Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 8. August 2019, Teil 10
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Heute kennen wir immer wieder Fälle aus den Internetliebesanknüpfungsportalen, wo sich die, die sich anderen als potentielle Liebespartner anbieten, aber nicht attraktiv genug finden, ein beliebiges Foto, aber eben das eines sehr gut Aussehenden, aus dem Internet nutzen und als eigenes ausgeben Und immer wieder verwenden junge Menschen, von denen ihre Familien eine baldige Heirat erwarten, irgendwelche Fotos von attraktiven Partnern, die nur ein Übel haben, daß sie nicht ihre sind und von dem Missbrauch ihrer Fotos nichts ahnden.
Von daher ist die Ausgangssituation in PHOTOGRAPH erst einmal nichts besonderes. Wie aber hier eine Liebesanbahnungsgeschichte erzählt wird, ist so subtil, so warmherzig und auch immer wieder überraschend, daß wir beglückt aus dem Kino gegangen sind, wohl schon deshalb, weil wir uns gar nichts versprochen hatten. Das mal vorneweg. Diesen Film anzuschauen, lohnt! Das muß einen nicht wundern, wenn man den Weg des indischen Regisseurs Ritesh Batra verfolgt hat. Mit LUNCHBOX, auch einer verhaltenen Liebesgeschichte in Mumbai, wo einem die Bilder vom gemeinsamen Essen noch heute vor Augen stehen, hatte er 2013 einen solchen Erfolg, daß er zweimal in Hollywood auftrumpfte, nun aber wieder Indien auf der Leinwand einfangen darf mit dem für Bollywood typischen Thema der Liebe, möglichst unmöglichen Liebe, weil einer zwischen den sozialen Klassen. Das Tolle an diesem Film ist, daß er diese Liebesgeschichte aber eben nicht bollywoodgemäß erzählt, sondern wie aus einer anderen Welt, wo Menschen lernen, zu sich selbst zu finden und nach sich selbst zu handeln.
Rafi (Nawazuddin Siddiqui) steht mit seiner Kameraausrüstung jeden Tag vor dem Monument, dem „Gateway of India“, und knipst viele aus dem unaufhörlichen Strom der Touristen, in der Hoffnung, daß diese ihm die Bilder abkaufen, was auch geschieht. Er ist bettelarm. Rafi braucht das Geld, denn nur um des Verdienens willen ist er in die Hauptstadt gekommen und schickt fast das ganze Einkommen nach Hause zu seiner Großmutter. Die nun wiederum sorgt sich um ihn und sein Leben und wünscht sich eine Frau für ihn. Wie viele Mütter und Großmütter liegt sie ihm mit einer baldigen Ehefrau in den Ohren. Schlimmer, sie nimmt ihre Medikamente, für die er ihr das viele Geld schickt, nicht mehr ein. So lange nicht, bis er heiratet.
Der Film beginnt mit Miloni (Sanya Malhotra), die an der Touristenfalle, dem Gateway of India auf dem Schulweg vorbeikommt, eigentlich gar kein Foto von sich will, aber sich vom wendigen und sympathischen Rafi aufnehmen läßt, ihn aber mit den Aufnahmen alleine läßt, denn sie ist mit einem der Touristenströme verschwunden. Miloni ist die Superschülerin einer Wirtschaftsprüferschule, die immer alles richtig machen will und nicht so ganz weiß, was wie überhaupt auf der Welt will. Denn die Familie aus der gutsituierten Mittelschicht erwartet den besten Abschluß, damit die Investition in die Tochter sich gelohnt hat. Denn nicht die zukünftige Stelle wird wichtig sein, sondern die Ehe nach oben, die eine gute Ausbildung fördert.
Die Sache nimmt Fahrt auf, als die Großmutter ankündigt, Rafi in der Stadt besuchen zu wollen. Sie freut sich, die junge Verlobte von Rafi kennenzulernen, die ihr auf dem Foto so gefällt. Und wie gesagt: sonst nimmt sie keine Medikamente mehr ein. Rafi nimmt sein Schicksal in die Hände, findet Miloni und traut sich, sich mit ihr zu verabreden und ihr die ganze Geschichte zu erzählen. Dazwischen lernen wir den Druck kennen, unter dem Miloni lebt. Sie soll nicht nur die beste Studentin werden – die Besten werden über Plakate und TV ins Land gestreut -, sondern auch einen ‚Besten‘ heiraten. Einer von ihnen wird ihr im familiären Kreis vorgestellt und sie muß sich mit ihm treffen und erfährt von ihrer optimalen Zukunft an dessen Seite, die in die USA führt, wo er eine gutbezahlte Stelle bekam.
Stattdessen hilft sie Rafi, der Großmutter ihre Liaison vorzuspielen, die natürlich in einer Heirat enden soll. Wir erleben nicht nur das schüchterne sich Annähern von zwei, die nicht zu den Eroberern der Welt gehören, sondern eben auch, was passiert, wenn man Klassenschranken dieser indischen Gesellschaft ignoriert. Die Zwei wachsen also gleich zweimal aus ihren lebenslang gesponnenen Kokon heraus. Das ist übrigens auch wunderbar verhalten gespielt. Unsere eigenen Phantasien sind es, die wir dazugeben, um aus einem Leben in Schranken eines zu machen, daß die Menschen sich selbst gegenüber verantworten.
Und noch kein Wort zu der Großmutter und den vielen Mitspielern, die den Film rund machen. Natürlich entstehen aus der Situation, daß Miloni die Verlobte ja nur vorspielt, jede Menge von Verwicklungen, der Film ist also auch noch komisch und immer wieder zum Lachen. Aber insgesamt ist dem Lachen eben auch das potentielle Weinen unterlegt und das ist es, weshalb man berührt das Kino verläßt. Ach, wenn doch die Zuschauer wüßten, was ihnen entgeht, wenn sie diesen Film nicht ansehen.
Foto:
© Verleih
Info:
Besetzung
Rafi Nawazuddin Siddiqui
Miloni Sanya Malhotra
Dadi Farrukh Jaffar
Amjad Abdul Quadir Amin
Tiwari’s Geist Vijay Raaz
Straßenverkäufer Virendra Sa xena
Rampyaari Geetanjali Kulkarni
Anmol Sir Jim Sarbh
Banke Akash Sinha