f marsei6Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 7. November 2019, Teil 12

Redaktion

Paris (Weltexpresso) - Es ist schon angeklungen, daß auch dieser Film nach einer wahren Begebenheit gedreht wurde. Die Geschichte vom Jungen Fahim, der aus Bangladesch direkt mit seinem Vater nach Paris kommt, weil er sich vorgenommen hatte, Schachweltmeister zu werden, ist so passiert und wurde in einen Roman gegossen, der bei Heyne erschienen ist. Hier nun werden beide Fahims befragt, der junge Schauspieler und der, dem das alles passiert ist, besser: der nicht aufgab und Schachmeister wurde. 

Assad Ahmed (FAHIM) über den Anfang seines Abenteuers

Der Film war für mich wie ein Märchen. Eines Tages war ich zu Hause beim Spielen. Da bat mich mein Vater, den Sohn seines Bruders zu begleiten, ohne mir zu verraten, wohin oder weshalb. Ich gehorchte ihm. Am Treffpunkt angekommen, begriff ich, dass man dort einen Film drehte. Eigentlich war mein Cousin dorthin bestellt worden, aber schließlich habe ich die Probeaufnahme gemacht. Als der Casting Director mir vorschlug, mit mir zu drehen, wollte ich zuerst nicht. Ich war erst seit drei Monaten in Frankreich und verstand und sprach nur sehr schlecht Französisch. Außerdem war ich sehr schüchtern und hatte Angst, es nicht richtig hinzubekommen. Die Teammitglieder versuchten, mich zu beruhigen und sagten mir, dass es einen Dolmetscher am Set geben würde, aber ich wollte immer noch nicht. Schließlich sagte ich zu, weil mein Vater mich darum gebeten hatte. Mein Vater ist die Person, die für mich am meisten zählt. Ich versuche immer, ihn nicht zu enttäuschen.


Über die Geschichte

Als man mir das Drehbuch erzählte, war ich sehr gerührt. Es erinnerte mich an die Probleme in Dhaka. Fahims Geschichte ist zwar nicht meine, aber sie hätte es sein können, denn ich bin wie er der Sohn eines politischen Flüchtlings aus Bangladesch, der vor der Gewalt in seinem Land fliehen musste. Aber im Gegensatz zu Fahim hatte ich viel Glück. Sobald meine Mutter und ich nach Frankreich kamen, ging ich zur Schule. Mein Vater arbeitete in einem Restaurant und wohnte in einem Wohnheim in Noisy-le-Grand. Dort zogen meine Mutter und ich auch gleich ein. Allerdings wusste ich, dass sich mein Vater lange mehr schlecht als recht durchgeschlagen hatte, bevor er seine Papiere erhielt. Durch den Film habe ich besser verstanden, was er und viele andere Familienmitglieder durchgemacht haben.


Über seine Rolle

Ich fand es nicht allzu schwierig, Fahim zu „sein“. Wir haben zwar nicht denselben Werdegang, aber dennoch viele Gemeinsamkeiten. Bei der Schauspielerei haben mir alle geholfen: P.E.F., Gérard Depardieu, Isabelle Nanty, die anderen Kinder im Film und sogar meine Eltern. Mein Vater erzählte mir von seinen Erfahrungen und fragte mich abends zu Hause meine Textzeilen ab. Für das Schachspiel hatte ich einen großartigen Lehrer: Christophe Casamance. Er hat mich so gut in das Spiel eingeführt, dass ich innerhalb weniger Tage verstand, wie man spielt, obwohl ich davor noch nie ein Schachbrett gesehen hatte. Christophe habe ich es auch zu verdanken, dass ich an dem Tag, als er mich auf das Turnier mitnahm, gewonnen habe. Um mich zu belohnen, hat er mir ein Schachbrett geschenkt. Dadurch kann ich bis heute weiterhin mit meinem Bruder spielen. Das macht mir viel Spaß.


Über seinen persönlichen Nutzen an den Dreharbeiten

Da die Probeaufnahmen, die Vorbereitungen und die eigentlichen Dreharbeiten mehrere Monate in Anspruch nahmen, konnte ich viel lernen. Mir ist klar geworden, dass ich mich im Vergleich zu meinen Freunden, die zur selben Zeit wie ich nach Frankreich gekommen sind, viel schneller integriert habe. Der Film hat mein Leben verändert. Ich bin jetzt lange nicht mehr so schüchtern wie früher, habe gelernt, pünktlich zu sein – in meinem Land hält sich niemand so richtig an die Termine – und vor allem spreche ich viel besser Französisch. Das hat mir übrigens am meisten weitergeholfen und Spaß gemacht.


Über die Schwierigkeiten und die Freuden der Dreharbeiten

Die schwierigsten Szenen für mich waren die, in denen ich lustig sein oder angeben sollte. Persönlich fällt es mir ohnehin schwer zu lachen, aber beim Dreh war es noch schlimmer: Es war mir total unangenehm. Zum Glück haben mir alle geholfen, lockerer zu werden. Dagegen hatte ich überhaupt keine Probleme mit den traurigen Szenen, die mir neben den Turnier- und Wettkampfszenen am besten gefallen haben. Außerdem fand ich auch unsere Reise nach Marseille toll. Wie Fahim hatte ich davor noch nie das Meer gesehen. Ich mochte es sehr.


Über sein Leben nach dem Film

Ich hoffe, dass die Leute durch den Film verstehen, dass das Leben von Einwanderern nicht einfach ist. Wie schon gesagt, hat DAS WUNDER VON MARSEILLE mein Leben verändert. Alle Menschen, die mir nahestehen, sind stolz und zufrieden. Auch in meinem Land. Das gab mir viel Selbstvertrauen. Sollte es sich wieder ergeben, würde ich gern einen weiteren Film drehen. Aber ich will nicht Schauspieler werden. Mein Vater und meine Mutter wollen, dass ich Arzt werde.




Der „echte“ Fahim Mohammad ...

Über Schach

Schach hat immer im Mittelpunkt meines Lebens gestanden. Ich verdanke dem Schach alles, was mir je widerfahren ist, im Schlechten wie im Guten. In Bangladesch erhielt ich im Alter von sechs Jahren Todesdrohungen, weil es einigen missfiel, dass ich einen Titel gewonnen hatte. Im Gegensatz dazu konnten mein Vater und ich in Frankreich, wohin wir geflüchtet waren, gerade deswegen Papiere erhalten, weil ich Turniere gewonnen hatte. Alles in allem verdanke ich dem Schach mein Leben und meine Freiheit. Dank dem Schach hat ein Buch mein Leben erzählt und trägt heute ein Film meinen Namen. Natürlich war ich nicht darauf vorbereitet, all das zu erleben, und gibt es in all diesen glücklichen oder unglücklichen Ereignissen etwas, das ich nicht erfassen kann. Schließlich habe ich bei null angefangen.

Über das Buch

Wenn man mich fragt, ob das Buch „Spiel um dein Leben, Fahim!“ mein Leben verändert hat, sage ich immer nein. Was es verändert hat, ist zunächst mein Titel als Französischer Meister der unter 12-Jährigen und die Begegnungen, die sich daraus ergeben haben. Danach ist es der Erhalt französischer Papiere. Eigentlich wurde das Buch vor allem deshalb geschrieben, um den Blick der Leute auf Flüchtlinge und Migranten zu verändern, die auf der Straße leben.

Über den Film

Als man mir am Telefon mitteilte, dass das Buch verfilmt werden sollte, war ich überrascht, aber nicht beeindruckt. Ich war vierzehn Jahre alt und konnte die Tragweite des Ganzen nicht richtig einschätzen. Ich dachte, dass man einen kleinen Dokumentarfilm drehen würde. Ich hätte nie gedacht, dass der Film so eine Bedeutung und Verbreitung haben würde.

Über das Drehbuch und die Figuren

Als ich den Film sah, war ich gerührt, hatte aber gleichzeitig ein seltsames Gefühl. Alles ist echt, aber ich fand, dass es eigentlich nicht um mich ging. Die Geschichte ist im Groben meine Geschichte, aber der Fahim des Films entspricht nicht vollkommen meiner Person. Ich erkenne mich sehr gut in den Szenen wieder, die seine Integration oder seine Ausbildung schildern: die Szene, in der er lernt, mit Messer und Gabel zu essen oder die, in der er angeschnauzt wird, weil er zu spät kommt – ein Umstand, der sich leider nicht groß verändert hat, da ich weiterhin Probleme damit habe, Termine einzuhalten (lacht). Ich erkenne mich auch in all den Szenen wieder, wo Fahim von seinen Freunden aus dem Schachclub oder der Schule aufgenommen wird. Ich habe ähnliche Situationen erlebt, sie waren sehr herzlich. Genau wie die mit meinem Schachlehrer, Xavier Parmentier, den Gérard Depardieu spielt. Xavier war ein sehr großzügiger Mensch. Ihm habe ich es zu verdanken, dass ich monatelang heimlich in seinem Schachclub übernachten konnte. Das kommt im Film zwar nicht vor, aber das macht nichts, da ohnehin deutlich wird, wie freundlich und väterlich Xavier zu mir war. Ebenfalls für die Anforderungen des Drehbuchs erfunden wurden die Szenen im Zeltlager. Mein Vater und ich haben beispielsweise nie in solchen Gemeinschaftslagern mit anderen Flüchtlingen aus Bangladesch zusammengelebt. Das entspricht nicht unserem Charakter. Aber das sind Details. Das Wesentliche meines Lebens ist dort dargestellt, und ich mag den Fahim des Films. Ich hätte nicht gewollt, dass er mir komplett nachempfunden ist, das hätte mich gestört.

Über seinen Vater

Mein Vater ist ein sehr zurückhaltender und verschlossener Mensch. Er hat alles getan, um seinen Status geheim zu halten. Mir gegenüber war er sehr fürsorglich, tat aber immer so, als ob ihm das alles nichts ausmache. Die ersten Jahre in Frankreich waren furchtbar für ihn. Als man ihm keinen Status als politischer Flüchtling geben wollte, machte er sich aus dem Staub und schlief auf der Straße. Er hatte weder Arbeit noch Papiere, ging aber das Risiko ein, mich zum Schachclub zu begleiten, wo er stundenlang auf mich wartete. Ich habe ihn nie klagen hören. Dabei war für ihn alles viel schwerer als für mich. Ich hatte Freunde, mit denen ich reden konnte, bei denen ich übernachtete und ich spielte Schach. Ich konnte abschalten. Er dagegen war tagelang völlig untätig und konnte sich an niemanden wenden, zumal er kein Französisch sprach. Ich verehre meinen Vater. Ich bewundere ihn. Ich habe immer mit ihm zusammengelebt. Er war es, der mich schon in Bangladesch auf Schachturniere begleitete. Er hat mir wahrscheinlich das Leben gerettet. Ich bin ihm alles schuldig. Die Liebe Fahims zu seinem Vater kann man im Film gut nachvollziehen. Das freut mich sehr. Ich habe den Eindruck, dass ich dadurch die Jahre wiedergutmachen kann, in denen ich es nicht geschafft habe, meine Gefühle für meinen Vater auszudrücken.

Über die Schauspieler im Film

Da ich mich mit Kino nicht gut auskenne, wusste ich nicht genau, wer Gérard Depardieu war. Er war ausgesprochen freundlich zu mir. Ich muss sagen, dass alle entzückend mir gegenüber waren, von den Kindern, die meine Freunde spielten, bis hin zu Isabelle Nanty und P.E.F. Mit Assad habe ich mich auch gut verstanden, aber ich habe ihm nicht viel erzählt. Er ist der Schauspieler, nicht ich. An der Vorbereitung des Films habe ich mich nicht beteiligt und war selten am Set. Ich habe aber genügend mitbekommen, um zu begreifen, was für einen enormen Aufwand ein Filmdreh darstellt. Das hätte ich nicht gedacht.

Über die Wirkung des Films

Ich weiß nicht, wie DAS WUNDER VON MARSEILLE ankommen wird. Ich hoffe, dass der Film, wie das Buch, dazu beitragen wird, den Blick der Menschen auf Migranten zu verändern – einige haben sehr viel Schlimmeres erlebt als ich. Ich persönlich mag den Film, weil er nicht nur das Elend der Menschen schildert und weil er eine schöne Geschichte erzählt, denn die Figuren schlagen sich ja am Ende durch. Ich mag ihn auch deshalb, weil Schach dort eher als Abenteuerspiel behandelt wird statt als intellektuelles Spiel. Leute, die nichts davon verstehen, werden trotzdem auf ihre Kosten kommen.

Über sein Leben nach dem Film

Ich habe mein Abitur bestanden und werde auf eine Handelsschule gehen. Ich möchte Vermögensverwalter werden. Im Gegensatz zu dem, was man denken könnte, hatte ich nie vor, mein ganzes Leben dem Schachspiel zu widmen. Ich fürchte mich zu sehr davor, verrückt zu werden, wie einige große Meister. Deshalb brach ich vor einigen Monaten mein Training ab. Ich werde es wieder aufnehmen, aber ganz sachte. Heute bin ich mit mir im Reinen. Ich denke nicht mehr an die Zeit, als ich auf der Straße schlief. Ich versuche, im Vorwärtsgang zu leben, im Jetzt. Ich möchte in Frankreich bleiben. Dieses Land hat mich aufgenommen. Ich bin ihm dankbar. Wie mein Vater, der so stolz darauf ist, dass ein französischer Film den Namen seines Sohnes trägt.

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„Doch wenn ich mir so ansehe, wie er Tag für Tag sein Leben lebt, wie still und zurückhaltend er manchmal ist, um einen Augenblick später wieder über das ganze Gesicht zu strahlen, dann weiß ich: In ihm steckt immer noch ein König.“

Sophie Le Callennec über Fahim im Buch „Spiel um dein Leben, Fahim!“