Rebecca Zlotowski
Paris (Weltexpresso) - Ein leichtes Mädchen. Der Titel des Films ist maliziös gewählt, denn er lässt einen sofort an ein Klischee denken, dem wir aber unbedingt widersprechen wollen: Dieses Mädchen, von dem es heißt, es wäre ein leichtes Mädchen, ist in meinen Augen ein sehr starkes Mädchen. Ich wollte eine andere Sichtweise auf eine Frau bieten, über die die Gesellschaft sich bestenfalls lustig macht und die sie schlimmstenfalls verachtet.
Wenn es leichte Mädchen gibt, was ist dann ein schwieriges Mädchen? Und was ist ein leichtes Leben? Gibt es das überhaupt? In diesem Sinne muss man dieses Pascalsche Motto verstehen und die entscheidende Wahl eines Berufs. Aber auch den Platz, der dem Zufall dabei eingeräumt wird. Der Zufall, im Sommer eine Cousine wiederzusehen, deren Beispiel mit seinen Höhen und Tiefen einen dazu bringt, seine eigene Unabhängigkeit zu ergreifen, der Zufall, über einen Körper zu verfügen, der viele Möglichkeiten und Freuden eröffnet.
Der Ursprung
Wie so oft bei meinen Filmen gab es auch diesmal zwei Triebfedern, auf der einen Seite eine emotionale und auf der anderen eine politische. Außerdem war da meine Lust, eine fiktive Geschichte zu erzählen, die durch die Begegnung mit Zahia Dehar ausgelöst worden war. Die emotionale Triebfeder war der Tod meines Casting-Directors Philippe Elkoubi, mit dem ich bei all meinen Filmen zusammengearbeitet hatte. Um die Traurigkeit in den Griff zu kriegen, die mich erfasst hatte, stürzte ich mich in die Arbeit. Ich musste um jeden Preis einen pulsierenden Film drehen, in dem sich alles um Sex, Lust und Sonne dreht. Damals fing ich gerade auch mit der Arbeit an einer Serie namens „Les Sauvages“ an (Anm.: Sie wurde nach EIN LEICHTES MÄDCHEN gedreht und soll ab Herbst 2019 bei Canal Plus ausgestrahlt werden), und ich hatte Angst, dass ich zwei Jahre meines Lebens mit einem düsteren, bedrückenden Stoff verbringen würde, der meine Lust am Kino ganz und gar nicht widerspiegelte. Also wandte ich mich diesem Stoff zu, der versprach, mir etwas zu geben, was man nur im Kino findet, nämlich eine Freiheit, wie es sie wirklich nur im Kino gibt. Ich würde einen Film drehen, der mir aus dem Herzen sprechen und sehr autonom sein würde, eine Arbeit, die längst nicht so kollektiv ausfallen würde wie die Serie.
Das Thema
Ich wusste recht schnell, dass es um Macht gehen würde, um Stärke und Domination, und zwar in jeder Hinsicht: körperlich, sexuell, kulturell, finanziell. Die Affäre Weinstein hatte das vergangene Jahr geprägt und jeden von uns dazu gebracht, über das Thema nachzudenken, auf die eine oder andere Weise, und dazu zählte auch ich. Aber ich hatte nicht darauf gewartet, um mich für das Thema zu interessieren. Im Gegenteil: Vor Jahren hatte ich einen Artikel aus einer Zeitschrift ausgeschnitten, der in Ich-Form den Sommer erzählte, den zwei junge Frauen an der Côte d'Azur erlebten. Sie berichteten von den verheirateten Männern, die sie kennenlernten, von den Luxusyachten und dem Tauschhandel, der sich in der Folge entwickelte: Geschenke, Einladungen, Abendessen gegen die einvernehmliche Präsenz der jungen Frauen, ihrer Körper, Nächte voller Partys und Sex. Aber der Artikel überraschte mich, denn obwohl ich das Ganze beinahe gegen meinen Willen unter moralischen Gesichtspunkten sehen wollte, beschrieb die junge Frau einen zauberhaften Sommer, der sich angefühlt habe wie eine einzige Streicheleinheit, sehr zivilisiert und romantisch, und das, obwohl die Beziehungen zu diesen Männern ja durchaus verlogen und heuchlerisch waren. Der Artikel berührte mich damals sehr, weil er so kraftvoll und sanft zugleich war.
Eine Begegnung
Dass sich das Thema so schnell ergab, lag auch an der erstaunlichen Begegnung zwischen Zahia Dehar und mir – man könnte auch sagen, dass wir uns gegenseitig erkannten. Zahia, eine junge Französin mit algerischen Wurzeln, hatte ein paar Jahre zuvor die Klatschspalten gefüllt, und ihre Karriere (in dem Sinn, mit dem Eric Rohmer das Wort in „Suzannes Karriere“ auflädt) war einzigartig, ihr Werdegang außergewöhnlich. Ihre perfekte Silhouette, ihr Geheimnis, ihre Schüchternheit und das Mysterium, das sie umgab, das alles hatte mich, wie die meisten von uns, beeindruckt – ich empfand augenblicklich Sympathie für sie, wie für alle Frauen, die von der Öffentlichkeit an den Pranger gestellt werden und häufig soziale Aufsteigerinnen sind. Aber damals hatte ich natürlich keine Ahnung, dass ich sie eines Tages kennenlernen würde.
Dass wir so wenig gemeinsam hatten, sorgte anfangs für mein Interesse. Es war vor allem die Art, wie Zahia ihre Weiblichkeit betont, und zwar auf sehr übertriebene, klischeehafte Art – Unterwürfigkeit, Schweigsamkeit, Künstlichkeit, sich wie eine Geisha zu geben –, die mich faszinierte. Sie trägt in jeder Hinsicht zu dick auf, ist sich dessen aber sehr wohl bewusst. Das war der Stand der Dinge, als sie sich via Instagram bei mir meldete. Ich war total überrascht, dass sie überhaupt meinen Namen kannte. Ich schaute mir ihre Videos an und staunte nicht schlecht, als ich ihre Stimme hörte. (Wie viele Frauen sind heutzutage in der Öffentlichkeit omnipräsent, von denen wir tatsächlich noch nie die Stimme gehört haben?) Ich entdeckte, dass sie sich außergewöhnlich elegant ausdrückte, fast schon literarisch und anachronistisch, sie benutzte keinen Slang, wirkte zurückhaltend, ja reserviert. Sie hatte den fast unmerklichen Akzent einer libanesischen, syrischen oder italienischen Bardot, jedenfalls war er für mich überhaupt nicht einzuordnen, im Gegensatz zu all diesen jungen Frauen, die sich zum Reality-TV hingezogen fühlen. Zahia sprach wie eine Figur aus einem Eric-Rohmer-Film und das nahm mich gleich für sie ein.
Foto:
©
Info:
EIN LEICHTES MÄDCHEN OT: Une fille facile
Ein Film von Rebecca Zlotowski Mit Mina Farid, Zahia Dehar, Benoît Magimel, Nuno Lopes u.v.a.
Frankreich 2019 / ca. 92 Min.
Wie so oft bei meinen Filmen gab es auch diesmal zwei Triebfedern, auf der einen Seite eine emotionale und auf der anderen eine politische. Außerdem war da meine Lust, eine fiktive Geschichte zu erzählen, die durch die Begegnung mit Zahia Dehar ausgelöst worden war. Die emotionale Triebfeder war der Tod meines Casting-Directors Philippe Elkoubi, mit dem ich bei all meinen Filmen zusammengearbeitet hatte. Um die Traurigkeit in den Griff zu kriegen, die mich erfasst hatte, stürzte ich mich in die Arbeit. Ich musste um jeden Preis einen pulsierenden Film drehen, in dem sich alles um Sex, Lust und Sonne dreht. Damals fing ich gerade auch mit der Arbeit an einer Serie namens „Les Sauvages“ an (Anm.: Sie wurde nach EIN LEICHTES MÄDCHEN gedreht und soll ab Herbst 2019 bei Canal Plus ausgestrahlt werden), und ich hatte Angst, dass ich zwei Jahre meines Lebens mit einem düsteren, bedrückenden Stoff verbringen würde, der meine Lust am Kino ganz und gar nicht widerspiegelte. Also wandte ich mich diesem Stoff zu, der versprach, mir etwas zu geben, was man nur im Kino findet, nämlich eine Freiheit, wie es sie wirklich nur im Kino gibt. Ich würde einen Film drehen, der mir aus dem Herzen sprechen und sehr autonom sein würde, eine Arbeit, die längst nicht so kollektiv ausfallen würde wie die Serie.
Das Thema
Ich wusste recht schnell, dass es um Macht gehen würde, um Stärke und Domination, und zwar in jeder Hinsicht: körperlich, sexuell, kulturell, finanziell. Die Affäre Weinstein hatte das vergangene Jahr geprägt und jeden von uns dazu gebracht, über das Thema nachzudenken, auf die eine oder andere Weise, und dazu zählte auch ich. Aber ich hatte nicht darauf gewartet, um mich für das Thema zu interessieren. Im Gegenteil: Vor Jahren hatte ich einen Artikel aus einer Zeitschrift ausgeschnitten, der in Ich-Form den Sommer erzählte, den zwei junge Frauen an der Côte d'Azur erlebten. Sie berichteten von den verheirateten Männern, die sie kennenlernten, von den Luxusyachten und dem Tauschhandel, der sich in der Folge entwickelte: Geschenke, Einladungen, Abendessen gegen die einvernehmliche Präsenz der jungen Frauen, ihrer Körper, Nächte voller Partys und Sex. Aber der Artikel überraschte mich, denn obwohl ich das Ganze beinahe gegen meinen Willen unter moralischen Gesichtspunkten sehen wollte, beschrieb die junge Frau einen zauberhaften Sommer, der sich angefühlt habe wie eine einzige Streicheleinheit, sehr zivilisiert und romantisch, und das, obwohl die Beziehungen zu diesen Männern ja durchaus verlogen und heuchlerisch waren. Der Artikel berührte mich damals sehr, weil er so kraftvoll und sanft zugleich war.
Eine Begegnung
Dass sich das Thema so schnell ergab, lag auch an der erstaunlichen Begegnung zwischen Zahia Dehar und mir – man könnte auch sagen, dass wir uns gegenseitig erkannten. Zahia, eine junge Französin mit algerischen Wurzeln, hatte ein paar Jahre zuvor die Klatschspalten gefüllt, und ihre Karriere (in dem Sinn, mit dem Eric Rohmer das Wort in „Suzannes Karriere“ auflädt) war einzigartig, ihr Werdegang außergewöhnlich. Ihre perfekte Silhouette, ihr Geheimnis, ihre Schüchternheit und das Mysterium, das sie umgab, das alles hatte mich, wie die meisten von uns, beeindruckt – ich empfand augenblicklich Sympathie für sie, wie für alle Frauen, die von der Öffentlichkeit an den Pranger gestellt werden und häufig soziale Aufsteigerinnen sind. Aber damals hatte ich natürlich keine Ahnung, dass ich sie eines Tages kennenlernen würde.
Dass wir so wenig gemeinsam hatten, sorgte anfangs für mein Interesse. Es war vor allem die Art, wie Zahia ihre Weiblichkeit betont, und zwar auf sehr übertriebene, klischeehafte Art – Unterwürfigkeit, Schweigsamkeit, Künstlichkeit, sich wie eine Geisha zu geben –, die mich faszinierte. Sie trägt in jeder Hinsicht zu dick auf, ist sich dessen aber sehr wohl bewusst. Das war der Stand der Dinge, als sie sich via Instagram bei mir meldete. Ich war total überrascht, dass sie überhaupt meinen Namen kannte. Ich schaute mir ihre Videos an und staunte nicht schlecht, als ich ihre Stimme hörte. (Wie viele Frauen sind heutzutage in der Öffentlichkeit omnipräsent, von denen wir tatsächlich noch nie die Stimme gehört haben?) Ich entdeckte, dass sie sich außergewöhnlich elegant ausdrückte, fast schon literarisch und anachronistisch, sie benutzte keinen Slang, wirkte zurückhaltend, ja reserviert. Sie hatte den fast unmerklichen Akzent einer libanesischen, syrischen oder italienischen Bardot, jedenfalls war er für mich überhaupt nicht einzuordnen, im Gegensatz zu all diesen jungen Frauen, die sich zum Reality-TV hingezogen fühlen. Zahia sprach wie eine Figur aus einem Eric-Rohmer-Film und das nahm mich gleich für sie ein.
Foto:
©
Info:
EIN LEICHTES MÄDCHEN OT: Une fille facile
Ein Film von Rebecca Zlotowski Mit Mina Farid, Zahia Dehar, Benoît Magimel, Nuno Lopes u.v.a.
Frankreich 2019 / ca. 92 Min.