dff laraSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 7. November 2019, Teil 19

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Ja, in der Tat es ist eine hervorragende Reihe, die das nun unter DFF benannte Kino seit so vielen Jahren monatlich bringt: WAS TUT SICH - IM DEUTSCHEN FILM? Diesmal ging es um die Preview von LARA und zu dem anschließenden Gespräch mit Regisseur Jan-Ole Gerster kann man nur sagen: Froh ist, wer dabei war, denn erstens ist LARA ein richtig guter Film und zweitens fangen die Fragen nach der Diskussion erst so richtig an.

Wenn man an den Film so viele Fragen hat, heißt das in der Regel immer, daß der Film etwas in einem anrührt, was man besprechen möchte. Und daß man sich mit LARA innerlich so beschäftigt, hat mit den vielen Leerstellen zu tun, die die Regie kunstvoll knüpfte. Denn die muß der Zuschauer selbst in sich finden, die Antworten. Wollte Lara nun zu Beginn des Films aus dem Fenster springen. „Ja“, meinen wir. „Nein“, sagen andere. „Vielleicht“ wäre die wohl richtige Antwort, obwohl wir beim „Ja“ bleiben. Und so sehen wir eine richtige Filmkomposition vor uns, wo erst die Summe aller Teile einem die Bedeutung so vieler Szenen im Nachhinein klar macht. Eine wunderbare Filmarbeit und ein spannendes Porträt einer Frau, die sich selbst um ihr eigentlichen Leben gebracht hat und nun zusehen muß, ob sie den Rest noch sinnvoll nutzt.

Nein, wir wollen nicht noch eine weitere Besprechung zum Film liefern, sondern berichten, was sich an diesem Abend im Filmmuseum tat, der bei voller Besetzung losging und dann gegen Schluß nach 23.30 ausdünnte, aber nicht, weil die Diskussion zu Ende war, sondern weil Schluß sein mußte, denn die Gekommenen müssen am nächsten Morgen in ihrem Beruf wieder auf der Matte stehen. Ehrlich, das hätte noch Stunden weitergehen können, so viele Fragen ergaben sich, die man grob aufteilen kann:

Was tat sich in sechs Jahren seit Jan-Ole Gerster seinen Welterfolg mit dem Debütfilm OH BOY (2012) feierte.

Wie kam der Regisseur zu LARA?

Wie kam er zu den Besetzungen, insbesondere zur Verkörperung von Lara durch Corinna Harfouch?

Berlin als Drehort?

Hat er die Erziehungsproblematik – ohne dies zu benennen, ging es um den autoritären Charakter (Freud, Adorno) und seine Folgen – in den Mittelpunkt gestellt?

Will hier die Mutter ihr eigenes verpfuschtes Leben vom Sohn positiv gelebt sehen, was die Musik angeht, oder soll er genauso scheitern wie sie? Was ist überhaupt mit der Musik?

Ulrich Sonnenschein (epd film) hatte die Gesprächsrunde mit der Bemerkung eröffnet, er hätte gerade einen sehr guten, aber auch tieftraurigen Film gesehen. Und Fragen stellte, die später das Publikum vertiefte. Mit Jan-Ole Gerster hatten nun beide, Sonnenschein und das Publikum, einen, den man nicht lange auffordern mußte, zu erzählen. Sympathisch, daß man ihm dennoch anmerkte, wie wichtig dieser Abend und die folgenden für ihn sind, wenn denn endlich LARA heute anläuft und die Kritiken genauso in den Zeitungen stehen, wie die Zuschauer gezählt werden, die hoffentlich in die Kinos strömen – sie sollten! - , wobei die letzten deutschen Filme so gut beim Publikum ankamen, daß sie noch laufen, was nicht abzusehen war, LARA also auf einen erfolgreichen Film wie den letzte Woche angelaufenen DAS PERFEKTE GEHEIMNIS trifft, statt ihm zu folgen.

In der Tat habe er sich mit OH BOY noch zwei weitere Jahre beschäftigen müssen, denn der Film wurde bei einem Budget von 300 000 Euro von mehr als 360 000 Zuschauern allein in Deutschland so rasant aufgenommen,. Darüberhinaus lief er in vielen europäischen Ländern und anderswo, wozu Gerster geladen war, was ja keine Strafe war, aber dennoch den Blick nach vorne begrub. Dann suchte er nach einem Stoff für den zweiten Film. Schon Hausherr Urs Spörri hatte das angesprochen, was eigentlich für jeden Künstler gilt, dessen Debüt so erfolgreich war, was leicht Ladehemmung, ja sogar Angst vor dem zweiten Werk, hier dem zweiten Film auslöst. Nein, Angst hätte er nur diffus gehabt, oder doch, ganz schön konkret, daß ihm vor Augen stand, daß den nächsten Film niemand sehen will, Schockstarre, einen Film zu machen, der auf der ganzen Linie scheitert. Also habe er eben den Stoff gesucht, der ihm lohnend erschien und ihn in dem Drehbuch von Blaž Kutin, einem Slowenen, der seit zehn Jahren in Berlin lebt, gefunden.

Die Zusammenarbeit sei fruchtbar gewesen, denn Kutin habe zehn Jahre lang niemanden gefunden, der den in der Schreibtischschublade modernden Stoff mochte, ihn verfilmen wollte. Er sofort. Ihn habe das falsch gelebte Leben daran interessiert. Das Scheitern von Lebensentwürfen. Und die folgenden intensive Zusammenarbeit sei so etwas wie eine Arbeitsehe gewesen: Streit und Versöhnung. Und eigentlich sei ihm von Anfang an Corinne Harfouch als Lara vor Augen gestanden. Zwar habe die erst mal geäußert, daß sie von den verbitterten, ältlichen, verlassenen, frustrierten Frauen genug habe, die hier dazu noch eine manipulative, narzisstische Mutter sei; aber sie sei doch zu einem Gespräch bereitgewesen, was er mit Riesenrespekt vor ihrer 40jährigen Darstellerkarriere in Gang gesetzt hatte – und was ja gut ausging, wie der Film zeigt.

Tom Schilling, seinen Star aus OH BOY mußte er nicht erst fragen, aber wie der sich dann ins Zeug legte, sei schon erstaunlich gewesen. Er habe drei Monate Intensivkurs Klavier genommen und die im Film gezeigte Aufführung eines Chopinwerkes habe er selber gespielt. Und die Anverwandlung der Rolle sei ihm auch leicht gefallen, auch er sei ja ein „Sohn“. Auch die anderen Rollen hätten sich wie selbstverständlich besetzt. Er spreche wirklich von Glück, daß sich auch für kleine Rollen große Darsteller zur Verkörperung bereit fanden. Aber ab dem Moment, wo Corinna Harfouch zugesagt hatte, war das alles sowieso kein Problem. Er wisse genau, daß so mancher nicht bei ihm mitmachen, sondern mit ihr mitspielen hat wollen. Doch, doch, das gelte auch für den Kameramann Frank Griebe, gerade für den, der habe sicher nur wegen der Hauptdarstellerin mitgemacht.

Daß der Film in Berlin spielen soll, war vorgegeben, paßte aber auch und er wollte nicht die typischen Berlinbilder zeigen, sondern den verblichenen Charme von Westberlin, wie er in Charlottenburg anzutreffen ist, wo die meisten Szenen spielen. Nein, eine Trilogie über Berlin wolle er nicht drehen, was ja nach OH BOY, wo der Junge einen Tag durch Berlin läuft, und LARA, wo die pensionierte Beamtin einen Tag ständig unterwegs ist, naheläge. Nein.

Er habe keinen Erziehungsfilm drehen wollen, äußerte er. Leider war da nicht genug Zeit, ihm zu beweisen, daß er es aber getan hat. Das, was man schwarze Pädagogik nennt und was Lara an ihrem Sohn in sadistischer Weise ausübt. Wirklich schade, daß man nicht darauf eingehen konnte, wie in der Schlüsselszene mit der Laras Mutter die Muster vorgegeben sind. Sohn Viktor ist nämlich zu ihr, der Großmutter gezogen und diese zeigt höhnisch der Tochter Lara ihren Sieg, als diese an diesem Tag, ihrem 60sten Geburtstag und dem Tag des Konzertes ihres Sohnes mit Pianosolo und Aufführung seiner Komposition, zur Mutter eilt, weil sie hofft, dort endlich den Sohn zu treffen, den sie den ganzen Tag aufspüren will. Genauso eiskalt und gemein, ja mit gezielter Boshaftigkeit wie Lara zum Sohn, geht hier die Mutter mit ihr ins Gericht. Und am Vorgehen von Lara, wie sie den uninteressierten Schüler ihres alten Klavierprofessors seines Larifaris verwies und ihn zum Spielen zwang, konnte man sofort schlußfolgern, welche Kindheit und Jugend ihr Viktor gehabt hatte und noch hat. Und das soll kein Film über Erziehung sein?

Zu kurz kommen mußte das Thema MUSIK. Dabei ist die Musik die unterschwellige Grundmelodie des Film, der eben auch zeigt, daß mit filmischen Mitteln gute Filme gemacht werden können, daß aber die unsichtbare, nur hörbare Musik eine Dimension hinzugibt, die die Künste gemeinsam stärker machen, als eine es könnte. Aber wir sind nicht im Wettstreit der Künste. Doch könnte man das fast annehmen, wenn denn der außerordentlich souverän und sicher auftretende Filmemacher Jan-Ole Gerster auf Frage noch kundtat, was sein dritter Film werden solle. Er beschäftigt sich mit der Verfilmung von IMPERIUM, einem durchaus umstrittenen Roman von Christian Kracht von 2012, wo der deutsche Aussteiger August Engelhardt sich nach Deutsch-Neuguinea aufmacht, eine große Satire um Größenwahn. Aha, diesmal Literatur und Film. Mehr hoffentlich demnächst. Ein voller Abend, den man bis zum nächsten Morgen mit Diskussionen hätte weiterführen können.