Bildschirmfoto 2019 07 10 um 01.12.02Nachtrag:  Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 27. Juni 2019,   Teil 13

Susanne Heinrich

Berlin  (Weltexpresso) - DAS MELANCHOLISCHE MÄDCHEN ist aus einem tiefen Unbehagen in dieser Gesellschaft entstanden. Ich war Mitte 20, hatte eine Karriere als Schriftstellerin und eine Ehe hinter mir und litt unter einer Depression. Warum konnte ich nicht einfach glücklich sein? Ich war doch frei und gleichberechtigt, ich hatte doch alle Möglichkeiten, oder? Wenn ich aber selbst für mein Glück verantwortlich war, mein Unglück also meine Schuld war, warum ging es so vielen jungen, talentierten, intelligenten Frauen um mich herum genauso?

Eine Freundin stiftete mich im Urlaub dazu an, ein Buch von Eva Illouz anzufangen. Dort las ich vom »emotionalen Kapitalismus«, in dem sich die emotionale und die ökonomische Sphäre gegenseitig durchdringen. Bei Byung-Chul Han ging es um den »Unternehmer seiner selbst«, der sein optimiertes Selbst auf dem »Markt der Romantik« feilbietet. Diese Bücher zu lesen war eine Offenbarung. Es war, als würde ich eine neue Sprache lernen, um mein Unbehagen zu lokalisieren und anders zu interpretieren als vorher. Ich begann, individuelle Krisen nicht mehr als persönliches Versagen zu betrachten, sondern als gesellschaftliche Pathologien, die von Subjekten ausgetragen werden. Der Moment, in dem es mir möglich wurde, einen distanzierten Blick auf mein eigenes Leiden zu werfen und das Typische, Modellhafte daran zu erkennen, war der Moment, in dem ich den Humor entdeckte. Plötzlich war da eine ganz neue literarische Stimme jenseits der Innerlichkeit meiner Prosa, mit der ich vor Jahren in eine Sackgasse geraten war.

Tatsächlich habe ich durch die Arbeit am »melancholischen Mädchen« selbst aufgehört, eins zu sein. Der Schlüssel war Entpsychologisierung. Statt überall einzigartige, individuelle Stories zu sehen wurde ich aufmerksam für Strukturen. Unsere oft so alternativlos erscheinenden neoliberale Verhältnisse kamen mir auf einmal wie eine absurde Möglichkeit unter vielen vor – und damit veränderbar. Wenn der Film es schafft, dieses Unbehagen, von dem ich sicher bin, dass viele es teilen, produktiv zu machen, bin ich – naja, happy.

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© Verleih

Info:
DAS MELANCHOLISCHE MÄDCHEN
ein Film von Susanne Heinrich
DE/FR/DK 2019, 80 Minuten, deutsche OF mit englischen UT
mit Marie Rathscheck