von Lida Bach

„Egal wie lange etwas zurückliegt, es gibt immer einen, der es wieder ausgräbt.“ Zwanzig Jahre genügen nicht, um die Vergangenheit auszulöschen. Jacky weiß es. Einmal will er etwas zurückholen von einem seiner Peiniger: „Eine Erinnerung.“ Doch die Vergangenheit bleibt bestehen, weil sie sich niemals ändert. So wie der gequälte Hauptcharakter in dem düsteren Seelengefängnis, in das ihn Michael R. Roskams fatalistischer Krimi sperrt.

 

Das erbitterte Anrennen  gegen die physischen, emotionalen und sozialen Mauern studiert das Kameraauge präzise und unerbittlich bis Körper und Geist an der äußeren Beschränkung zerbrochen sind. Wie Jacky und die anderen Protagonisten in „Bullhead“. Der Fantasie der Titelallegorie könnten die brutale Authentizität der belgischen Hormonmafia sein, in deren Machenschaften der stiernackige Jacky (Matthias Schoenaerts) und der nervöse Polizeiinformant Diederik (Jeroen Perceval) verwickelt sind. Ihre Kindheitsfreundschaft zerriss die intime Verstümmelung, die Jacky als Junge durch den psychopathischen Sohn eines Komplizen seines mit hormonell behandelten Rindern handelnden Vaters widerfuhr.

 

Grausame, in ihren finstersten Momenten grausam komische Vorsehung treibt die Figuren ihrem Verhängnis entgegen. „Zufall“ nennt Diederik, dass sich ihre Wege nach Jahrzehnten kreuzen. Zufall sagen Idioten, wenn sie nicht weiter wissen, zischt die energisch Sonderermittlerin Eva (Barbara Sarafian). Das Verhängnis der Charaktere ist von Anbeginn festgeschrieben in dem belgischen Noir, der mit konzentrierter Schärfe eine nach abgeriegelte Gemeinschaft aus Kriminalität, Abhängigkeit und intimen Bindungen seziert. Mit gleicher Ruhe wird vor den Augen der Kamera einer Kuh der Laib aufgetrennt und Fleisch hinausgezogen. Es ist ein Kälbchen, das an den Hinterhufen aufgehangen wird und gewogen als sei es Schlachtvieh.

 

Tod ist gegenwärtig schon im Moment der Geburt; noch erschütternder als er ist die Pein, die das Leben bedeutet. „Fleisch, Fleisch, Fleisch. Das ist alles.“, sagt Diederik. Fleisch ist auch Neugeborene, hässlich wie alles in „Bulhead“. Schmutzfarben und moderige Töne von Rost und Schorf überziehen schäbige Gebäude und karge Landschaft. Die Menschen wirken linkisch und gedrungen, als wollten sie sich verbergen: wie Diederik seine Polizeikooperation und seine Homosexualität, wie Jacky sein das Gefühl von figurativer und körperlicher Impotenz und Unmännlichkeit. Von Kindheit an mit Hormonen aufgepumpt macht sein bulliger Körper ihn zum Pendant der Rinder, mit denen er sich verbunden fühlt.

 

„Mein ganzes Leben habe ich nichts anderes gekannt als Tiere.“ Sein verbittertes Fazit teilt Roskam, dessen rohes und bildmächtiges Debüt die Bestie Mensch in ihrer ganzen Primitivität und mitleiderregenden Verwundbarkeit zeigt.

 

Oneline: Bestie Mensch und stumme Kreatur.

 

Titel: Bullhead - Rudskop Land/ Jahr: Belgien 2011 Laufzeit: 120 Min. Regie: Michael R. Roskam Drehbuch: Michael R. Roskam Kamera: Nicolas Karaktsanis Schnitt: Alain Dessauvage Musik: Raf Keunen Darsteller: Matthias Schoenaerts, Jeroen Perceval, Jeanne Dandoy, Barbara Sarafia, Tibo Vandenborre, Sam Louwyck, Frank Lammers Verleih: Rapid Eye Movies Kinostart: 24. November 2011