f skin1Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 3. Oktober 2019, Teil 16

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Eine harte Nummer, dieser Film, aufrüttelnd, bedrohlich, beruhigend – dies alles nacheinander – , aber immer unter die Haut gehend, wie der Titel andeutet. Bryon Widner (Jamie Bell) steht im Mittelpunkt dieses Schockers, der sich aus eigenem Antrieb, wobei das Herz das treibende Organ ist, aus einer menschenverachtenden, gewalttätigen und kriminellen Gruppe löst, seine Freunde zu Ex-Freunden werden läßt, für die er als Überläufer jetzt der Verfolgte ist. Seine Lebensgeschichte, der dieser Film folgt, kann man auf seiner vollständig tätowierten Haut sehen, die erst voll der schrecklichsten Symbole und Zeichnungen ist – und dann ‚sauber‘ wird, ein unglaublich schmerzhafter Prozeß, auch beim Zuschauen, wobei man fassungslos verfolgt, daß das überhaupt möglich ist.

Denn Tätowierungen, so denkt man, sind ja lebenslang und so sind sie ja auch gedacht. Als ein sinnbildliches Zeichen für die Außenwelt, wo man steht, wen man mag, wen nicht, mal ganz offen mit Namen und Zeichen deutlich, mal versteckt durch geheime Andeutungen. Und hier geht es nicht um ein Oberarm-Tattoo oder eines an den Fesseln, sondern um Ganzkörpertätowierung, schließlich ist ja das, was damit ausgedrückt werden soll, auch ein ganzheitlicher Ansatz für das Leben, hier den USA, wo Bryon Widner überzeugt davon ist, daß er zur Herrenrasse gehört, der alle anderen Menschen untertan sind, die zudem nicht in seinen Lebensräumen existieren dürfen, diese Neger, dahergelaufenen Ausländer und auch aufmüpfige Frauen nicht, die in dieser Männergesellschaft untertan sind, wenn sie nicht wie „Ma“ Shareen (Vera Farmiga) als Mutter das Familienkommando übernehmen.

Regisseur Guy Nattiv wußte, worauf er sich bei seinem Film einläßt. Der israelische Filmemacher hatte nämlich das Thema des aus der rechtsradikalen Szene ausgestiegenen Bryon ‚Babs‘ Widner in einem gleichnamigen Kurzfilm schon dargestellt – und zwar so überzeugend, daß er dafür den Oscar erhielt. Aber Kurzfilme landen in ausgesuchten Vorstellungen, wenn es gut geht, sonst in den Archiven und eben den Festivals. Das schon. Wir kennen den prämierten Kurzfilm nicht und finden den Langfilm eine Wucht, aber eben auch eine Zumutung an uns selber, denn das Zuschauen tut oft weh, weil wir natürlich auf Seiten des Aussteigers sind und darum sowohl seine Bedrohung durch seine Ex-Kumpane wie auch die Entfernung der Tätowierungen auf der Haut miterleiden. Das dauert aber länger, bis wir so richtig auf seiner Seite sind. Denn erst einmal erleben wir diese Ku-Klux-Klan- Gesellschaft, zu der er gehört, auch im bequemen Kinosessel körperlich als Bedrohung. Absolut.

So setzt der Film, der einer wahren Geschichte folgt, folgerichtig auch bei einem unerhörten Vorgang im Jahr 2009 an, als Widner, eine Art Adoptivsohn der berüchtigten Krager-Family Fred und Shareen, die wie ein rechtsterroristischer Clan in Ohio Land und Politik besetzen, als Widner also bei einer der wiederholten Ausschreitungen gegen die Staatsmacht einem regelrechten Nazi-Aufmarsch mit entsprechenden Symbolen und dem geplanten Zusammenschlagen der Verhaßten, derart ausrastet, daß er sein Objekt des Hasses, den er überhaupt nicht kennt, fast totschlägt. Er wird verhaftet und das Gesetz versucht, ihm die Dimension seiner Tat überhaupt erst einmal kenntlich zu machen, auch die Strafe, die ihm droht, wenn er nicht die Rädelsführer benennt. Tut er dies in vollem Umfang, nennt er also die Namen seiner Zieheltern und die der anderen der militanten Geheimgruppe, hilft ihm der Staat beim Ausstieg aus der Szene. Doch entrüstet lehnt Widner dies ab und sitzt seine Strafe ab.

Und dann tritt die Liebe auf. Das ist weder rührselig, noch irgendwie aufgemotzt dargestellt, wie nach und nach eine junge Mutter mit drei Töchtern das Herz des eisenharten Kerls berührt. Julie (Danielle Macdonald) weiß nämlich, was Sache ist. Sie hatte Reißaus genommen vor einem Rechtsradikalen, mit dem sie zusammenlebte, und will so etwas nie wieder erleben. Das sagt sie Widner auch ganz offen, nachdem sie die Zusammenhänge mit dem Klan durchschaut. Während wir nun dem leisen Einfluß, den die junge Frau auf ihn ausübt, bzw. die Gefühle, die er für sie entwickelt, zuschauen, was sachte und langsam vonstatten geht, reagiert seine Bezugsguppe mit Häme und Härte, denn die Angst spielt mit, daß er abtrünnig werden könnte, was mit Einschüchterung, also Gewalt, aber auch Liebesentzug bestraft werden wird. Gewalt erst gegen ihn, dann gegen die Frau und ihre Kinder. Man kann dem Erweckungsprozeß, also dem Umdenken von Widmer fast zusehen, das macht den Film auch fabelhaft, weil wir bei seiner Umkehr peu a peu bei ihm bleiben und er nicht wie durch einen deus-ex-machina geläutert wird. Nein, die Ablöse von seinen Kumpels ist hart und schmerzhaft für ihn, denn er war ja Teil dieser Familie,. Nun hat er keine mehr, was diese nicht akzeptieren will und seine Mitgliedschaft in ihrer Terrorzelle einfordern. Der Film entwickelt sich in der Weise, wie er nun eine neue Familie buchstäblich erwirbt, was zur Folge hat, daß Hautfetzen auf Hautfetzen von dem surrenden Gerät, das sich in die unter der Haut liegende zweite Schicht bohrt, schmerzhaft von den Tätowierungen befreit wird.

Doch haben wir damit nur den einen Teil der Geschichte erzählt, denn die Wandlung des Helden wurde zwar durch die Liebe in Gang gesetzt, dazu aber kam die intellektuelle und moralische Aufarbeitung seiner politischen Verstrickungen, die er den Gesprächen mit Daryle Jenkins (Mike Colter) verdankt. Diesen gibt es wirklich, er ist ein afro-amerikanischer Menschenrechtsaktivist, der erst mit ihm lange Gespräche führt, dann seine Abkehr von dem terroristischen Klan unterstützt, ja organisiert und ihm auch vermittelt, wie er seine Tätowierungen, mit denen er ja nichts mehr zu tun haben will, loswird. Jenkins durchwandert also immer wieder den Film, es sind Haltepunkte, wo aus dem individuellen Schicksal von Widner die Gewaltstruktur der amerikanischen ländlichen Gesellschaft auf- und durchscheint.

Aber Widner hätte seine Umkehr, sein innere gewaltfreie Haltung nie auch am äußeren tattoofreien Körper zeigen können, wenn nicht eine Gönnerin, die seinen Ausstieg gut heißt, ihm das Enttätowieren in 612 Sitzungen bezahlt hätte. 612 Behandlungen, wo wir schon beim zweiten Mal schreiend davon gelaufen wären, bei diesem Surrgeräusch, wenn der Bohrer in die Haut eindringt und wegnimmt, was wir technisch-biologisch nie für möglich gehalten hätten. Aber richtig, wir hätten uns auch vorher nie mit Farbe und einem anderen Surrgerät tätowieren lassen.

Ein aufrüttelnder, spannend inszenierter Film, mit dessen Hauptdarsteller wir mitleiden und für dessen neues Leben mit neuer Frau wir Sympathie hegen und alles Gute wünschen. Was allerdings seine kriminelle Großfamilie darüber denkt, wird höchstens beim nächsten Aufmarsch der Ultrarechten in den USA deutlich. Die haben politisch ja durchaus Oberwasser. Leider.

Foto:
© Verleih

Info:
Besetzung
Bryon Widner                Jamie Bell
Julie Price                     Danielle Macdonald
Fred "Hammer" Krager Bill Camp
Shareen Krager             Vera Farmiga
Daryle Jenkins               Mike Colter
Slayer .                           Daniel Henshall