Claire Vassé
Paris (Weltexpresso) - Wie haben Sie reagiert, als Sie das Drehbuch von MEIN LEBEN MIT AMANDA gelesen haben?
Es gibt selten ein Drehbuch, das durchgehend perfekt ist. Mikhaël aber schafft es, einen sehr subtilen Zugang zu finden und feinfühlig zu beschreiben, wie es ist, einen Menschen zu verlieren, den man liebt, und anschließend mit den Erinnerungen zu leben. Der Teufel steckt im Detail, z.B. als im Film Amanda David verbietet, die Zahnbürste ihrer Mutter wegzuwerfen. Mikhaël gelingt ein sensibles Portrait der Gefühle der beiden Protagonisten. Er reduziert Amanda nicht auf ein kleines Kind, sondern nimmt sie als vollwertige Person wahr. Er schafft es, sich in sie hineinzuversetzen, und hat ein ausgezeichnetes Gespür für die Gefühle anderer. Nachdem ich das Drehbuch gelesen hatte, habe ich DIESES SOMMERGEFÜHL und seine anderen Filme gesehen. Das überzeugte mich, an Bord zu gehen.
Die Melancholie seines letzten Films ist hier nun mit den Schwierigkeiten einer Gegenwart verknüpft, in der David sich um ein kleines Mädchen kümmern muss, und zwar tagtäglich.
Gerade das hat mir am Drehbuch so gut gefallen. Dieser junge Mann muss mit dem Verlust seiner Schwester klarkommen, während er sich gleichzeitig einer total neuen Lebenssituation stellen muss: Er trägt plötzlich die Verantwortung für ein kleines Mädchen, praktisch wie ein Vater. Damit hat er nicht gerechnet. Der Film handelt nicht nur von seinem Verlust, sondern auch wie dieser sein Leben verändert.
Der Film beginnt sehr heiter, lässt nicht erahnen, welche Richtung die Geschichte nehmen wird. Der Terroranschlag lenkt die Geschichte abrupt in eine völlig neue Richtung. In MEIN LEBEN MIT AMANDA geht es auch um die Welt, in der wir leben. Plötzlich ist es möglich, auf der Straße oder in einem Park erschossen zu werden.
Sie haben mal erwähnt, dass James Stewart für Sie als Schauspieler ein großes Vorbild ist. Für jede Ihrer Rollen ließen Sie sich von einem seiner Filme inspirieren. Welcher war es bei MEIN LEBEN MIT AMANDA?
Ich habe tatsächlich oft einen von James Stewarts Filmen bei meinen Rollen im Kopf. Aber um ehrlich zu sein, war es dieses Mal bei MEIN LEBEN MIT AMANDA nicht so. Ich hatte das Gefühl, dass ich mich, um die emotionalen Szenen authentisch hinzukriegen, nicht übervorbereiten sollte. Im Drehbuch war alles nachvollziehbar und mitreißend. Da brauchte ich mir nichts anderes vorzustellen, sondern mich nur der Situation anpassen und den Moment der Szene leben. Es ist ein großartiges Gefühl, dich von deiner Figur leiten zu lassen. Vor allem, wenn man die Szenen auch noch mit einem Kind wie Isaure, das super spontan ist, teilen kann.
Wie war die Zusammenarbeit mit Isaure Multrier?
Wir haben uns zwar ein paar Mal vor dem Dreh getroffen, aber so richtig kennengelernt haben wir uns erst am Set. Wie David hatte ich anfangs keine Ahnung, wie ich mit ihr zurechtkommen sollte. Ich habe keine Nichten, und in meiner Familie und im Freundeskreis gibt es auch keine kleinen Kinder. Ich habe mich daher ständig gefragt, wie ich mit ihr reden soll, was sie wohl denkt, wie sie an die Dreharbeiten herangeht. Schließlich versuchte ich, einfach nett und einfühlsam zu ihr zu sein, so dass es für sie eine möglichst angenehme Erfahrung wird. Kinder sind instinktive Schauspieler. Man selbst muss lernen, auf sie zu hören. Auf diese Art habe ich schon immer gearbeitet. Ich war nie auf einer Schauspielschule, und wenn ich spiele, dann ist es immer mehr ein Reagieren auf den Szenenpartner.
Das Duo David-Amanda ist mal poetisch, mal berührend und mal lustig. Manchmal ist nicht eindeutig klar, wer von den beiden der Erwachsene ist.
Ja, die beiden spielen sich im Film ständig den Ball zu, mal amüsant und mal bewegend. Mit sieben Jahren ist Amanda noch sehr verletzlich, und David muss sich um all die Erwachsenenangelegenheiten kümmern. Wenn es aber um Trauer und das Gefühl des Verlorenseins geht, das der Verlust eines geliebten Menschen auslöst, da sind Amanda und David auf der gleichen Ebene. Manchmal kommt es einem sogar so vor, als ob Amanda stärker als David ist und ihn wieder aufrichtet nicht er sie. Abgesehen von dem Verlust ist es ein leichter Film, weil er den Zusammenhalt zweier Charaktere zeigt, die gemeinsam diese Tragödie überwinden.
Wie war es, einen Stadtgärtner zu spielen?
Ich musste nicht allzu viele Szenen auf den Bäumen drehen, sonst hätte ich einen 3-monatigen Kurs der Stadtverwaltung von Paris absolvieren müssen. Aber es gab eine Szene, in der ich zehn Meter hoch über dem Boden hing. Also habe ich vorher einen Kurs gemacht, um herauszufinden, ob ich überhaupt schwindelfrei bin. Es hat Spaß gemacht, einen Stadtgärtner zu spielen, vor allem als ich einen Nachmittag lang für eine Szene Bäume stutzen musste. Leider wurde diese Szene im finalen Film herausgeschnitten.
Wie war die Zusammenarbeit mit Mikhaël?
Ein Filmset spiegelt die Persönlichkeit des Regisseurs wider. Mikhaël ist eine sehr feinfühlige und diskrete Person. Er gibt einem kaum die Richtung vor, aber er schafft eine Atmosphäre, in der man sich wohl fühlt, und er lässt Raum für eigene Ideen. Wann immer ich mich unter Druck gefühlt habe, war er ein wunderbarer Zuhörer. Er ist taktvoll und feinfühlig, das ist sehr angenehm. Einfach weil er mir vertraut hat, ist schon mein Selbstvertrauern gestärkt worden. Und das brauchte ich, weil mir die emotionalen Szenen ziemlich Angst gemacht haben. Ich war so etwas nicht gewohnt.
Es ist wirklich das erste Mal, dass Sie in so einem emotionalen Film mitspielen.
Aus genau diesem Grund habe ich die Rolle angenommen. So eine Rolle hatte ich zuvor noch nicht. Aber es war auch sehr beängstigend. Vor dem Dreh sagte ich Mikhaël immer wieder: „Ich kann dir nichts versprechen. Sowas habe ich noch nie gemacht!“. Er lachte nur darüber und sagte: „Keine Sorge, das wird schon. Wann immer du etwas nicht nachvollziehen kannst, werden wir uns die Zeit nehmen und alles gemeinsam durchgehen, damit du die richtigen Emotionen für die Szene heraus spüren kannst.“ Es tut gut, einen Regisseur an der Seite zu haben, der dir sagt, dass man sich Zeit nehmen kann, der auf deiner Seite steht und dich nicht nur hinter der Kamera beobachtet. Ich hatte das Gefühl, dass mich Mikhaël bei jedem Schritt unterstützt hat.
Wie war die Szene für dich, als du im Bahnhof weinen musstest?
Einen Tag davor kam Mikhaël zu mir und sagte: „Im Bahnhof brichst du in Tränen aus.“. Ich war etwas nervös. Vor allem weil wir ein langes Zoom-Objektiv dafür eingesetzt haben, was bedeutete, dass die Szene aus der Distanz gedreht und auf mich gezoomt wurde. Also war ich inmitten all dieser Menschen, die nicht wussten, dass wir einen Film drehen. Es war aufregend, aber irgendwie auch cool. Soweit ich mich erinnern kann, war es die einzige Szene, die sich Mikhaël spontan ausgedacht hat. Mir war klar, dass die Rolle von mir verlangt, keine Scheu zu haben und alle Gefühle einfach herauszulassen. Obwohl der Film ja sonst paradoxerweise eher sehr zurückhaltend ist.
Am Anfang des Films versprühen die vielen Fahrradfahrten Leichtigkeit. Im zweiten Teil des Films geht es auch darum, dass man sich nach der Tragödie Orte zurückerobert.
MEIN LEBEN MIT AMANDA ist ein Film, der sich genau so stark um seine Figuren dreht, wie um die Orte, an denen sie leben. Ich liebe es, wie Mikhaël die Straßen von Paris einfängt. Er wollte direkt in den Straßen drehen, ohne viel an ihnen zu verändern. Manchmal hatte es sogar etwas Dokumentarisches. Wie Rohmer verknüpft Mikhaël seine Filme mit Orten, und das gefällt mir.
Während David lernen muss, sich um ein Kind zu kümmern, möchte Léna dagegen von ihm in Ruhe gelassen werden und sich selbst mit ihren Problemen auseinandersetzen.
Es ist völlig nachvollziehbar, dass Léna nicht in der Stimmung ist, sich zu verlieben. Aber es ist schön, dass David nicht akzeptieren kann, dass er nach seiner Schwester noch eine Person verlieren soll. Ihre Liebe, die gerade am Entstehen war, wurde durch den Anschlag brutal auseinandergerissen. Auch wenn ihre Beziehung noch ganz am Anfang stand, ist es nicht unwahrscheinlich, dass sie auch ohne die Tragödie einen ähnlichen Verlauf genommen hätte.
Zwischen Léna und David sind viele Dinge unausgesprochen. Sie sind beide in ihren Sorgen gefangen. Als er sie in ihrem Zuhause besucht, spricht er aus dem Herzen, nimmt die Dinge in die Hand und wirft die Frustration über Bord.
Foto:
v.l. Amanda (Isaure Multrier), David (Vincent Lacoste)
© 2018 NORD-OUEST FILMS – ARTE FRANCE CINÉMA
Info:
Darsteller
Vincent LACOSTE David
Isaure MULTRIER Amanda
Stacy MARTIN Léna
Ophélia KOLB Sandrine
Marianne BASLER Maud
Jonathan COHEN Axel
Greta SCACCHI Alison
Regie: Mikhaël HERS
Drehbuch: Mikhaël HERS, Maud AMELINE
Abdruck aus dem Presseheft
Ophélia KOLB Sandrine
Marianne BASLER Maud
Jonathan COHEN Axel
Greta SCACCHI Alison
Regie: Mikhaël HERS
Drehbuch: Mikhaël HERS, Maud AMELINE
Abdruck aus dem Presseheft