Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 26. September 2019, Teil 8

Corinne Elsesser

Bildschirmfoto 2019 09 26 um 00.11.44Frankfurt am Main (Weltexpresso) - An der Pariser Sorbonne wird im Fachbereich Psychologie die Spezialisierung "Victimologie" angeboten, psychologische Forschungen also zum Thema Opfer, bei welchen die Sicht des Opfers den Ausgangspunkt bildet. Diese Herangehensweise dient als Hintergrund für den neuen Film des französischen Regisseurs Francois Ozon. Nach "Une nouvelle amie" (Eine neue Freundin, 2013), "Frantz" (2016) oder "L’Amant Double" (Der andere Liebhaber, 2017) gleicht "Grace à Dieu" einer investigativen Recherche, bei der Ozon die reale Geschichte eines der Opfer sexuellen Missbrauchs in der Erzdiözese Lyon nachzeichnet.

Erst nach Jahren findet Alexandre Guérin (Melvil Poupaud) den Mut, den Priester Bernard Preynat (Bernard Verley) für seine sexuellen Übergriffe anzuzeigen. Aus dem Fernsehen hat der inzwischen vierzigjährige erfolgreiche Banker und Vater von fünf Kindern erfahren, dass jener Geistliche, der ihn damals als Pfadfinder missbrauchte, noch immer mit Kindern zu tun hat. Geschildert wird Guérins mühsamer Gang durch die Institution Kirche, zunächst freundlich abgefangen von der Kirchenpsychologin Régine Maire (Martine Erhel), verständnisvoll empfangen von Cardinal Barbarin (Francois Marthouret), zu Gesprächen eingeladen von weiteren Würdenträgern, bis er angesichts der Ausweglosigkeit seines Unterfangens schliesslich Anzeige gegen Preynat erstattet. Dann übernimmt die Polizei die weiteren Untersuchungen. Sein Fall wird öffentlich.

Wie schwer es ist, sich als Opfer zu bekennen, wieviel Selbstsicherheit und Beharrlichkeit notwendig sind, um ein Verbrechen aufzudecken, über das man nicht spricht und das damit im Grunde nicht existiert, zeigt Ozon eindrücklich aus der Sicht des Opfers Alexandre Guérin.

Die Veröffentlichung seines Falls macht schliesslich weiteren Männern Mut, die als Jungen ebenfalls missbraucht wurden. Sie beginnen, sich in einem Verein "La parole liberée" zu engagieren und nach Jahren des Schweigens endlich zu sprechen. Ozon schildert drei Fälle aus ganz unterschiedlichen sozialen Milieus.

Der Film kommt ohne drastische Effekte aus, verlegt sich stattdessen auf vage Andeutungen, was zum Beispiel passieren wird, wenn der Priester einen seiner neunjährigen Schützlinge aufruft, um mit ihm in seinem "bureau" zu verschwinden. Das geht unter die Haut. Und aus einer sachlichen, eher langweilig nach bürokratischer Sachlage organisierten Recherche wird eine filmisch spannende Suche nach Aufklärung einer unangenehmen Wahrheit.

In der katholischen Kirche wird es allerdings immer wieder Verbrecher geben, die kleine Kinder missbrauchen, weil sie mit dem Zölibat nicht zurechtkommen. Die Kirche wird diese nicht bestrafen, da sie sich auch für "arme Sünder" zuständig sieht. Es wäre in diesem Moment falsch, unsere zivilen Moralkategorien gegen das Kirchenrecht auszuspielen. Francois Ozon löst diesen Widerspruch in seinem Film nicht auf. Doch ganz am Ende in einer Pressekonferenz der Kirche, in der es um eine Befragung der Kirchenoberen der Erzdiözese Lyon geht, rutscht es Cardinal Barbarin schliesslich heraus: "Grace à Dieu" sagt er, seien die meisten dieser Fälle inzwischen verjährt. Entsetzt hakt einer der Journalisten nach, denn "Grace à Dieu" heisst wortgetreu übersetzt "Gott sei Dank!" Das wirkt schamlos. So hätte auch der deutsche Filmtitel lauten müssen, denn mit der Übersetzung "Gelobt sei Gott" geht viel von der ursprünglichen Prägnanz des französischen Titels verloren.

Auf den diesjährigen Berliner Filmfestspielen wurde der Film mit dem "Großen Preis der Jury" ausgezeichnet.

Info:
F 2019. Regie: Francois Ozon. D: Melvil Poupaud, Denis Ménochet, Swan Arlaud u.a. 137 Min. Start: 26. September, Verleih: Pandora Film Medien GmbH