfach ein Unterschied, wenn man weiß, dass die Dinge genau so passiert sind – zudem am selben Ort und derselben Stelle.
Eine besondere Herausforderung gab es zudem für die Darsteller der Brüder.
Richtig, denn ebenso wichtig war, die Täter bei all dem auch noch Mensch werden zu lassen. Jeden von ihnen zu verstehen. Nachvollziehen zu können, wie es passieren kann, dass ein junger Mann, den man zu Beginn des Films als netten kleinen Bruder wahrnimmt, Jahre später seiner Schwester eine Waffe ins Gesicht hält und abdrückt. Auch wenn Aynurs Leben so früh endete, setzt NUR EINE FRAU keinen Schlusspunkt, sondern lässt Raum für Diskussionen und - bei aller Tragik - auch für Optimismus. Das war uns ganz wichtig. NUR EINE FRAU ist ein Film über eine junge Frau mit einem ungeheuren Lebenshunger, die in ihrem Kampf um Freiheit und Selbstbestimmung so unbeirrt und offen ehrlich ist – auch in ihrem inneren Konflikt die Familie zu lieben, die sie verstößt –, dass man nur staunen kann. Das zu zeigen, so wie auch die vielen Menschen an ihrer Seite, die Aynur unterstützt haben, ohne die sie nie so weit gekommen wäre – das bleibt.
Was ist Ihr Wunsch für den Film?
Reden, fühlen, nicht vergessen. Sich öffnen für das Unsagbare.
Foto:
Im Ausbildungsberuf
© Verleih
Info:
Die Darstellerinnen und Darsteller
Almila Bagriacik – Aynur
Rauand Taleb – Nuri
Meral Perin – Deniya
Mürtüz Yolcu – Rohat
Armin Wahedi – Aram .
Aram Arami – Tarik
Merve Aksoy – Shirin
Mehmet Atesci – Sinan
Jacob Matschenz – Tim
Lara Aylin Winkler – Evin
Idil Üner – Dilber
Abdruck aus dem Presseheft
Ähnlich wie bei Wüstenblume kann man sich eigentlich kaum vorstellen, dass derartige Wertevorstellungen in der heutigen Zeit noch so brachial umgesetzt werden. Was mich daran gereizt hat war, das Psychogramm einer Familie aufzuzeigen, ohne zu werten. Ohne zu sagen ,Das sind die Bösen und das die Guten‘, sondern klar zu machen, dass diese Menschen einfach mit diesem Glauben groß geworden sind.
Wie würden Sie Aynur als Person beschreiben?
Da fallen mir sofort ihre Unbeirrbarkeit, ihr Mut und ihre immer wieder vorgeholte Lebensfreude ein. Wir wollten diesen unbändigen Willen in ihrem Kampf um Freisein und Selbstbestimmung und diese unglaubliche Kraft zeigen, die in einer Frau wie Aynur stecken, und die der Schlüssel für Veränderungen im Kleinen wie im Großen sein können.
Auffallend ist, dass Aynur selbst ihre Geschichte erzählt. Wie kamen Sie auf diese Idee?
Mitten in einer großen Drehbuchrunde – wir dachten plötzlich in der Auseinandersetzung: Aynur muss einfach für sich selbst sprechen, anders geht das gar nicht. Und sie darf dabei vor allem ihre ganz eigene Sichtweise einnehmen und Dinge sagen, die politisch unkorrekt sind. Und da sie tot ist, kann sie nur aus dem Off erzählen. Eine Erzählweise, die sich sehr von sonstigen Off-Texten absetzt, die ich bislang kannte. Nichts erklären, ihr eine Stimme geben. Man kann die Toten nicht vergessen.
Für dieses Konzept haben Sie wieder mit Florian Oeller zusammen gearbeitet. Wie hat sich die außergewöhnliche Erzählstruktur des Films entwickelt?
Florian Oeller hat ein Drehbuch geschrieben, das sich streng an die Gerichtsunterlagen hält. Man sollte denken, dass dies ein „trockener“ Ansatz ist – aber ganz im Gegenteil. Mich hat seit geraumer Zeit gereizt, eine Inszenierung zu finden, die dem Dokumentarischen sehr nahekommt – als wäre man mittendrin, so dass sich real existierende Aufnahmen nahtlos mit inszenierten Szenen vermengen, einen „dokumentarischen Spielfilm“ also. Und sich dabei einfühlen in diese junge Frau. Manchmal entstanden Bilder wie in der frühen Pop Art – welche Metaphern finden wir? Der Moment, als Aynur ihr Kopftuch ablegt: Judith Kaufmann und ich kreisten immer um dieses Thema, bis sie buchstäblich am Drehtag mit jener Idee kam, die im Film zu sehen ist – das Flackern.
Ungewöhnlich sind auch Stilelemente wie die Verwendung von Fotografien im Film. Zudem sind Bildkomposition und Erzählweise des Films sehr dynamisch.
Die Fotografie im Film – ich wollte das immer ausprobieren. Man sagt ja immer Film ist Bewegung – ich wollte zwischendurch innehalten, ohne dass man ein Freeze verwendet. Da kam Mathias Bothor ins Spiel – kann man mit Fotografie im Film eine Szene erzählen? Oder kontrastierend ein Foto in Szene setzen, für einen emotionalen Augenblick? Und im Gegensatz zur Fotografie die Kamera von Judith, dieses umarmende, schwebende, gehetzte, verweilende, je nach innerer Situation Aynurs. Deshalb war die Zusammenarbeit mit Bettina Böhler auch eine ganz bewusste Entscheidung. Da, wo ich manchmal zu verspielt bin, ist sie eine von mir sehr geschätzte, strenge Editorin.
Generell muss ich sagen, dass wir ein großartiges Team hatten, das in jeder Position mit wunderbaren Menschen ihres Fachs besetzt war. Sie alle haben sich wegen des Themas Zeit genommen für diesen Film.
Ein wichtiger Faktor für die Dynamik und Authentizität war sicher auch das Drehen an Originalschauplätzen. Bei diesem Film wahrscheinlich keine einfache Aufgabe?
Der Anfang des Films zeigt jene Orte, an denen sich Aynur immer gern aufgehalten hat, die Cafés um den Oranienplatz wie z.B. „Die rote Harfe”. Wir haben in ihrem Wohnblock an der Bacharacher Straße gedreht, am Kottbusser Tor, an der Haltestelle, wo ihr das Leben genommen wurde. Es war ein Kunststück von Sandra, dass wir sogar in der Moschee drehen durften. Aber generell war es nicht so, dass man uns die Türen aufgehalten hat bei diesem Film. Es war eher eine Vorsicht, eine Neugier, die uns entgegengebracht wurde, gerade auch in der türkischen Community. Was sicherlich auch daran lag, dass sehr viele Frauen an diesen Dreharbeiten beteiligt waren – Produzentin, Regisseurin, Kamerafrau, Hauptdarstellerin –, und dass wir thematisch nicht eine Kultgeschichte wie 4 Blocks gedreht haben, sondern es um Ehrenmord ging – ein Begriff, den ich übrigens schwierig finde –, ein Thema, das alle kennen und über das heute noch alle reden. Aber das Vertrauen wuchs im Laufe der Dreharbeiten, und am Schluss hat mir ein Security-Mann mit türkischem Background sogar ein Geschenk überreicht.
Die Authentizität des Films ist aber nicht nur den Drehorten geschuldet.
Absolut, auch und vor allem unsere großartigen Schauspieler tragen dazu bei, viele von ihnen haben auch einen direkten Bezug zum Thema. So ist zum Beispiel Almila Bagriacik in Berlin-Kreuzberg groß geworden, gleich um die Ecke von Aynurs Kiez. Und Mehmet Atesci, der den Sinan spielt, kennt Aynurs Gymnasium sehr gut.
Wie fiel die Wahl der „Aynur“ auf Almila Bagriacik?
Ausschlaggebend war, dass Almila einfach eine unglaublich leidenschaftliche, lebensbejahende, tiefe und auch melancholische Person ist. Sie ist wie ein Kaleidoskop, war sofort Feuer und Flamme für die Rolle und hat das Thema in sich aufgesogen. Wie im Übrigen jeder einzelne Schauspieler in unserem Film. Es ist ein Geschenk für einen Regisseur, wenn so intensiv am Set gearbeitet und diskutiert wird. Das zeigt sich auch in der Differenziertheit des Spiels. Aynurs Schicksal und das der Personen, die in ihrem kurzen Leben eine Rolle gespielt haben, lässt niemanden unbewegt. Schon gar nicht, wenn man so tief darin eintaucht, wie unsere Schauspieler es getan haben. Alle sind an ihre Grenzen gegangen. Es ist einfach ein Unterschied, wenn man weiß, dass die Dinge genau so passiert sind – zudem am selben Ort und derselben Stelle.
Eine besondere Herausforderung gab es zudem für die Darsteller der Brüder.
Richtig, denn ebenso wichtig war, die Täter bei all dem auch noch Mensch werden zu lassen. Jeden von ihnen zu verstehen. Nachvollziehen zu können, wie es passieren kann, dass ein junger Mann, den man zu Beginn des Films als netten kleinen Bruder wahrnimmt, Jahre später seiner Schwester eine Waffe ins Gesicht hält und abdrückt. Auch wenn Aynurs Leben so früh endete, setzt NUR EINE FRAU keinen Schlusspunkt, sondern lässt Raum für Diskussionen und - bei aller Tragik - auch für Optimismus. Das war uns ganz wichtig. NUR EINE FRAU ist ein Film über eine junge Frau mit einem ungeheuren Lebenshunger, die in ihrem Kampf um Freiheit und Selbstbestimmung so unbeirrt und offen ehrlich ist – auch in ihrem inneren Konflikt die Familie zu lieben, die sie verstößt –, dass man nur staunen kann. Das zu zeigen, so wie auch die vielen Menschen an ihrer Seite, die Aynur unterstützt haben, ohne die sie nie so weit gekommen wäre – das bleibt.
Was ist Ihr Wunsch für den Film?
Reden, fühlen, nicht vergessen. Sich öffnen für das Unsagbare.
Foto:
Im Ausbildungsberuf
© Verleih
Info:
Die Darstellerinnen und Darsteller
Almila Bagriacik – Aynur
Rauand Taleb – Nuri
Meral Perin – Deniya
Mürtüz Yolcu – Rohat
Armin Wahedi – Aram .
Aram Arami – Tarik
Merve Aksoy – Shirin
Mehmet Atesci – Sinan
Jacob Matschenz – Tim
Lara Aylin Winkler – Evin
Idil Üner – Dilber
Abdruck aus dem Presseheft