f officialsecrets106 v podcastSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 21. November 2019, Teil 3

Redaktion

London (Weltexpresso) - Katharine Gun ist der internationalen Öffentlichkeit nur wenig bekannt. Dabei war sie verantwortlich für das „wichtigste und mutigste Leak, von dem ich je gehört habe“. So ordnet einer der berühmtesten Whistleblower ihre Leistung ein: Daniel Ellsberg, der 1971 die „Pentagon Papers“ ans Licht der Öffentlichkeit brachte. „Niemand sonst, auch ich nicht, hat jemals so etwas getan wie sie“, sagt Ellsberg über Katharine Gun. „Sie hat vor einem drohenden Krieg – unter großem persönlichem Risiko – die Wahrheit gesagt, und zwar noch rechtzeitig, um diesen Krieg möglicherweise zu verhindern."

Guns Leak konnte die Invasion in den Irak nicht verhindern, und doch hat sie der britischen und weltweiten Öffentlichkeit einen großen Dienst erwiesen: Sie ermöglichte einen schlaglichtartigen Einblick in die US-amerikanische und britische Politik vor Ausbruch des Irakkriegs. Whistleblower*innen wie sie bringen skandalöse Missstände in ihren Regierungen, Behörden oder Unternehmen ans Licht. Sie lancieren Geheimnisse ihrer Arbeitgeber und riskieren dabei viel, setzen ihre Freiheit aufs Spiel, manche ihr Leben. Einige Leaks erschüttern die Öffentlichkeit, andere haben noch weiterreichende, mitunter sogar historische Folgen. Katharine Gun steht mit ihrem Handeln in einer Reihe mit den wichtigen Whistleblower*innen der jüngeren Vergangenheit.

Dem besagten Daniel Ellsberg etwa. Er arbeitete für die RAND Corporation, die die US-Streitkräfte beriet, und hatte so Zugang zu streng geheimen Militär-Dokumenten. Diese spielte er, 7000 Seiten stark, der „New York Times“ und der „Washington Post“ zu. Die „Pentagon Papers“ belegten: Richard Nixons Regierung und die drei vorangegangenen Regierungen hatten die Öffentlichkeit systematisch über den Vietnamkrieg belogen. Ellsberg und einem Helfer drohten wegen Spionage 115 Jahre Haft, doch das Verfahren wurde nach einem weiteren Skandal eingestellt: Nixon hatte Geheimdienstmitarbeiter beauftragt, Ellsberg auszuspionieren, und diese waren sogar in die Praxis seines Psychiaters eingebrochen.

Das hatte Methode, wie man seit dem Watergate-Skandal weiß: 1972 wurde im Watergate-Komplex, dem Hauptquartier der Demokratischen Partei eingebrochen. William Mark Felt, der stellvertretende FBI-Direktor, gab Informationen über die Ermittlungen an die „Washington Post“-Journalisten Bob Woodward und Carl Bernstein weiter – und diese konnten belegen, dass der Einbruch aus Nixons direktem Umfeld gesteuert wurde. Der trat 1974 zurück, als bislang einziger Präsident der Geschichte der USA. Für Felt hatte der Skandal keine Konsequenzen: Er gab sich der Öffentlichkeit nämlich erst 2005 in hohem Alter als Whistleblower zu erkennen. Bis dahin wusste niemand, wer die Quelle war, die die ganze Welt nur als „Deep Throat“ kannte.

Im Zeitalter des Internet wurde die Veröffentlichung geheimer Unterlagen einfacher. Bradley Manning hatte als US-Soldat im Irak Zugang zu einem Computernetzwerk des Militärs. Er kopierte hunderttausende vertrauliche Unterlagen und übergab sie 2009 der Enthüllungsplattform Wikileaks. Darunter war auch ein Video, das zeigte, wie US-Soldaten aus einem Hubschrauber Zivilisten töteten. Manning wurde 2010 enttarnt und 2013 zu 35 Jahren Haft verurteilt. Nach dem Urteil erklärte er, transsexuell zu sein und künftig als Frau unter dem Namen Chelsea leben zu wollen. 2016 versuchte Chelsea Manning im Gefängnis zweimal, sich das Leben zu nehmen. Barack Obama begnadigte sie, seit 2017 ist sie frei.

Der bekannteste Whistleblower ist Edward Snowden. Der IT-Spezialist arbeitete für eine externe Sicherheitsfirma, die für den Geheimdienst NSA tätig war. 2013 setzte er sich mit geheimen Daten nach Hongkong ab und veröffentlichte diese mithilfe des „Guardian“-Journalisten Glenn Greenwald und der „Washington Post“. Sie belegten: Die NSA und der britische Geheimdienst GCHQ überwachten mit dem Programm „Prism“ die digitale Kommunikation von Menschen auf der ganzen Welt. Betroffen waren auch Politiker*innen wie Angela Merkel. Auch in Deutschland zog der Skandal Kreise: Der Bundesnachrichtendienst hatte ebenfalls Politiker*innen und Institutionen anderer Staaten ausgespäht, wie bekannt wurde, außerdem EU-Institutionen und sogar deutsche Staatsbürger*innen. Snowden lebt seit 2013 in Russland, wo ihm Asyl gewährt wurde. Bei einer Rückkehr in die USA droht ihm eine lange Haftstrafe wegen Geheimnisverrats und Spionage.

Andere Whistleblower*innen deckten Skandale in ihren Unternehmen auf: Der IT-Spezialist Hervé Falciani kopierte um 2006/2007 herum Datensätze von über 100 000 Kund*innen der Genfer HSBC Private Bank, einer Tochter der britischen HSBC. Sie zeigten, wie die Bank ihren Kund*innen half, Schwarzgeld zu verschleiern und Steuern zu hinterziehen. Und mehr noch: Die Bank machte auch dubiose Geschäfte mit Schwerkriminellen, Waffen- und Drogenhändlern sowie Terrorfinanciers. Die Integrität des Whistleblowers ist allerdings zweifelhaft. Denn Hervé Falciani wollte die Datensätze zunächst an libanesische Banken, dann an Behörden europäischer Länder verkaufen, sprich zu Geld machen. Er wurde deshalb 2008 in der Schweiz verhaftet, doch als die Beamten ihn vorübergehend frei ließen, setzte er sich nach Frankreich ab. Dort übergab er die Daten – kostenlos und ohne Bedingungen – den Steuerbehörden. Das französische Finanzministerium unter Christine Lagarde ließ die „Swiss Leaks“ anderen betroffenen Staaten zukommen. Ermittler aus Deutschland und elf weiteren Ländern konnten hunderte Steuerbetrüger*innen entlarven und über eine Milliarde Euro an Nachzahlungen und Strafgeldern eintreiben. Die Daten gelangten außerdem an die französische Zeitung „Le Monde“, die sie an das „International Consortium of Investigative Journalists“ weitergab. Falciani lebte lange in Frankreich unter Polizeischutz. Bei Reisen nach Spanien wurde er zwei Mal festgenommen, aber nicht an die Schweiz ausgeliefert. Dort wurde er in Abwesenheit wegen Wirtschaftsspionage zu fünf Jahren Haft verurteilt.

Viele Menschen, die Journalist*innen mit Informationen versorgen, schaffen es, geheim zu bleiben. Darunter ist auch eine/r der bedeutendsten Whistleblower*innen: Nach wie vor ist unbekannt, wer die „Panama Papers“ lancierte, die Dokumente über die panamaische Kanzlei Mossack Fonseca: Diese richtete für Politiker*innen, Stars und reiche Privatpersonen Briefkastenfirmen ein, mit denen sie schmutzige Geschäfte verschleiern konnten. Die Panama Papers sind der quantitativ größte Leak bisher: Die Datensätze umfassten 11,5 Millionen Dokumente, sie entlarvten 214.000 Briefkastenfirmen. Das „International Consortium of Investigative Journalists“, darunter Redakteur*innen der „Süddeutschen Zeitung“, wertete die Dokumente aus und erhielt dafür den Pulitzer-Preis. In der Folge trat der schwer belastete Ministerpräsident Islands zurück, gegen tausende mutmaßliche Betrüger wurden Prozesse begonnen.

Foto:
© Verleih

Info:
Official Secrets (Großbritannien, USA 2019)
Filmlänge: 112 Min.
Regie: Gavin Hood
Drehbuch: Sara Bernstein, Gregory Bernstein, Gavin Hood
Darsteller: Keira Knightley, Matt Smith, Ralph Fiennes, Rhys Ifans, Matthew Goode, Adam Bakri, Conleth Hill, Tamsin Greig, Monica Dolan u.a.

Abdruck aus dem Presseheft