25 Jahre VERSO SUD, das italienische Filmfestival in Frankfurt 2019, Teil 2
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Filme, die auf selbstreferentielle Weise sich selbst zum Thema machen, gehören sowieso zu den interessantesten Themen der Filmgeschichte. Wenn, wie in EINE GESCHICHTE OHNE NAMEN, wir Zuschauer an der Herstellung eines Films, begonnen mit dem Drehbuch, beteiligt sind und auch noch die Premiere des Films erleben, den wir gerade auf der Leinwand sahen und noch sehen, wird das alles noch getoppt von der doppelten Mafia, die nicht nur im Film den Raub eines Gemäldes von Caravaggio organisiert, sondern dieses Werk vor 50 Jahren tatsächlich raubte, das bis heute verschollen ist.
Wer Diebstähle von Kunstwerken verfolgt, kennt die Geschichte sowieso, denn DIE GEBURT CHRISTI MIT DEN HEILIGEN LAURENTIUS UND FRANZISKUS, wurde 1609 von Caravaggio geschaffen und hing in dem barocken Oratorio di San Lorenzo in Palermo, wo es in der Nacht vom 17. auf den 18. Oktober 1969 vermutlich vom Clan der Corleonisi geklaut wurde, so hat es wenigstens ein Mafia Oberboß dem damaligen Richter Giovanni Falcone verraten, der heldenhaft gegen die Cosa Nostra ermittelt hatte und 1992 von ihr ermordet wurde.
Immer wieder gibt es Zeitungsberichte über diesen spektakulären Kunstraub – Größe 2, 68 x 1,97 Meter; Caravaggio mit seiner Chiaroscuri-Malerei und kriminellen Vita; die Mafia als Auftraggeber – , heute als einer der zehn wichtigsten Kunstdiebstähle auch vom FBI gesucht, im letzten Jahr als Dokumentation im Fernsehen zu sehen.
Es ist angenehm, dies alles zu wissen, aber zugleich kann man das alles vergessen, denn der Film nimmt zwar den Raub des Gemäldes zum Movens der Handlung, aber diese ist völlig fiktiv, was sicherlich dazu beiträgt, daß wir einen so leichten wie schweren, einen so düsteren wie hellen Film sehen, der uns mit Valeria (Micaela Ramazotti), der jungen Sekretärin eines Filmproduzenten durch Dick und Dünn jagt. Dabei hatte sie bisher ein überschaubares, ja zurückgezogenes Leben. Heimlich hat sie seit zehn Jahren für den von ihr angebeteten Drehbuchautor Alessandro Pes (Alessandro Gassman) die Drehbücher geschrieben, die ihn berühmt machten, abends ißt sie mit ihrer interessanten Mutter, die im Stockwerk gegenüber lebt und die mit der gemeinsamen politischer Vergangenheit noch heute den Mächtigen in Rom einflüstert, was diese zu tun haben.
Doch hier ein kurzer Einschub. Normalerweise gibt es zur Eröffnung der Hommage vor dem Film eine Ansprache des Regisseurs und nach der Vorführung ein Gespräch mit diesem über den Film. Doch dieses Jahr konnte der Regisseur Roberto Andò nicht kommen, denn er hatte einen Unfall, weshalb - nachgerade rührend - aus dem Krankenhaus in Rom ein Video eingespielt wurde, in dem der Regisseur sein Bedauern darüber ausdrückt und dem Publikum viel Vergnügen zu seinem Film wünschte. Eine gute Lösung für eine unangenehme Situation.
Der Film beginnt damit, daß der Filmproduzent vom Drehbuchschreiber Pes einen neuen Filmstoff, also ein neues Drehbuch fordert, da die Mafia im Zuge der Geldwäsche einen Film finanzieren will, für dessen Weltbedeutung extra ein berühmter Filmregisseur von Übersee eingeflogen wird. Schon das allein entwickelt eine Komik, denn dessen Auftritte schrammen dicht an der Satire vorbei. Andere Teile des Films sind Thriller, , Spionagefilm, Kunstfilm, sogar Liebesfilm ist auch dabei, immer aber kreist alles um Valeria, die uns viele Gesichter zeigt. Denn lange erscheint sie als brave Tipse, wird dann verführerische Spionin, nachdem sie von einem undurchsichtigen, aber ehrenwerten Mann angesprochen wurde, der ihr Geschichten erzählt, die wahr sind und die sie als Drehbuch verarbeitet, das sie heimlich für den angebeteten Pes schreibt. Damit legt sie sich mit der Mafia an. Der Film wird rasant, auch ungemütlich für das filmische Personal, Valeria überlebt nur, weil ihr Mentor wie ein deus ex machina sie aus allen Gefahren befreit, wird gerade dadurch aber sehr unterhaltsam für das Publikum in den Kinosesseln.
Man muß den Film schon selber sehen, um den Reiz und die vielen Überlegungen zur Verfilmung so gut umgesetzt zu erleben. Witzig, untergründig, paradox. Ein Film, bei dem man, nachdem man ihn gesehen hatte, es für schade hielte, ihn nicht zu kennen. Auch ein Film, der in deutsche Kinos gehört, um das deutlich zu sagen.
Fortsetzung folgt
Fotos:
© Verleih
Roberto Andò im Video
© Redaktion
Info:
UNA STORIA SENZA NOME
EINE GESCHICHTE OHNE NAMEN
Regie: Roberto Andò
Drehbuch: Roberto Andò, Angelo Pasquini
Kamera: Maurizio Calvesi
Schnitt: Esmeralda Calabria
Ausstattung: Giovanni Carluccio
Musik: Marco Betta
Produktion: Angelo Barbagallo für Bibi Film
Darsteller: Micaela Ramazzotti (Valeria Tramonti), Alessandro Gassman (Alessandro Pes), Jerzy Skolimowski (Regisseur), Laura Morante (Valerias Mutter), Renato Carpentieri (Alberto Rak), Antonio Catania, Gaetano Bruno
www.dff.film