Bildschirmfoto 2019 11 10 um 15.47.41Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 7. November 2019, Teil 37

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - „ Journalist*innen und Filmemacher*innen verstehen die Wissenschaft oft falsch und verbreiten diese Halbwahrheiten dann weiter. Dies gilt insbesondere für die biomedizinische Wissenschaft, wo experimentelle Behandlungen als Heilmittel angepriesen werden, kleine Studien in umfassende Aussagen über Ernährung und Gesundheit umgewandelt werden und ein Gen, das mit Aggression assoziiert werden könnte, wird als "das Kriegergen" bezeichnet wird.“

Das ist ein Zitat aus den Presseunterlagen zum Film und ich kann diesen Aussagen nicht widersprechen. Und für mich gilt gewiß: „ Außerdem verstehen einige Journalist*innen und Filmemacher*innen die Wissenschaft hinter der Geschichte selber nicht, weil sie keinen Hintergrund in Biologie oder Physik haben.“ Was also tun, wenn man am Thema selbst aber durchaus interessiert ist, spätestens seit der sogenannten EUGENETIK, wie die Nazis ihre verbrecherische, zutiefst inhumane Praxis der Ermordung von Menschen nannten, die dem angestrebten Intelligenzquotienten oder körperlichen Vorstellungen nicht entsprachen. Weg mit ihnen, töten, zumindest sterilisieren und kastrieren, damit das Erbgut nicht weitergegeben kann. Denn genau um Erbgut geht es auch in diesem Film, das durch die Gen-Wissenschaftler verändert werden kann und zwar zum Besseren. Was das ist, dazu später.

Wie sie das machen, die Gen-Manipulationen zeigen eine ganze Serie von Interviews. Es war eine gute Entscheidung des Filmemachers Adam Bolt, daß er die Wissenschaftler selber sprechen läßt. Das ist lebendig und hält die Diskussion wach. Aber gleichzeitig muß man auch konstatieren, daß eine Stimme, die über den Film gelegt worden wäre, und alles hintereinander logisch einem erklärt hätte, dem Zuschauer und Zuhörer eine größere inhaltliche Sicherheit gegeben hätte. Denn so interessant die Interviews waren, auch, weil heutige Wissenschaftler eben nicht verschlafen oder abgehoben unverständlich sprechen, sondern fast wie Schauspieler sich dramatisch geben, haben sie inhaltlich doch nicht immer mein Niveau erreicht, bzw. ich ihres.

Muß wohl so sein. So haben wir den Film zweimal angeschaut und wissen jetzt, daß wir die wissenschaftlichen Ergebnisse zwar konstantieren und sehen können, aber leider von den meisten auch dann immer noch nichts verstehen. Das gilt aber auf jeden Fall nicht für die Sichelzellkrankheit oder Sichelzellenanämie (medizinisch Drepanozytose). Das hat dann sicher mit persönlicher Erfahrung zu tun, über die wir uns nie ausließen, weil sie hier in Deutschland keine Rolle spielte oder doch eine, von der wir nichts wußten. Daß ich leicht anämisch bin, wußte ich. Also das, was man blutarm nennt. Daß aber meine roten Blutkörperchen bei Bedarf ein Eigenleben führen, wußte ich nicht. Das stellte sich in den Anden bei 2 500 Meter Höhe heraus, als ich mit einem Zug „für Indios und Gepäck“ von Argentinien nach Chile wollte. Zuerst fing es mit Kopfweh an, schnell eine richtige Migräne, der Rücken tat höllisch weh, Gottseidank war im Wagen für die Indios – Europäer waren nicht vorgesehen, nur einheimische Andenbewohner – ein Loch im Boden und ein glasloses Fenster, denn da steckte ich den Kopf hinaus, als das Erbrechen begann und gleichzeitig der Darm tat, was er wollte. Enfermedad de Altura nennt man das, also Höhenkrankheit, woran man stirbt, verläßt man nicht sofort den Zug und fährt zurück, wo jeden Meter, den es runtergeht, die Schmerzen und erwähnten Phänomene nachlassen.

Erst in Europa wurde mir in der Klinik erklärt, was los war und weswegen bei keiner Bergbesteigung oder Flugzeuglandung dieselbe Katastrophe eintrat. Weil dort die roten Blutkörperchen sich nach und nach angleichen, also vermehren, wenn der Sauerstoff in der Luft weniger wird. Nicht aber bei einem mit einer Diesellock gezogenen Zug. Da konnten sich meine roten Blutkörperchen nicht so schnell vermehren, wie es not tat. Und die Schädigung war auch nach drei Wochen noch festzustellen. Deshalb war für mich die Sichelzellanämie der jungen Schwarzen im Film am interessantesten. Das ist eine erbliche Erkrankung der roten Blutkörperchen (Erythrozyten) und lebensbedrohend. Mit Hilfe genetischer Eingriffe kann man dieses aggressive Gen, das andere Blutbestandteile angreift, zurückdrängen und zumindest die Lebenserwartung der Jugendlichen um Jahrzehnte verlängern. Wer bin ich, daß ich das jungen Menschen verweigern möchte.

Wo ist die Grenze, wer zieht sie?

Tatsächlich ist das die entscheidende, aber schwer zu beantwortende Frage, wo die Eingriffe in die genetische Struktur des Menschen aufhören sollen. Und wer berechtigt ist, die Grenze für wen zu ziehen? Wenn im Film Mütter zu sehen sind, die unter Tränen äußern, hätte man damals schon diese wissenschaftlichen Ergebnisse gehabt, hätten ihre Kinder nicht sterben müssen, bleibt Schweigen. Und gerade hatten wir einen Bericht erlebt, über die verheerenden Folgen von Alkohol in der Schwangerschaft für die ausgetragenen Kinder, was die Genforscher mildern könnten.

Zurück zur Machart des Films. Die ist einfach hinreißend. Denn da ist nichts Besserwisserisches, auch nichts Indoktrinierendes, sondern einfach eine große Neugierde und Freude, dahinterblicken zu können, wenn aus allen möglichen Richtungen die Experten sich äußern. Daß dahinter eine Strategie, also ein Schnitt und eine Cutterin steckt, das merkt man spätestens dann, wenn die besagten Sichelzellanämischen gegen Schluß wieder auftauchen. Sie sind, so denkt man die Klammer, wo Genmanipulationen - oder sollte man wertneutraler von gezielten Genveränderungen sprechen? - auf jeden Fall erlaubt sind.

Dazwischen jedoch sieht man Abenteuerliches, wo einem der Atem stockt. Wenn dann die Leute äußern, sie wollten, wenn sie sich das aussuchen können, auch diese großgewachsenen blonden Mädchen, alle wollten das, ist darauf die Antwort als Rückfrage, weshalb sie denn nicht auf die hohe Intelligenz setzten, die auch im Angebot war, wirklich beschämend. Das ist interessant, daß diese genetischen Vorgaben beim Kind, das man sich ‚designen‘ kann, eben auf die Äußerlichkeiten viel stärker gerichtet ist. Aber, wenn man das mal kritisch hinterfragt, so ist es ja auch fast wia im richtigen Leben. Äußerlichkeiten bestimmen sehr viel mehr, als das, was im Köpfchen steckt. Da braucht man nur mal die Ausgaben für Kleidung mit denen für Bildung vergleichen.

Daß der Film jedoch trotz so vieler sprechenden Personen eine Struktur erhält, hat mit der Kapitelabfolge zu tun, die Bolt einführt und die das innerliche Gerüst des Geschauten bilden und die alle dem einen Zweck dienen, darzustellen, herauszufiltern, daß CRISPR-CAS9 als Genschere eine Kontrolle über entstehendes Leben bewirkt, das kann das Verhindern spezieller Krankheiten sein, aber auch eine gottgleiche Anmaßung, ein Wesen nach eigenen Wünschen zu gebären.

Dieser Film macht einem wie uns, die sich nicht weiter damit beschäftigt haben, klar, daß wir uns einmischen müssen in eine gesellschaftliche Diskussion über diese revolutionäre Technologie, nämlich wo wir die ethischen Grenzen festlegen wollen. Daß die in China längst überschritten sind, zeigt ein Nachklapp im Film, wenn wir informiert werden, daß dort in der Zwillingsproduktion längst diese Genschere eine Rolle spielt. Der Film kommt also auch zur rechten Zeit, damit niemand sagen kann, er wisse von nichts.

So lobenswert es ist, die Aufnahmen im Original zu zeigen, also die amerikanischen – ha, einmal auch auf Deutsch, aus den Nazi-Aufnahmen - , weil die Art und Weise, wie einer spricht, auch viel über ihn aussagt, so bleibt die deutsche Untertitelung dennoch ein Problem. Nicht wegen der Übersetzung. Die ist ausreichend. Aber man kann sie so oft, zu oft nicht lesen, dann nämlich, wenn der Hintergrund der weißen Schrift, auch hell ist. Dann geht das einfach unter, kann nicht mehr differenziert werden, was schade ist, weil man sich ja anstrengt, inhaltlich mizukommen.

Foto:
© Verleih

Info:
Ein Film von Adam Bolt Kinostart: 7. November 2019 / USA 2019 – 91 Min. / OmdtU