Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 5. September 2019, Teil 3
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Auffällig, daß – endlich! - gehäuft Filme über die beiderseitige deutsche Vergangenheit der Nachkriegszeit in die Kinos kommen. Abgesehen davon, daß jede nachwachsende Generation so auch sinnlich mehr über die damaligen Lebensverhältnisse erfährt, als es Fotos und auch Erzählungen vermitteln können, ist es zugleich auch ein Spiegel für Ost und West.
Diesmal geht es um West. Um die BRD im Jahr 1983. Man kann ja gar nicht oft genug betonen, daß für die, die das miterlebten, die Jahrzehnte bis einschließlich die Neunziger Jahre noch sinnlich wahrnehmbar waren: wie man angezogen war, welche Frisur man trug, wie die Wohnungen aussahen, die Bäder (in den Siebzigern moosgrün und orange) wie man miteinander umging...Aber das bedeutet ja nie, daß alle Menschen sich so verhalten hatten. Es gab und gibt nicht nur soziale Unterschiede, nach wie vor eine obere Klasse und eine untere, sondern in den Achtzigerjahren war genauso entscheidend und tatsächlich viel wichtiger als heute: die Generationenfrage. Schon allein der Filmtitel PETTING legt nahe, daß es um JUGEND geht. Und die Kombination mit PERSHING ist deshalb so wunderbar, weil in der Tat eine politisierte Jugend für die vernünftige Erwachsenenwelt ständig Alternativen vorlebte, die dieser absurd erschien, aber einen wesentlichen Protestkern hatte.
Das nur vorneweg, denn, auch wenn man dies und das am Film von Petra Lüschow kritisieren kann, ist es doch ein locker-flockiges Gewebe, das auf eher anrührend komische Art eine Zeit und eine Generation auferstehen läßt und nahebringt, die es gab! Noch einmal. Der Film hat einfach einen wahren Kern für ganz bestimmte Leute, die sich damals so wohlfühlten, wie noch nie in ihrem Leben und auch nie wieder, aber auch für Leute, die sich noch nie so fremd und in einer anderen Welt fühlten.
Wir sind im Jahr 1983. Die eigenwillige Ursula (Anna Hornstein) fühlt, daß da mehr sein muß, als das, was in ihrem hessischen Dorf angekommen ist. Es ist grau. Es ist Provinz. Und wo ist die Weiterentwicklung der Veränderung der Lebensumstände, die doch die 68er neben der politischen Revolution versprochen hatten? In der Tat ist es im Nachhinein die Kulturleistung der 68er, die politisch wenig verändern konnten, daß sie gesellschaftlich wirkten und Barrieren eines kleinbürgerlichen Sittenkodexes einrissen. Das war oft ein totaler Hauseinbruch, der dabei herauskam.
Ursula durchschaut die Lebenslügen der Erwachsenen, ihre Gleichaltrigen haben andere Sorgen und nehmen sie überhaupt nicht wahr, ja schließen sie aus, dabei möchte sie endlich auch ein richtiges Leben führen, eines mit Saft und Kraft. Letzteres hat sie nämlich, sie weiß nur nicht, wohin damit. Und dann das Schweigen. Ihre Familie schweigt über alles, was sie wirklich interessiert. Eben auch, was mit Opa ( Hermann Beyer) war, denn der ist genau in dem Alter, wo er das Dritte Reich nicht nur erlebte, sondern gestaltete. Was genau tat er damals. War er ein Nazi. Es sieht so aus. Aber wie schlimm war er als Nazi. Doch so was fragt man nicht. Und fragt man, kommt keine Antwort.
In diese düstere Lage kommt als Lichtstrahl ein Lehrer, der all das verkörpert, was junge sehnsuchtsvolle und gescheite Mädchen vom Leben und der Schule erwarten. Es ist der Bio-Lehrer Siegfried (an den Buchtitel von damals sollte man erinnern), dem Florian Stetter eine überzeugende Präsenz gibt. Ja, so waren sie, die jungen Lehrer, die einerseits glaubten, alles mitnehmen zu können, was an Verehrung, ja Anmache aus dem Kollegen- und Elternkreis sich ihnen beigesellen wollte, die aber andererseits als die bezeichnete Lichtgestalt wirklich stimulierend auf die Jugendlichen wirkten und in denen Schleusen öffneten, von denen diese Jungen und Mädchen gar nicht wußten, daß sie diese haben und war sich an Gefühlen ergießt, wenn das Tor offen ist.
Ursula ist hin und weg. Da ist einer, der ihren Geist beflügelt und ihr Handlungspotential, die Welt zu ändern, anspricht und gleichzeitig ist sie in ihn verschossen. Daß auch sämtliche andere weibliche Wesen potentiell die große Liebe des drängenden jungen Lehrers sind, nimmt sie später verärgert war. Was den Film liebenswert macht, sind die Mittel des jungen Mädchens, zu denen sie greift, als sie erkennt, daß nach den Gemeinheiten ihrer Gleichaltrigen – übrigens beim Zusehen ein großer Spaß, aber beim Hineinfühlen in Ursula eine tiefe Beschämung – sie erkennen muß, daß ihr verehrter Lehrer durch seine Ignoranz ihrer echten und tiefen Gefühle nicht minder ihr Feind wird. Und da gibt es nur Rache.
Hatten wir schon gesagt, daß Ursula ein schlaues Mädchen ist. Also ist ihre Rache auch eine ganz besondere und wir lachen mit ihr die ganze Welt aus.